Szene

Kriminalität im Fuggerkiez: Was sagt die Polizei?

6. Juni 2017
© Jason Harrell

Die Lage im Regenbogenkiez spitzt sich zu. Das beklagen u. a. Gewerbetreibende wie Reinhard Wöbke von der schwulen Szenebar Blond, der zum Vorstand des Anfang Juni gegründeten Vereins KiezCare gehört. Er fordert, dass die ansässigen Bars ihre Sicherheitspolitik verschärfen. SIEGESSÄULE berichtete. An den verschiedenen Treffen zwischen Gewerbetreibenden, Polizei und Behörden, die in den letzten Monaten stattfanden und in denen über die schwierige Situation im Fuggerkiez beraten wurde, nahm auch Kriminaloberkommissarin Maria Tischbier teil. Wir sprachen mit ihr über die Übergriffe und wollten wissen, um welche Form von Kriminalität es sich handelt, welche polizeilichen Strategien es dagegen gibt und inwieweit Kiezprojekte für die Arbeit der Polizei hilfreich sind.

Reinhard Wöbke vom Blond sieht den Fuggerkiez als „Schwerpunkt einer neuen Kriminalität“. Frau Tischbier, können Sie das bestätigen? Nein, nicht als pauschale Aussage. Es gibt saisonal immer wieder Anstiege. Ich will das nicht verharmlosen, aber wenn es wärmer wird und mehr Menschen draußen sind, passiert auch wieder mehr. Bisher haben wir jedoch keine massiven Ausreißer festgestellt. Wir gehen aber auch davon aus, dass nicht alle Vorfälle angezeigt werden.

Fakt ist, im Kiez gibt es Gewaltkriminalität. Um welche Kriminalität handelt es sich? Wir haben viele Taschendiebstähle und Raubstraftaten, Taschendiebstähle häufig durch Antanzen. Das läuft dann hier oft so, dass man den Männern sexuelle Dienstleistungen anbietet, sie gleichzeitig umarmt, in den Schritt fasst. Also den Leuten körperlich nahekommt und dabei das Portemonnaie klaut. Wenn sich die Person dann wehrt, sind wir schon im Raubbereich. Einzelne homophobe Übergriffe sind auch vorgekommen. Aber als Polizei haben wir es hier mehrheitlich mit Eigentumskriminalität zu tun.

Die Übergriffe sind also nicht vorrangig homo- und transphob motiviert? Wo eine homophobe Grundmotivation auch bei den Eigentumsdelikten eine Rolle spielt, ist sehr schwierig nachzuweisen. Wenn wir den Täter fassen, wird er natürlich den Teufel tun, uns das mitzuteilen, denn das könnte sich ja auch tatverschärfend auswirken. Die tatsächliche Motivation ist häufig sehr schwer rauszukriegen.

Inwieweit handelt es sich um Banden- bzw. Stricherkriminalität?
Auch das mit den Strichern ist immer schwierig. Wenn jemand als Taschendieb auftaucht, könnte er vielleicht auch Prostituierter sein. Das wird man aber im Zweifel auch nicht rauskriegen. Er wird es auch nicht unbedingt sagen, wenn wir ihn danach fragen. Das gehört dann außerdem nicht zur polizeilichen Ermittlungsarbeit, da es in so einem Fall ausschließlich um den Diebstahl oder Raub geht. Das heißt, wir gehen davon aus, dass es vereinzelt Prostituierte sind, die Männer beklauen bzw. berauben. Da im Kiez viele Menschen unterwegs sind, ähnlich wie am RAW-Gelände in Friedrichshain oder in anderen Partyvierteln, wissen die Täter, da gehen Leute aus, die haben Geld dabei, die haben vielleicht Alkohol getrunken und sind nicht mehr so aufmerksam. Das greift für diesen Kiez ebenfalls.

Was sagen Sie zu Gerüchten, dass es sich zum Teil um organisierte Banden handeln soll? Ich weiß von diesen Gerüchten. Ich kann dazu nur sagen, es gibt da keine erwiesenen Zusammenhänge. Also dass da irgendwo die Spinne im Netz sitzt, die ihre Leute losschickt.

Reinhard Wöbke vom Blond sagte gegenüber SIEGESSÄULE, dass sich „die Lage auch zuspitzt, weil die Bars keine Sicherheitspolitik betreiben …“ Wir treffen uns regelmäßig mit Leuten vom schwulen Berliner Anti-Gewalt-Projekt Maneo, mit Gewerbetreibenden und der Bezirksbürgermeisterin. In diesen Runden sagen die Barbesitzer, dass sie auffällig gewordene Leute aus ihren Läden rausschmeißen und nicht wieder reinlassen. Da stellt sich dann aber auch die Frage, weiß denn ein Betreiber, dass ein Gast vielleicht woanders schon mehrmals geklaut hat. Im gesamten Kiez gibt es etwa 80 Lokale mit sehr verschiedenen Zielgruppen und Ausrichtungen. Und solange es dort eben auch Prostitution gibt, werden wir gewisse Probleme haben. Hinzu kommt, dass es immer wieder andere Stricher sind. Und auch wenn Kollegen, die häufig in zivil im Kiez unterwegs sind, diese Menschen vor Ort ansprechen, Platzverweise erteilen oder Personenkontrollen machen – es ist eine Sisyphusarbeit, weil sich die Leute immer wieder austauschen.

Welche Rolle spielen die Freier dabei? Ich möchte natürlich nicht den Freiern die Schuld in die Schuhe schieben. Aber wenn jetzt rein theoretisch keiner da wäre, der Prostitution in Anspruch nimmt, dann hätten wir da auch keine Prostituierten. Das bedingt sich ja immer gegenseitig. Aber ich kann natürlich nicht den Freier für die Raubtat auf der Straße verantwortlich machen. Generell sollte jeder, der sich in diesen Partylocations aufhält, überlegen, ob er die Kreditkarte vielleicht besser zu Hause lässt, nicht ganz so viel Bargeld mitnimmt, sich nicht völlig abschießt oder mit Freunden gemeinsam dahin geht.

Wie effektiv sind diese Kiezrunden?
Für uns die Polizei, ist es ganz wichtig zu wissen, welche Sorgen jeder im Kiez hat. Wir wissen, dass da Straftaten passieren. In der Konsequenz gibt es auch immer wieder Einsätze und Aktionen seitens der Polizei. Das ist allerdings auch immer eine Gratwanderung. Auf der einen Seite wollen wir was tun, auf der anderen Seite wollen wir natürlich nicht jeden Abend mit mehreren Einsatzhundertschaften vor Ort erscheinen und die Stimmung verderben.

Welche polizeilichen Strategien gibt es, dieser Gewalt zu begegnen? Wir zeigen Präsenz, fahren generell abends mit dem Funkwagen mehrmals durch den Kiez und es sind Zivilbeamte im Einsatz. Die gehen auch in die Lokale und sprechen mit den Wirten. Wir sind auch präventiv aktiv. Im Sommer haben wir seit Jahren gemeinsam mit Maneo einen Infostand, häufig direkt vorm Spielplatz. Ein Schwerpunkt ist dabei, die Menschen zur Anzeigenerstattung zu motivieren.

KiezaktivistInnen haben die Webseite safeplace.berlin ins Leben gerufen, auf der man Vorfälle im Kiez melden kann. Was sagen Sie zu diesem Angebot? Ich weiß nicht, ob es psychologisch sinnvoll ist, viele unterschiedliche Angebote zu etablieren. Zumal ich von anderen Projekten weiß wie lange es dauert, bis diese überhaupt bekannt sind. Von daher finde ich den Effekt fraglich. Seit 25 Jahren gibt es Maneo, da kann man Vorfälle melden, auch wenn man keine Anzeige erstatten will. Man kann zur Polizei gehen oder den Sachverhalt bei der Polizei Berlin über die Onlinewache melden. Außerdem müsste man gucken, hat die Person das wirklich nur bei safeplace.berlin oder auch bei der Polizei oder Maneo gemeldet. Da müsste man sich unbedingt abstimmen, um am Ende eine halbwegs brauchbare Zahl zu kriegen.

Was sagt die aktuelle Statistik über die Anzahl homo- und transphober Gewalt in Berlin? Laut Statistik gab es in der Stadt im vergangenen Jahr 155 homo- und transphobe Vorfälle. Das ist eindeutig ein Anstieg. Zum Vergleich: 2015 wurden 117 Taten gemeldet. Wobei ich das ja insgesamt „positiv“ bewerte. Wenn wir irgendwann mal so an die Tausender Marke kommen, dann denke ich, kommen wir halbwegs an die realistische Situation.

Spielt bei diesen Zahlen also auch eine Rolle, dass sich Betroffene häufiger als bisher bei der Polizei melden? Das ist eine Vermutung. Deshalb sage ich immer, steigende Zahlen finde ich erstmal „gut“, weil wir sowieso wissen, dass wir ein sehr hohes Dunkelfeld haben.

Werden homo-und transphobe Übergriffe von der Polizei öffentlich öfter als früher auch als solche benannt? Könnte sein, das wäre jedenfalls eine positive Entwicklung. Deshalb brauchen wir weiterhin auch ganz dringend Initiativen wie Maneo oder das neue lesbische Anti-Gewalt-Projekt L-Support. Weil die in die Communities reingehen und sagen, zeig das an, die Polizei nimmt euch ernst. Diese Arbeit wirkt für uns Polizei als Multiplikator und ist enorm wichtig. Weil diese Projekte auch für Vertrauen zur Polizei werben können. Damit wird den Leuten in der Community signalisiert, das ist hier nicht dein privates Problem, sondern da ist auch der Staat mit im Boot und schützt dich.

Interview: Andreas Marschner

Kriminalität im Fuggerkiez eskaliert. Was tun? (Interview mit Reinhard Wöbke vom Blond, 30.04.2017)

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