Kommentar

Merkel, die Themendiebin!

29. Juni 2017
©CDU/ Laurence Chaperon

Die Ehe für alle kommt - dank Merkel? Nicht zum ersten Mal hat die Kanzlerin ein Oppositionsthema für sich vereinnahmt. Oft genug waren das vergiftete Geschenke, findet unsere Kommentatorin Katrin Kämpf

Sie hat es wieder mal getan. Nichts getan, ausgesessen und blockiert, um dann in einem perfekt getimten Merkel-Move ein Oppositionsthema abzugrasen: Erst den Atomausstieg, dann die temporäre Öffnung der Grenzen für Geflüchtete und nun die Öffnung der Ehe.

Am Montag Abend nutzte die Kanzlerin das eher launige Talk-Format „Brigitte-Live“, um ihren Kurswechsel in Sachen Eheöffnung zu verkünden. In der Publikumsfragenrunde lieferte ihr ein bekennender Merkel-Fan die Steilvorlage. Wie es denn nun aussehe mit der Heiraterei für ihn und seinen Freund, wollte er wissen. Und gab so der Kanzlerin die Gelegenheit, in gewohnt mäanderndem Duktus auszuführen, dass sie die Entscheidung darüber letztlich für eine „Gewissensentscheidung“ halte, die kein Gegenstand von Parteitagsbeschlüssen sein solle.

Bis vor Kurzem hatte sie noch kategorisch die völlige Gleichstellung abgelehnt, sie tue sich da ganz bauchgefühlig eben „schwer“. Ihr diesmaliger Fukushima-Moment, der den Gewissensumschwung verursacht habe, so zumindest die hastig hinterher geschobene Legende, sei die Begegnung mit einer rührigen Lesbe aus ihrem Wahlkreis gewesen, die zusammen mit ihrer Partnerin eine ganze Schar von Pflegekindern großziehe. Und somit ja mit höchstem Segen des Jugendamtes „die gleichen Werte“ leben würde. Und wenn denn nun sogar das Jugendamt glaube, dass da nichts schiefgehe, könne sie selbst wohl kaum noch mit Zweifeln am Kindeswohl argumentieren, so Merkel.

Ihre Einlassungen wurden in der Öffentlichkeit nicht zu Unrecht als Aufhebung des Fraktionszwanges bei der Entscheidung über die Eheöffnung gedeutet, die sie am Dienstag dann auch formal vollzog. Und so ein weiteres Mal ihr präzises Gefühl für strategische Themenübernahmen unter Beweis stellte. In den Vorwochen hatten alle potenziellen Koalitionspartner nämlich die Eheöffnung zur Koalitionsbedingung erklärt und ließen sich nun – sekundiert ausgerechnet von der SPD mit ihren bisherigen Blockaden im Rechtsausschuss – ein formidables Wahlkampfthema vor der Nase wegschnappen.

Einerseits gibt es morgen hoffentlich tatsächlich Grund zur Freude – auch weil das leidige Thema seit Jahren Energien bindet, die dringend anderswo gebraucht würden. Wer andererseits allerdings glaubt, nun staatstragende Dankbarkeit präsentieren zu müssen, sollte die Merkelschen vermeintlichen „Schnellschüsse“ der letzten Jahre nochmals Revue passieren lassen. Zu oft verbargen sich hinter den strategisch eingesetzten Banalhumanismen wohl platzierte und präzise getimte Immunisierungsgesten, die sich später als vergiftete Geschenke entpuppten. So ging die temporäre Grenzöffnung im langen Sommer der Migration mit den krassesten Verschärfungen des Asylrechts seit den 1990er Jahren, mit der Aussetzung des Familiennachzuges, schmutzigen Migrationsstop-Deals und einer brutal durchgesetzten Abschiebepolitik einher, die auf viel zu wenig Widerstand stießen. Auch da es der Kanzlerin gelungen war, sich als Retterin der Verzweifelten und Gesicht eines humanitären Europas zu positionieren und ihre Asylpolitik so nahezu immun gegenüber Kritik von links zu machen. Im Champagnerkorken-Getöse um die Eheöffnung droht nun unterzugehen, dass vor gerademal einer Woche die Entschädigung der Betroffenen des §175 dank einer Last-Minute Änderung von Union und SPD zur Demütigung verkam, die mehr oder weniger die letzte gültige Fassung des 175er affirmierte, anstatt seine Opfer konsequent zu entschädigen, von der unerträglichen Trödelei mit der überfälligen Reform des „Transsexuellengesetzes“ ganz zu schweigen.

Katrin Kämpf

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