Musik

Die „Hildegard Knef des Punk“: Bettina Köster im Interview

17. Aug. 2017
Bettina Köster © Christoph Voy

Sie war Berlins coolste Frauen-Gang der 80er-Jahre – die Postpunk-Band Malaria! um Gudrun Gut und Bettina Köster. Mit Songs wie „Kaltes klares Wasser“ und „Your Turn to Run“ wurden sie unsterblich. Köster veröffentlicht nun ihr zweites Soloalbum „Kolonel Silvertop“ und beweist sich darauf als unangepasste Grande Dame vom Kaliber einer Marianne Faithfull. Jan Noll traf sie zum Gespräch

Bettina, „Kolonel Silvertop“ ist wohl die eingängigste Platte deiner Karriere, hat mitunter gar etwas Chansonhaftes. Du wirst gerne als „Hildegard Knef des Punk“ bezeichnet. Ich hatte das Gefühl, dass du dieses Bild nun zum ersten Mal umarmst. Gewisse Aspekte meiner künstlerischen Identität haben natürlich mit meiner Vergangenheit zu tun. Sie sind Teil von mir. Aber ich hab mich ja die letzten 500 Jahre auch durchs Leben bewegt. Und meine Musik hat natürlich etwas damit zu tun, wo ich heute stehe.

Macht das Alter einen weicher?
Ja natürlich, ich merke das gerade. Im Moment bricht ganz schwer die Altersmilde aus. All over town. Leute, die früher überhaupt nicht miteinander gesprochen haben, begegnen sich wieder und sind plötzlich nett zueinander. Nach dem Motto: Ach, du lebst noch! Let's hang out. (lacht)

In „1959“ zählst du Dinge auf, die in deinem Geburtsjahr passiert sind. Unter anderem erwähnst du die älteste bekannte Probe eines HIV-Erregers, die tatsächlich aus diesem Jahr stammt. Krass, wie lange uns HIV und Aids schon begleiten. Das Licht am Ende des Tunnels ist ja jetzt abzusehen. Aber wie lange hat das gedauert? Mal abgesehen von all den Freunden, die ich an Aids verloren habe, was ist auch der Kunst entgangen! Eigentlich ist eine ganze Generation von Künstlern ausradiert worden, bevor sie den Zenit ihres Potenzials erreicht hat.

Die Aids-Epidemie hat ja so was Ähnliches mit der Kunstwelt und der queeren Entwicklung angerichtet wie die Nazi-Zeit. Ja, natürlich. Absolut.

Man denkt ja auch manchmal: Was wäre wohl aus dem Berlin der Weimarer Republik geworden, wenn Hitler nicht an die Macht gekommen wäre? Das war ja unser Ansatz damals bei Malaria!, ästhetisch und inhaltlich gesehen. Wir wollten an die 20er- und ganz frühen 30er-Jahre anknüpfen und da einfach weitermachen, als hätte es die Nazis nie gegeben.

„B-Movie“, ein Film über die Musikszene der frühen 80er in Berlin, ist vor zwei Jahren ziemlich eingeschlagen. Im Grunde war das ein Malaria!-Film. Ja, aber mich haben sie außen vor gelassen. Ich bin zwar in dem Film zu hören, ich bin zu sehen, aber es gibt mich quasi nicht. Musik, an der ich beteiligt bin, ist in diesem Film, aber mich hat keiner gefragt. Ich war sauer. Das sind natürlich Ego-Sachen, aber es ist doch immer und überall so, dass Geschichte so zurechtgerückt wird, wie sie mal gewesen sein soll. Die Realität sieht aber bei jedem anders aus und Frauen werden dabei immer wieder vergessen – vor allem auch in der Musik.

Wichtiger Track auf der Platte: „Der Novak“, erste Single. Im Text dieses österreichischen Chansons kommt das N-Wort vor. Warum hast du dich entschieden, dieses Wort zu singen? Ich habe Kindheitserinnerungen an dieses Lied. Meine Eltern hatten die Platte, und immer, wenn Besuch kam, wurde sie rausgeholt, und wir Kinder mussten dann nach nebenan. Es war schlüpfrig. 1960 wurde es in München verboten, alle Platten wurden konfisziert. Damals ging der Text nicht wegen der moralischen Verwerflichkeit, heute aufgrund der augenscheinlich rassistischen Ausdrücke „N**** und Chinesen“. Für mich gehören die hier zusammen. Wir leben in einer komplexen Welt und ich bin mir der Problematik bewusst. Man muss sehr aufpassen mit dem, was man sagt, und man muss die Befindlichkeiten von Gruppen, die rassistisch belegt werden, respektieren. Der Song wurde 1954 in Wien geschrieben. Das war damals die internationalste Stadt im deutschsprachigen Europa, weil jeder Spion, der auf sich hielt, hier war. Ich verstehe also, wie es damals gemeint war. Es ging um sogenannte Exotik, um Internationalität. Ich möchte anregen, die Hintergründe zu erforschen, den geschichtlichen Zusammenhang. Das war eine Zeit, in der die Kolonialmächte alle noch ihre Kolonien hatten. Was das für eine Welt war! Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, das Wort im Text zu lassen. Sodass man mal darüber spricht, wo dieses Desaster überhaupt herkommt. Ich finde gut, dass du mich darauf angesprochen hast. Denn so reden wir über Dinge wie Rassismus. Und wenn Leute das Interview lesen, dann überlegen sie sich vielleicht auch mal, wie sie dazu stehen.

Interview: Jan Noll

Bettina Köster: Kolonel Silvertop (Pale Music/Believe Digital), jetzt erhältlich

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.