Film

Herzensbrecherin Chavela

14. Aug. 2017
Mit traditionellen Liedern, die von Weltschmerz und Einsamkeit erzählen, wurde die Sängerin Chavela Vargas weltberühmt © Maj Lindström

Das Lied kommt gleich zur Sache: „Touch me here, Macorina, touch me right here!” Hinter dem Mikrofon steht eine junge Frau im Poncho, die Haare fest zusammengeknotet, die Gitarre vor der Brust. Selbstbewusst besingt sie diese Macorina, die doch bitte beherzt zulangen soll: genau da! Die Sängerin heißt Chavela Vargas. Und auf der Bühne der Taverne erhält sie Applaus für etwas, wofür sie auf den Straßen Mexikos mit Beleidigungen überhäuft wird: Hosen tragen, nicht „weiblich“ auftreten und offen in der Liebe zu schönen Frauen schwelgen.

Chavela, 1919 in Costa Rica geboren, wurde von ihren Eltern versteckt, wenn Besuch kam, aus der Kirche warf der Priester sie raus, erzählt sie – schon als Kind war sie „anders“ und entsprach nicht den engen Rollenbildern. Mit 14 lief sie von zu Hause weg und versuchte ihr Glück als Straßenmusikerin in Mexiko-Stadt. Erste Bekanntheit erreichte sie in einem traditionell männlichen Musikgenre: dem Ranchera. Die raue Stimme wurde bald Chavelas Markenzeichen, ebenso wie Poncho, Zigarre und reichlich Tequila. Mit Letzterem stürzte sie in den Alkoholismus, dem sie fast nicht mehr entkam.

Der Dokumentarfilm „Chavela“ von Catherine Gund und Daresha Kyi erzählt klassisch chronologisch von Aufstieg, tiefem Fall und erstaunlicher Wiederkehr einer Künstlerin, die in einer frauenfeindlichen Gesellschaft machohafter und trinkfester aufgetreten ist als die Männer. Und gleichzeitig Lieder gesungen hat mit einer Stimme, die oft so klingt, als würde sie vor Schmerz zerreißen. Das Publikum bekäme Angst, sie könne jeden Augenblick beim Singen sterben, sagt einer der Interviewten im Film.

„Chavela“ versammelt viele Konzertaufnahmen, von den 1950er-Jahren bis kurz vorm Tod der Sängerin 2012. Dazu kommen ein in den 90ern aufgezeichnetes Gespräch mit der damals über 70-Jährigen, Interviews mit Weggefährtinnen, Partnerinnen, Fans und sehenswertes Archivmaterial. Etwa ein Spielfilmauftritt Chavelas in „La soldadera“ (1967) mit Patronengürtel und düster-entschlossenem Blick – queering the screen at its best. Oder Szenen mit Frida Kahlo, die angeblich eine der unzähligen Geliebten dieser Frau war, die ihren Mythos als Serienherzensbrecherin (u. a. Hollywood-Star Ava Gardner!), geübte Pistolenschützin und Tequila-Vernichterin nach Kräften kultivierte.

Lange Jahre verschwand sie dann im Alkoholsumpf – mit einer Leber, „hart wie eine Papaya“. „Ist die nicht schon längst tot?“, hieß es irgendwann. Doch dann kam die unerwartete Alterskarriere, unter anderem vorangetrieben durch Pedro Almodóvar, in dessen Filmen sie zu hören war. In der Folge schaffte es Chavela, die in ihrem Leben sage und schreibe 80 Alben aufgenommen hat, bis in die großen Konzerthäuser und sogar auf die Bretter der Carnegie Hall. Durch die Doku „Chavela“ lässt sich eine Künstlerin entdecken, die im Leben und in ihren Liedern über Grenzen gegangen ist, mit aller Kraft und Verletzlichkeit und mit rauchiger Sexyness. Touch me right here.

kittyhawk

Chavela, USA 2017,
Regie: Catherine Gund, Daresha Kyi,
ab 17.08. im Kino


SIEGESSÄULE präsentiert
Preview bei MonGay,
14.08., 22:00,
Kino International


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