Kommentar

Im Kleintierzüchterverein Tuntenhausen

20. Juli 2017
Patsy l'Amour laLove © Dragan Visual Arts

Ich wurde ja neulich in einem Artikel der SIEGESSÄULE über die „Zehn wichtigsten Tunten Berlins“ zur schönsten Tunte der Welt ernannt! Naja, das nun nicht. Aber ich war unter den zehn Nominierten, und mal im Ernst: kaum war die Liste veröffentlicht, schon ging das Gekeife los. Einige der nominierten Tunten seien – Himmel! – gar keine echten Tunten. Zu schön, zu unpolitisch, zu glamourös, zu viel Dragqueen, so die Vorwürfe.

Herzlich willkommen im Kleintierzüchterverein Tuntenhausen! Herrscht eine Angst unter den Berliner Tunten vor zu schönem Make-up? Wer hat es verdient, Tunte genannt zu werden?

Höchste Zeit, den Begriff Tunte mal wieder ein bisschen unter die Lupe zu nehmen. Woher kommt sie, was will sie und warum sieht sie so aus? Ein wenig Geschichtliches könnte helfen.

Das Tuntentum in Berlin hat nicht nur eine lange, sondern auch eine sehr bewegte Vergangenheit. Die Westberliner Tuntentradition reicht bis Magnus Hirschfeld zurück: schon 1904 berichtet er von den „Tanten“ in überzogenem Geschmeide mit schillerndem Gestus. Die Tunte als öffentliche Selbstbezeichnung und Kampfbegriff taucht erst später auf, erstmals 1971 im Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ von Rosa von Praunheim (übrigens auch ein Tuntenname). Darin heißt es: „Tunten sind nicht so verlogen, wie der spießige Schwule! Tunten übertreiben ihre schwulen Eigenschaften und machen sich über sie lustig. Sie stellen damit die Normen unserer Gesellschaft in Frage und zeigen, was es bedeutet, schwul zu sein!“

Der Streifen löste die radikale Schwulenbewegung in der BRD aus und war vielen Inspiration. Fortan nannte man sich nicht nur „schwul“. Als doppelte Provokation gegenüber dem Mainstream und auch gegenüber den Schwulen machten sich viele der Schwestern zu Tunten oder Polittunten.

Dieses Frühjahr verstarb eine berüchtigte Tunte dieser Zeit: Baby Jane (nicht zu verwechseln mit ihrer Namensvetterin BayB.Jane, der „kleinsten Tunte der Welt“, die aktuell die Bühnen Europas unsicher macht). Baby Janes Berliner Wohnung war bis zuletzt voll von Tuntenuntensilien, Kuhglocken, die sie als Ketten, und Weihnachtskugeln, die als Ohrringe trug. Im Trocadero brachte sie die Travestie-Shows durcheinander, wenn sie dort, in Absperrbänder gekleidet und sturztrunken, den Preisfasching gewann. Ihr Leitspruch für das Tuntesein, so sagte sie mir einmal, war: „Tritt so uff, wie du det für richtig hältst“. Und das vor allem dann, wenn jemand was dagegen hat. So musste Baby Jane, die Hauptschullehrerin war, in den 1970er Jahren gegen ein Berufsverbotsverfahren ankämpfen. Unter anderem weil sie sich weigerte, auf ihre grünlackierten Nägel, die Sexualaufkärung der Schüler und ihre Tuntigkeit im Unterricht zu verzichten.

Ihre Schwester Mechthild Freifrau von Sperrmüll, um nur eine weitere zu nennen, gründete die erste Westberliner Gruppe 1971 mit und war die wohl wortgewaltigste Polittunte. Sie verband Glamour und Trümmer: es musste schon ein atemberaubendes schwarzes Abendkleid sein, doch immer mit ästhetischem Hinweisen darauf, dass es sich um eine Tunte handelte.

Später, zu Zeiten von Aids, eroberten wieder einige Tunten die Bühnen, die ihren Aktivismus mit Shows in Aids-Stationen von Krankenhäusern oder großen Benefiz-Galas auslebten. Diese Gruppe ist bis heute als SchwuZ-Tunten bekannt. Tuntig war an ihren Shows die Mischung aus Zumutung, Unterhaltung und Solidaritätsaufrufen. Das Spektrum reicht auch hier von einer BeV Stroganoff, die will, dass Make-up und Fummel schön aussehen, bis hin zu einer Melitta Poppe, der wichtiger ist, was sie politisch zu äußern hat, und die sich statt einer Perücke Backwaren oder Hundekotbeutel auf den Kopf legt. Mit ihren Programmen jedenfalls waren Tunten wie Melitta, Chou Chou, Tima, BeV, Pepsi oder Ichgola für viele Homos der Einstieg in politisches Denken und Engagement.

Wagen wir einen großen Sprung in die Gegenwart: Doris Belmont, eine gute Tuntenfreundin, die ungefähr in meinem Alter ist (höchstens circa 15 Jahre älter als ich), sagt stets von sich: „Ich bin eine extrem gut geschminkte Tunte.“ Und tatsächlich sieht sie bezaubernd aus. Sie braucht sehr lange für ihr Make-up und stimmt ihre Outfits perfekt auf jede Gelegenheit ab. Doris ist außerdem eine wortgewandte und intelligente Polittunte, die ihre Schrulligkeit aus vollem Herzen lebt und die die Leute mitzureißen versteht. Und genau darum geht es doch! „Es ist nicht wichtig, wie sich eine Tunte bewegt – sondern, dass sie etwas bewegt“, sagte Ovo Maltine und das sollte sich der selbsternannte Kleintierzüchterverein unbedingt zu Herzen nehmen.

Selbstverständlich kenne ich auch dieses Distinktionsbedürfnis: Seit RuPaul brauchen einige Tunten plötzlich wegen Conturing, Powdering und Dongelding über 2 Stunden um sich zu schminken, statt sich gemeinsam in 10 Minuten ins Gesicht zu klatschen, was die DM-Tester-Döschen hergaben. Aber weil die sich nun so lange schminken, sind das keine Tunten mehr – also „keine von uns“?

Da läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Für mich ist gerade diese skurrile Vielfalt von Trümmertrinen und Glamourschachteln das wohlig Tuntige an der Geschichte. Nur weil ich eine Tunte bin, muss ich ja auch nicht jeden Schritt einer anderen Tunte befürworten. Etwas mehr tuntigen Eigensinn, etwas weniger Überidentifizierung und regressives Kollektiv bitte! Sobald es nur noch darum geht, vorzuschreiben, wie man als Tunte zu sein hat, trete ich mit sofortiger Wirkung aus diesem Verein aus, dessen Mitgliedschaft ich nie beantragt habe.

Die Tunte steht für eine Befreiung von Zwängen, wie unvollständig und deplatziert sie dadurch auch wirken mag. Statt zu behaupten: „So schlimm sind wir doch gar nicht“, kreischt die Tunte der Welt aus ihrem zausigen (oder gut frisierten) Dutt entgegen: „Wir sind noch viel schlimmer!“ Sie verwirklicht eine Entlastung, kann betont uncool und unattraktiv sein – und sich damit nur umso schöner und angebrachter fühlen. Die Tunte feiert, was nicht so recht zusammenpasst: Das schöne Leben jetzt und in vollen Zügen. Die vielen Visagen der Tunte stellen diesen Wunsch, der in ihr zum Ausdruck kommt, nur umso besser dar.

Patsy l‘Amour laLove

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