Politik: Wahlkampf

Sahra Wagenknecht im Interview: „Wir wollen Brot und Rosen“

11. Aug. 2017
Sahra Wagenknecht © Nicole Teuber

Im Kontext der Öffnung der Ehe wurde Sahra Wagenknecht (Die Linke) in den letzten Monaten mangelndes Engagement vorgeworfen. Nun ist die „Ehe für alle“ da, und SIEGESSÄULE-Autor Daniel Call sprach im Rahmen unserer Wahlberichterstattung mit Frau Wagenknecht per E-Mail über ihre Beweggründe für die öffentliche Zurückhaltung, ihre Sicht auf den russischen Präsidenten Putin, die Europäische Union, die NATO und das politische Profil ihrer Partei

Frau Wagenknecht, Ende Juni wurde im Bundestag die „Ehe für alle“ beschlossen. Ihre Fraktion hat die Öffnung der Ehe zwar stets befürwortet, aber Sie persönlich, als „Galionsfigur“ der Linken haben sich dieses Themas nie wirklich angenommen. Woher kommt diese Zurückhaltung? Oder ist uns da eine Grundsatzrede entgangen? Wir haben in der Fraktion und im Fraktionsvorstand eine thematische Arbeitsteilung, anders ließe sich die Arbeit gar nicht bewältigen. Entscheidend sind nicht Grundsatzreden, sondern konkrete Politik. Dass das Thema für Die Linke von großer Wichtigkeit ist, haben wir dadurch unterstrichen, dass Partei und Fraktion sich seit Langem für eine Öffnung der Ehe für alle starkgemacht haben. Selbstverständlich treten wir dafür ein, dass allen Menschen die gleichen Rechte gewährt werden – unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihrem Alter oder ihrer sexuellen Orientierung! Die Diskriminierung von homosexuellen oder queeren Menschen ist absolut inakzeptabel. Emanzipatorische Kräfte stärken – unter diesem Motto fand erst vor wenigen Monaten ein Empfang unserer Fraktion in Berlin statt, um nur ein Beispiel zu geben.

Ist die Gleichstellung Homosexueller für Sie Teil der gesellschaftlichen Emanzipation oder eher eine Luxusdebatte? Gleichstellung ist für uns kein Luxus, im Gegenteil: Der Kampf für soziale Rechte geht einher mit dem Kampf gegen Diskriminierung. Es gibt nicht von ungefähr den schönen Kampfslogan: Wir wollen Brot und Rosen. Zu denken, zu sagen und zu lieben was und wen man will – das sind wesentliche Freiheiten, die Linke immer verteidigen werden. Es freut mich, dass viele homosexuelle oder queere Menschen in der Linken aktiv sind.

Sie setzen sich für ein engeres Verhältnis zu Russland ein. Haben Sie bei Ihren Treffen mit russischen Regierungsvertretern auf Präsident Putins homophobe Politik und Menschenrechtsverletzungen in der Teilrepublik Tschetscheniens hingewiesen und auf Kurskorrektur gedrängt? Sie überschätzen meine Kontakte und meinen Einfluss auf die russische Politik. Es ist leider so, dass in vielen Ländern Homosexuelle verfolgt werden, und selbstverständlich kritisieren wir das, egal wo es passiert. Ich halte es allerdings für unehrlich, nur im Fall Russland auf die Problematik zu verweisen, während die systematische staatliche Verfolgung Homosexueller in vielen anderen Ländern kaum öffentlichen Aufschrei provoziert. So steht u. a. in Saudi-Arabien und den Golfemiraten auf Homosexualität die Todesstrafe. Unsere Fraktion hat übrigens – als einzige Fraktion – zur Situation in Tschetschenien einen Antrag in den Bundestag eingebracht.

Sie gelten ja nicht unbedingt als die harscheste Kritikerin des russischen Präsidenten. Wie lassen sich dessen Syrienpolitik und die Annexion der Krim mit der erklärten pazifistischen Grundhaltung Ihrer Partei vereinbaren? Jeder Krieg ist ein Angriff auf die Menschenrechte und trifft die Zivilbevölkerung. Dies gilt auch für Syrien. Unter Bombenteppichen entsteht kein Frieden, deshalb haben wir, auch ich persönlich, die russischen Bombardements etwa in Aleppo immer wieder kritisiert. Das gilt aber auch für die US-Luftangriffe, denn auch diese verursachen entsetzliches Leid und Zerstörung. Von ihnen ist allerdings kaum in den Medien die Rede – und das, obwohl es die US-geführten Öl- und Gaskriege waren, die den Nahen und Mittleren Osten destabilisiert und ganze Länder in ein Schlachtfeld verwandelt haben. Es ist eine Tragödie, dass bislang sämtliche Bemühungen, zu einer Friedensregelung zu kommen, gescheitert sind. Dabei gibt es zu einer Verständigung unter Beteiligung aller Konfliktparteien keine Alternative, wenn der Krieg ein Ende haben soll. Die Situation in Syrien ist nicht nur für die Menschen vor Ort eine entsetzliche Katastrophe, sie ist zudem brandgefährlich für den Weltfrieden. Dauerhafter Frieden lässt sich nicht gegen Russland erreichen, nicht in Syrien und nicht in Europa. Auch die NATO-Politik, die eigene Präsenz in unmittelbarer Nähe der russischen Grenze immer weiter auszubauen, führt nicht zu Stabilität, sondern zu immer größeren Risiken. Die Linke fordert deshalb anstelle der NATO ein kollektives Sicherheitssystem unter Einbeziehung Russlands. Es liegt in unserem eigenen Interesse, ein besseres Verhältnis zu Russland zu erreichen und auch die Sanktionen, die ausschließlich wirtschaftlichen US-Interessen dienen, zu beenden.

Mit Emmanuel Macron hat Frankreich einen Präsidenten gewählt, der leidenschaftlich für ein geeintes Europa einsteht. Sie gelten als EU-kritisch. Wie stehen Sie zu Macrons Visionen, zu dem Begriff des „starken Europas“? Die Frage ist doch, welches Europa wollen wir? Eines, das auf Lohn- und Steuerdumping basiert, oder eines mit ordentlichen Arbeitsplätzen, Löhnen und Renten für alle, in dem Reichtum fair besteuert wird? Ein Europa, das Steuergelder für Aufrüstung oder die Rettung von Banken verpulvert, oder ein Europa, das in Bildung, Gesundheit und den ökologischen Umbau investiert? Ein Europa mit extra Klagerechten für Konzerne oder ein demokratisches Europa, in dem sich die Interessen der Mehrheit an guter Arbeit und hohen Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz u. a. durchsetzen? Die Linke kämpft für ein soziales, demokratisches und friedliches Europa. Dagegen steht Macron für ein Europa des Finanzkapitals, er will die Steuern für Reiche und Konzerne senken, soziale Leistungen kürzen und die Rechte von Beschäftigten und Gewerkschaften beschneiden. Diese neoliberale Politik spielt rechten Parteien in die Hände und macht Europa kaputt. Ich finde es absurd, das noch als „proeuropäisch“ zu bejubeln. Die Idee eines geeinten Europa, in dem Völkerhass und Nationalismus nie wieder eine Chance haben, war und ist aktuell. Wir alle sollten ihr verpflichtet sein – allerdings nicht mit hohlen Phrasen, sondern mit einer Politik, die den europäischen Zusammenhalt stärkt, statt ihn immer weiter zu untergraben.

Mit Donald Trump regiert ein US-Präsident, den Sie ausdrücklich für seine wirtschaftspolitischen Vorhaben und in Aussicht gestellten Investitionsprogramme lobten. Was für eine Haltung genau vertreten Sie nun gegenüber Trump? Ich werde noch lange nicht zum Fan Donald Trumps, nur weil ich einmal etwas Positives zu seiner Wirtschaftspolitik gesagt habe. Natürlich wäre ein öffentliches Investitionsprogramm zur Sanierung der maroden amerikanischen Infrastruktur eine sinnvolle Sache. Unabhängig davon ist Donald Trump ein Reaktionär, das ist doch keine Frage. Er ist ein Immobilienmafioso, der Politik für Milliardäre macht. Er setzt auf Steuergeschenke für Reiche und wird wohl in erster Linie in Rüstung und dreckige Energien investieren – das alles lehnen wir ab. Aber die Bundesregierung dafür zu kritisieren, dass sie unsere Infrastruktur immer weiter vergammeln lässt, und dafür, dass sie Europa mit ihrer Kürzungspolitik immer tiefer in die Krise treibt, bleibt auch dann richtig, wenn diese Meinung nicht nur von unzähligen Ökonomen, sondern auch von Donald Trump geteilt wird. Die wichtige Frage im Hinblick auf Donald Trump ist aber doch, warum ein rüpeliger Reaktionär wie er überhaupt amerikanischer Präsident werden konnte? Ich bleibe dabei: Der Neoliberalismus ist der Vater der autoritären Reaktion.

Sie sind eine Frau der klaren Worte, wirken jedoch nie unüberlegt. So sagten Sie am 17.01.2017: „Die NATO muss aufgelöst werden und durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands ersetzt werden.“ Mal ehrlich: Sind solche steilen Thesen, die dann gerne seitens Ihrer Partei relativiert werden, nicht bewusst gesetzte Provokationen? Erfüllt dieses Vorgehen nicht mustergültig den Populismus-Sprech? Das ist ein fast wörtliches Zitat aus unserem gültigen Parteiprogramm. Mir ist nicht bekannt, dass diese zentrale Forderung von jemandem in meiner Partei infrage gestellt wird. Ich wüsste auch nicht, was daran populistisch sein soll. Gerade im Zeitalter Donald Trumps brauchen wir eine neue Sicherheitsarchitektur, die verhindert, dass wir womöglich von Washington in einen großen Krieg hineingezogen werden.

Sie und Ihre Fraktion setzen sich für sozial schwache Menschen, für Rentner und Arbeitslose ein. Sie stehen gegen Benachteiligung und für Chancengleichheit. Das sind auch Themen, die Martin Schulz zum Kern seiner Programmatik erklärt. Die „Marke“ der Grünen ist der Klimaschutz, die der SPD die soziale Gerechtigkeit, der FDP die Steuersenkung, der AfD der Fremdenhass und die der CDU/CSU Angela Merkel. Wo liegt die Unverwechselbarkeit, das Alleinstellungsmerkmal Ihrer Partei? In der Glaubwürdigkeit. Die Linke tritt real – und nicht wie die SPD nur verbal kurz vor wichtigen Wahlen – für mehr soziale Gerechtigkeit ein und ist auch bereit, sich dafür mit den Mächtigen und Reichen anzulegen. Daher ist es kein Wunder, dass wir die einzige der im Bundestag vertretenen Parteien sind, die keine Großspenden von Konzernen, Banken, Versicherungen und Lobbyisten erhält. Dagegen ist die Gerechtigkeits-Rhetorik der SPD leider nicht glaubwürdig. Denn die SPD bekommt regelmäßig Großspenden, wie z. B. von Daimler Benz, sie hat den Agenda-Kanzler Schröder zum Hoffnungsträger ihres Wahlkampfs erklärt, im Wahlprogramm auf eine Vermögenssteuer verzichtet und will am liebsten mit der FDP regieren. Ich sehe eher ein Problem für die anderen Parteien. Zum Beispiel für die Grünen. Denn für den Klimaschutz sprechen sich auch Merkel und Die Linke aus. Außerdem haben die Grünen ihre Glaubwürdigkeit verloren, da ihnen bequeme Regierungssessel – egal in welcher Koalition – wichtiger sind als eine rebellische Politik, die auch den Konflikt mit einflussreichen Wirtschaftslobbys nicht scheut. Eine Partei ohne Rückgrat ist aber auch für den Klimaschutz nutzlos.

Auf dem Parteitag der Linken in Magdeburg sprachen Sie sich klar gegen eine Mehrheitsbeschafferfunktion Ihrer Partei aus. Sie attackierten „Zottelbart und Raute“ und befanden gute Oppositionsarbeit besser als „schlechte Regierung“. Damit haben Sie doch de facto die Türe für R2G zugeschlagen. Warum soll ich aber einer Partei meine Stimme geben, die sich bereits im Vorfeld in der Opposition einrichtet? Aus Protest? Die Bundestagswahl 2017 muss ein Zeichen gegen die Weiter-so-Politik setzen. Jede Stimme für Die Linke ist eine Stimme für den Politikwechsel, für eine Rückkehr zu einem echten Sozialstaat, in dem wieder alle vom Wohlstand profitieren. Je stärker Die Linke, desto mehr Druck kann sie ausüben und desto eher wird eine solche grundlegend andere Politik im Interesse der Bevölkerungsmehrheit auch wieder von der SPD vertreten werden. Und dann gibt es vielleicht auch eine Option für einen Politikwechsel. Deshalb: Die Linke ist weder auf Opposition noch auf Regierung eingerichtet, sondern auf die Durchsetzung von Veränderung. Das wollen wir erreichen und dafür treten wir bei der Bundestagswahl an.

Interview: Daniel Call

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