Interview

Traumschiff oder Alptraum? Die Doku „Dream Boat“ über eine schwule Kreuzfahrt

4. Juli 2017

Bei der Berlinale 2017 sorgte Tristan Ferland Milewskis Dokumentarfilm über eine siebentägige Gay Cruise für Aufsehen. Wir trafen ihn zum Interview

04.07.17 – Für manche wäre allein die Vorstellung ein Alptraum: Eingesperrt mit 3.000 Schwulen sieben Tage lang auf einem Kreuzfahrtschiff die spanische Küste entlangcruisen. Eine Konservenbüchse voller Muscle Marys auf hoher See! Regisseur Tristan Ferland Milewski, bekannt geworden u. a. mit der Serie „Make Love. Liebe kann man lernen“, hat über diese Reise eine Dokumentation gemacht: „Dream Boat“. Dabei gelingt es ihm, mithilfe seiner Protagonisten zu zeigen, was unter der Hochglanzfassade steckt

Wie ist die Idee für „Dream Boat“ entstanden?
Zusammen mit dem Produzenten Christian Beetz bin ich für diese Idee entflammt und wir haben für diesen Film gekämpft. Diese Kreuzfahrten sind ja bekannt in der Community, und es ist ein spannendes Phänomen, so ein Boot mit 3.000 Männern. Es ist ein Ort, an dem ganz viele Geschichten zusammenkommen, ein Mikrokosmos, für viele ist es auch ein Zufluchtsort, denn viele Teilnehmer können in ihrem Herkunftsland nicht offen schwul leben.

Man könnte den Film als anti-emanzipatorisch bezeichnen oder gar einseitig. Es herrschen einigermaßen strenge Schönheits- und Attraktivitätszwänge auf so einem Boot.
Natürlich spiegelt der Film nicht die gesamte gay community wieder, sondern einen Ausschnitt. Man sieht, dass die fünf Protagonisten ganz unterschiedlich mit dieser Normierung umgehen. Die Frage ist doch auch, wo kommt diese Überinszenierung von Männlichkeit her? Ich finde schon, dass die Betonung von körperlichen Idealen und Geschlechternormativen ein Thema in der gesamten Gesellschaft ist. Mir ging es darum, auf der einen Seite natürlich in die Szene hineinzugehen, aber auch Dinge zu reflektieren, die alle betreffen. Bestimmte Grundfragen, wie wir alle lieben und leben wollen und uns auf diesen Markt werfen, um angenommen zu werden. Und dann doch wieder allein zu bleiben, das ist ja der Trend in der westlichen Welt.

Was ist mit dem Jugend- und Schönheitswahn?
Das ist genau das, was ich auch hinterfragen möchte. Wenn ich etwa mit dieser Gruppe von älteren Männern spreche oder auch mit Marek, der zwar total diesem Schönheitsideal entspricht, aber dann merkt: „Vielleicht bin ich doch am falschen Ort“. Man hat halt zunächst diese bunte Oberfläche, und dann gucke ich dahinter auf die ganzen menschlichen Fragen, aber auch generell auf diese Normierung und das Konsumverhalten. Ich will diese Fragen schon aufwerfen, aber ohne jemand plattzumachen. Die Protagonisten sind mir schon sehr lieb und wertvoll.

Dipankar aus Indien sagt: „Wenn du in der schwulen Szene unterwegs bist, brauchst du eben diese und jene körperlichen Features, sonst hast du keinen Erfolg“. Hast du beobachtet, dass Teilnehmer wie er doch sehr eingeschüchtert waren von der geballten Männlichkeit an Bord?
Ja, ich glaube, gerade bei ihm war das am Anfang eindeutig so. Aber das Interessante ist, dass speziell er auch gestärkt aus der ganzen Sache rausgegangen ist, mit nem ganz anderen Selbstverständnis nach der Erfahrung in der großen Gruppe. Er ist verändert zurückgegangen ins Berufsleben, in die Familie, hat sich geoutet ... Aber klar: Es ist schon speziell dort. Du merkst auch ganz genau, wer war schon mal dabei und kennt sich aus, wer ist zum ersten Mal da … Und dann taucht man voll ein, aber natürlich gibt es auch so was wie Katerstimmung. Innerhalb des Reise-Zeitraums gibt es natürlich diese Kurve.

Wo Sehnsuchtsort ist, ist auch Desillusionierung?
Das wollte ich zeigen. Auch die gesellschaftlichen Fragen, die dadurch aufkommen, die gespiegelt werden teils für die gay community, teils für die Gesellschaft insgesamt. Die Unterschiede sind gar nicht so groß. Das ist ja das Tolle, wenn man dokumentarisch arbeitet, dass man lernt, genauer hinzugucken, seine eigenen Vorannahmen zu hinterfragen. Der Film zeigt zwar Klischees, aber er bricht sie auch. Auf der einen Seite sieht man diese totale Normierung, und auf der anderen Seite haben wir diese wie ich finde sehr berührenden Paargeschichten wie Ramzi und Lionel oder Philippe und Denys, die sehr liebevoll miteinander umgehen.

Wie haben sich die fünf Hauptakteure herauskristallisiert?
Ich bin im Vorjahr mit nem kleinen Team schon mitgefahren, habe erste Aufnahmen gemacht und Leute kennengelernt. Auf einer geschlossenen Facebookseite können sich Mehrfachteilnehmer austauschen, aber sich auch mit neuen Teilnehmern connecten. Das war auch ne Möglichkeit, den Dreh schon mal anzukündigen. So konnte ich schon im Vorfeld mit ganz vielen Leuten sprechen, die Geschichten sollten ja auch unterschiedlich sein. So war haben sich dann die Charaktere herauskristallisiert, die ich toll finde.
Kurzum, ich wusste halt schon einiges über die Leute und habe überlegt, wer könnte interessant sein, wo könnte eine Geschichte dahinter stecken.
Wir haben ja speziell in Berlin den großen Luxus, dass es so eine vielfältige Szene gibt, wo wirklich alle Buchstaben des LGBTIQA vertreten sind. Diese Vielfalt ist großartig und immer noch nicht selbstverständlich. Für viele auf der Kreuzfahrt ist es halt so, dass sie, wenn sie die Mittel haben, dann vielleicht einmal im Jahr so ein Event feiern und darauf hinfiebern. Für sie ist das bisschen Szene, das sie sonst kennen, sehr limitiert, und auf dem Dreamboat können sie feiern und Kontakte knüpfen.

Wie war es mit der Crew an Bord? Sicher gibt es ne Menge aufzuräumen nach den täglichen Mottopartys ...
Also die Crew mag die Gay Cruise, ein Film darüber wäre sicher auch interessant. Die Besatzung kam in erster Linie aus Brasilien und von den Philippinen. Für die ist das die Woche des Jahres. Der Tenor war: „Die Gäste haben alle gute Laune, freuen sich, sind nett zu uns. Im Gegensatz zu manchen Kleinfamilien, die übellaunig sind und ständig was auszusetzen haben.” Statt den Flieger zu nehmen, kommen manche Teilnehmer übrigens mit den Auto, weil sie so viele verschiedene Kostüme mitbringen … Natürlich gibt es für die Crew ne Menge Arbeit, aber dafür hast du dann keine Windeln im Abfluss. (lacht)

Tristan Ferland Milewski © Kai Wiechmann

Interview: Frank Hermann

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