Film

Mein schwules West-Berlin

26. Juni 2017
(c) Salzgeber / Schwules Museum*

Berlin gilt bis heute als queerer Zufluchts- und Sehnsuchtsort. Den Emanzipationskämpfen, die den Freiheitsmythos der Stadt mitprägen, spürt Jochen Hick mit seiner Dokumentation „Mein wunderbares West-Berlin“ nach und begibt sich auf einen Streifzug durch die schwule Bewegungsgeschichte seit der Nachkriegszeit: in die 50er- und 60er-Jahre, in denen es noch starke Repressionen aufgrund des Paragraf 175 gab, sich aber bereits eine lebhafte Subkultur entwickelte; in die 70er und 80er, in denen sich die Bewegung weiter organisierte, ausdifferenzierte und schließlich mit den drastischen Folgen von Aids konfrontiert war.

Dabei teilen unter anderem Politaktivisten, Künstler und Historiker ihre persönlichen Erinnerungen an rauschende Feste, subversive Politaktionen und das Aus- und Erleben ihrer Sexualität. Sehenswert sind die zahlreichen Archivaufnahmen und privaten Bilddokumente, die zum Beispiel teils hitzige Diskussionen der Homosexuellen Aktion West-Berlin zeigen oder Einblicke in damalige Szeneorte wie das Eldorado gewähren. Leider verliert sich die Darstellung mitunter in den Anekdoten der hauptsächlich schwulen Protagonisten. Auch hätten einige Bilder und Kommentare dringend Anlass zur Vertiefung oder Selbstkritik der Interviewten geboten, gerade wenn es um Sexismus, Trans*feindlichkeit und Rassismus in der eigenen Community geht.

Die Notwendigkeit, queere Geschichte innerhalb der eigenen Zusammenhänge festzuhalten, an die Folgegeneration weiterzugeben und dabei nicht zu verwischen, betont der schwule Filmemacher und Teddy-Chef Wieland Speck schließlich selbst in „Mein wunderbares West-Berlin“. „Nur so haben wir auch eine Geschichte“, sagt er in einem Kommentar und bezieht dies eindeutig auf Schwule, Lesben und trans* Personen. Umso irritierender wirkt es, dass im Film fast ausschließlich die Erzählung der schwulen Bewegungsgeschichte erfolgt. Feministisch-lesbische, trans*aktivistische oder antirassistische MitstreiterInnen, die sich spätestens seit Beginn der 70er-Jahre organisierten und die Szene West-Berlins mitgestaltet haben, kommen in dieser Dokumentation kaum zu Wort. Zwar tauchen Wegbereiterinnen und -begleiterinnen wie Mahide Lein oder Manuela Kay kurz auf, erhalten aber im Gegensatz zu den schwulen Männern nur wenig Raum. Eine Aufnahme des Dyke* Marches 2016 zum Abschluss wirkt in der Gesamtheit des Filmes wie ein nachträglich hinzugefügter Versuch eines politischen Schulterschlusses mit lesbischen Aktivistinnen.

Letztlich verwischt eine so reduzierte Darstellung nicht nur wichtige Bewegungszusammenhänge, sondern schreibt zudem die Emanzipationskämpfe und ihre Erfolge auch vornehmlich einer schwulen Bewegung zu. Das wunderbare West-Berlin von Jochen Hick ist ein schwules – so hätte es zumindest auch benannt werden können.

Steff Urgast

Mein wunderbares West-Berlin,
D 2017 Regie: Jochen Hick,
ab 29.06. im Kino

SIEGESSÄULE präsentiert
Preview bei MonGay,
26.06., 22:00, Kino International

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