SIEGESSÄULE präsentiert

Eine neue sexuelle Demokratie: das Festival „Pugs in Love“

4. Juli 2017
Iury Trojaborg und seine BühnenpartnerInnen Jair Luna und Simon(e) J. Paetau (v. l. n. r.) in „Frutas Afrodisíacas“ © Michaela Muchina

Bescheiden ist der Anspruch des „Queer Weekend“ im Gorki wahrlich nicht: „Unser Masterplan sieht vor, den Weg für eine zweite sexuelle Revolution zu bereiten“, so der Kurator Tobias Herzberg. „Es geht um eine neue sexuelle Demokratie, in der wir ohne einengende Labels und Kategorien uns selbst feiern.“ Ort des umstürzlerischen Geschehens ist das Studio Я des Maxim Gorki Theaters, das sich seit der Eröffnung im Herbst 2013 als Schutzraum und Experimentierbühne für marginalisierte Positionen etabliert hat.

Das viertägige Festival soll nun die künstlerischen Zugriffe zum Thema Queerness bündeln, um die nötige Schlagkraft zu entwickeln. Neben Theater, Musik und Performance laden Diskussionen, Stadtspaziergänge und Publikumsgespräche dazu ein, sich unerwarteten Perspektiven, Erzählweisen und Positionen auszuliefern. „Als durchgehendes Prinzip gilt dabei, dass nicht für andere gesprochen wird, sondern dass die Marginalisierten selber zu Wort kommen“, so Tobias Herzberg. So berichtet Daniel Hellmann in der Soloperformance „Traumboy“ über seine Erfahrungen als Sexarbeiter, queere Geflüchtete in „Kunst der Flucht“ über mehrfache Stigmatisierung und Diskriminierung, während in „Frutas Afrodisíacas“ die Westberliner Tuntenbewegung der 80er durch die lateinamerikanische Brille betrachtet wird.

In „Don’t Worry Be Yoncé“ dagegen wird in wenigen Schritten vorgeführt, wie man sich in Beyoncé verwandelt – unabhängig von Geschlecht, Schuhgröße oder Haarfarbe. „Stephanie van Batum und Stacyian Jackson feiern Beyoncé als Königin des Popfeminismus“, erklärt Tobias Herzberg. „Es ist ein liebevoll-ironischer Umgang damit, wie man seinen Körper einsetzt, um sowohl als Frau als auch als Feministin wahrgenommen zu werden. Und wie man mit seiner Präsenz den ganzen Raum einnimmt, ohne gleichzeitig auf den Körper reduziert zu werden.“ Eine besondere Erfahrung verspricht auch der performative Stadtspaziergang „Walking:Holding“ von Rosana Cade: Hand in Hand spaziert man mit wechselnden, völlig unterschiedlichen Personen durch die Stadt. Auch hier geht es um das Aufbrechen gewohnter Sichtweisen und Zuschreibungen.

Um gegen alle einengenden Labels anzustürmen, versucht man darüber hinaus im Studio offensichtlich alle gängigen Begrifflichkeiten aufzulösen: „Heterosexualität als postnormatives Konzept“ heißt einer der drei diskursiven Beiträge, in dem es um sexpositive Positionen geht. „Sind wir nicht alle heterosexuell – in der ursprünglichen Bedeutung von ,hetero‘ als ,andersartig‘?“, fragt Kurator Tobias Herzberg provozierend. Zumindest bindet man damit nicht nur die queeren Communitys ein, sondern auch ein breites, interessiertes Publikum. Denn ein reines Nischenprogramm möchte „Pugs in Love“ nicht sein – trotz des kryptischen Titels. „Verliebte Möpse“, so in etwa die Übersetzung, baut auf dem Akronym PuG auf, das für „Perverse und Gefährdete“ steht: „Bei der Wahl des Titels ging es um keine ausgrenzende Praxis, sondern eher um die Generierung von Aufmerksamkeit.“

Carsten Bauhaus

SIEGESSÄULE präsentiert
„Pugs in Love – Queer Weekend“, 06.07.–09.07., Do. ab 19:00,
sonst ab 17:00, Studio Я – Maxim Gorki Theater


Paneldiskussion „Wer ist queer?“, 06.07., 19:00,
Lichtsaal im Gorki Theater. Moderation: Diana McCarty,
mit SIEGESSÄULE-Redakteurin Kaey u. a.

Queer hat in den letzten 30 Jahren einen Bedeutungswandel erlebt. Vom englischsprachigen Schmähbegriff gegen Einzelne hat sich queer zu einem weitgefächerten Attribut entwickelt, das beschreibt, was sich Beschreibungen eigentlich entziehen will. Es gibt queere Theorien, queere Politik, queere -ismen. Und, ja: Nach wie vor gibt es queere Menschen. Aber wer entscheidet eigentlich, wer queer ist? Schaffen neue Kategorien nicht automatisch neue Ausgrenzung? Wer hat die Deutungshoheit über den Begriff? Und welche Rolle spielt queer für künstlerische, aktivistische oder publizistische Strategien?

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