Interview

Was fasziniert Schwule, Lesben und Trans*menschen an der AfD?

4. Juni 2017
die lesbische AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel

Warum ist die Politik der AfD oder Marine Le Pens auch für LGBTs attraktiv? Dazu äußert sich am 06.06. in Berlin u. a. Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voss, dem wir vorab ein paar Fragen stellten

Unter der Überschrift „Schwule in der AfD? Marine Le Pen und die Gay-Lobby?" lädt das Team der Kunsthalle am Hamburger Platz vom 06. bis zum 09.06. zu einer kleinen Veranstaltungsreihe: In Diskussionen, Filmbeiträgen und einer Ausstellung geht es u. a. um Fragen nach Homonationalismus, rechts-konservativen Widerständen gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, aber auch um den Weg zu einer guten Diskussionskultur. Zur Debatte äußern sich am 06.06. der Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voss (u. a. Mitautor von „Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität: Kritische Perspektiven"), der Künstler Rüzgâr Buşki und AktivistIn Tal Iungman. Wir haben vorab Heinz-Jürgen Voss gefragt wie er die Attraktivität der AfD und rechtspopulistischer Strömungen für LGBTs einschätzt

Was fasziniert schwule Männer an einer Partei wie der AfD? Pauschal trifft die Feststellung nicht zu. Es gibt eine ganze Reihe schwuler, lesbischer und queerer Leute, die sich gegen die AfD engagieren. Allerdings macht mir schon Sorge, was in Kommentarspalten schwuler Medien an rassistischen und antisemitischen Aussagen mittlerweile möglich ist. Und es macht mir eine Haltung Sorge: „Es muss doch einmal gesagt werden“, wie es heute auch von Schwulen kommt. Gerade weiße Männer machen sich diesen Slogan zu eigen, mit dem Thilo Sarrazin, als einflussreicher Politiker, Bundesbanker, der Bücher in Millionenauflage veröffentlichen konnte, so getan hat, als sei er marginalisiert und würde nicht und nirgends sprechen können. Schwule Kommentarspalten und Buchveröffentlichungen werden gewiss weniger gelesen, aber ich bin von dem bei Sarrazin abgeguckten Duktus erschrocken, dass gerade in der deutschen Gesellschaft weiße Männer besonders diskriminiert wären. Hier würde ich mir mehr Kenntnis und mehr Einsicht zu Diskriminierung und Gewalt wünschen. Und ja, auch Schwule werden diskriminiert. Aber es gilt eben diese sexuelle Diskriminierung im Kontext mit anderen Diskriminierungs- und Gewaltverhältnissen zu sehen. Weiße Cis-Schwule, die – zum Glück! – nicht von Rassismus und Transfeindlichkeit betroffen sind, könnten zum Beispiel rassistisch und antisemitisch Diskriminierte unterstützen, sich für die Positionen Intergeschlechtlicher und von Trans* einsetzen. Sie sollten auf keinen Fall die Gewalt und Diskriminierung gegen diese Personengruppen durch ihr eigenes Handeln verstärken!

Reden wir hier von einem europäischen Phänomen? Werden die schwulen Anhänger des Front National von ähnlichen Dingen angezogen wie die schwulen Anhänger der AfD? Gibt es eher Gemeinsamkeiten oder Unterschiede? Hier gibt es deutliche Unterschiede. Der „Front National“ hat sich in seiner Breite nicht gegen Schwule gewandt, die Faschistin Marine Le Pen hat ganz bewusst nicht das französische Original der „Demo für alle“ unterstützt. Das hat dazu geführt, dass in Frankreich Schwule – und zum Teil auch Lesben – eben keinerlei Hemmnisse für sich sehen, faschistisch zu wählen. Die Situation in Frankreich hat Salih Alexander Wolter bereits 2014 in einem Interview mit der Freiheitsliebe analysiert („Progressive Queerpolitik muss antirassistisch sein“). In Deutschland hingegen ist die AfD von Anfang an auch queerfeindlich engagiert und ist sogar eine treibende Kraft der „Demo für alle“. Von daher erleben auch solche Cis-Schwule – zum Teil auch Cis-Lesben und Trans* –, die sonst rassistisch und antisemitisch drauf sind, einen Abstand zur AfD und würden sie nicht wählen. Von daher halte ich die aktuelle Situation für sehr brüchig, wenn sich CSDs nur pauschal für „Toleranz und Akzeptanz“ aussprechen und sich nicht deutlich sowohl gegen sexuelle und geschlechtliche Diskriminierung als auch gegen Antisemitismus und Rassismus wenden.

Die Gender Studies an Universitäten und Konzepte geschlechtlicher Vielfalt werden gerade zu neuen Feindbildern stilisiert. Warum verfängt das teilweise auch bei schwulen Männern? Die aktuellen Debatten um geschlechtliche und sexuelle Vielfalt waren durchaus vorhersehbar: Erst 1994 wurde der Strafparagraf 175 gestrichen. Bis dahin war es Selbstverständlichkeit an den Schulen, dass Homosexualität im Lehrplan als „Krankheit“ thematisiert wurde, von Inter* und Trans* wurde nicht gesprochen. Die aktuelle Gesellschaft hat sich für Toleranz und Akzeptanz zumindest in Bezug auf sexuelle und zum Teil geschlechtliche Fragen entschieden – und entwickelt nun nach und nach Bildungspläne etc. Klar, dass davon nicht alle begeistert sind. Die Diskussion gilt es zu führen ... Und in den Debatten habe ich den Eindruck, dass auch viele Schwule schon gut wissen, was ihnen Konzepte geschlechtlicher Vielfalt bringen und was die Gender Studies universitär für sie leisten. Aber selbstverständlich sind wissenschaftliche Erkenntnisse stets komplex und ecken auch mit Traditionen, stereotypen Vorannahmen und vermeintlichen Gewissheiten an. Sie lehren, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Dazu sind sie da. Und so gilt es sich auch hier zu entscheiden: Wollen wir Wissenschaft, die forscht und auch Neues bringt oder wollen wir eine „Wissenschaft“, die nur Populärwissen bestätigt?

Die AfD-Spitzenkandidatin ist mit Alice Weidel eine Lesbe, es gibt auch trans* Leute, die sich in der AfD engagieren. Weist die Überschrift „Schwule in der AfD?“ also in die richtige Richtung?  Ja und nein, wobei die Überschrift nicht von mir ist. Auch heterosexuelle, schwule, lesbische, asexuelle und trans* Leute können rassistisch und antisemitisch sein. Das gilt auch für Cis-Lesben. Und man kann hier Spaltungen von Gruppen und ähnliches beobachten, weil sich die Mehrheit mit solch ausgrenzenden Positionen nicht gemein machen möchte. Auch die Mehrheit der Cis-Schwulen grenzt sich gegen offenkundige AntisemitInnen und RassistInnen ab. Allerdings haben unter Trans* insgesamt und unter Cis-Frauen und -Lesben bereits viele Diskussionen zu Ausgrenzung, zu Rassismus, zu Antisemitismus und Nationalismus stattgefunden – seit den 1980er Jahren. Auch setzen sich Cis-Frauen-Lesben-Kontexte zum Beispiel mit eigener Transfeindlichkeit auseinander – wenn auch noch lange nicht ausreichend, wie etwa das gute aktuelle Buch von FaulenzA eindringlich zeigt. In schwulen Kontexten finden diese Debatten hingegen leider kaum statt. Ich kann mich hier noch an furchtbar transfeindliche Plakate in Berlin erinnern, die nicht zu einem Aufschrei in der Community geführt haben.

Wie kann man diesen Entwicklungen begegnen und was wären sinnvolle Strategien ihnen entgegenzuwirken? Durch Streiten und gesetzliche Entscheidungen hat sich die Situation von Schwulen und Lesben verbessert, gerade wenn sie nicht antisemitisch, rassistisch oder transfeindlich diskriminiert sind – sie, auch ich, können dieses Privileg nutzen, um Marginalisierte zu unterstützen, anstatt sich darauf einzuschießen, die allerbesten und allerbürgerlichsten nationalen Deutschen zu werden. Anstatt uns zu bemitleiden und von „Sprechverboten“ zu schwadronieren, könnten wir weißen Schwule uns reflektieren und gucken, wo wir selbst diskriminieren und verletzen! Es geht darum, eigene Vorurteile zu bearbeiten und an den Sichtweisen anderer interessiert zu sein. Ja, vielleicht ist es das: Interessiert sein, lernen zuzuhören – das ist es, was uns alle weiterbringen kann. Zum Beispiel freue ich mich persönlich darauf, bei der Veranstaltung in Berlin-Weißensee die künstlerischen Arbeiten von Rüzgâr Buşki und Tal Iungman sehen zu können und darüber ins Gespräch zu kommen.

Interview: Andreas Scholz/Roberto Manteufel

Schwule in der AfD? Marine Le Pen und die Gay-Lobby?
06.06, 17:30 — Diskussion: Zur Debatte: Heinz-Jürgen Voss, Rüzgâr Buşki & Tal Iungman
08.06., 19:00 — Präsentation, Diskussion: Aktivist*innen im Exil - mit Mahmoud Hassino und Ahmed Ben Amor
09.06., 19:00 — Veranstaltung: Finissage
Kunsthalle am Hamburger Platz

Kunsthalle.kunsthochschule-berlin.de

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