Reportage

„Es fehlt an Privatsphäre!“ Zu den Problemen queerer Geflüchteter in Unterkünften

22. Sept. 2017

22.09.17 – 2016 stand die Unterbringung von geflüchteten Menschen noch relativ weit oben auf der politischen Agenda. Im Februar letzten Jahres konnte etwa die Unterkunft der Schwulenberatung in Treptow eröffnen, die sich explizit an LGBTIs richtet. Das Thema Wohnraum für LGBTI-Geflüchtete ist nun etwas aus dem Fokus gerutscht, der Bedarf ist aber längst nicht gedeckt. Und auch in Unterkünften wie der in Treptow gestaltet sich das Zusammenleben nicht immer leicht. SIEGESSÄULE-Redakteurin Franziska Schulteß beschreibt, warum Politik und Community nach wie vor gefragt sind, Wohnraum anzubieten und alternative Formen der Unterbringung zu ermöglichen

Andrej* ist in Berlin gut vernetzt. Unter anderem arbeitet er ehrenamtlich bei der Aids-Hilfe und beim Verein Quarteera für russischsprachige Geflüchtete. Beim diesjährigen Motzstraßenfest war er den ganzen Tag unterwegs, verteilte Flyer, unterhielt sich mit Freunden und Bekannten. „Natürlich habe ich da auch herumgefragt, ob jemand ein Zimmer für mich hat“, erzählt er. „Viele haben gesagt, dass sie mich gerne unterstützen würden. Nur leider bin ich ja nicht der Einzige in der Stadt, der ein Zimmer sucht.“

Seit Juni letzten Jahres lebt Andrej nun schon in der Gemeinschaftsunterkunft für LGBTI-Geflüchtete in Treptow. Davor hat er in vier verschiedenen anderen Unterbringungen gewohnt, unter anderem in Eisenhüttenstadt. Dort musste er sich den provisorischen Wohnraum, einen Container, mit zehn anderen Geflüchteten teilen. Die Treptower Unterkunft sei „natürlich besser. Aber leicht ist es auch nicht, hier zu leben.“

Das Haus bietet Platz für 122 BewohnerInnen. Verteilt auf sieben Etagen sind 29 Wohneinheiten, in denen sich zwei bis vier Personen ein Zimmer teilen. Die Wohnungseinheiten können abgeschlossen werden, Rückzugsräume für Einzelne, eine Tür, die man hinter sich zumachen kann, gibt es aber nicht.

„Es fehlt an Privatsphäre“, sagt Andrej. Die Konflikte, die es im Haus wie in jeder Unterkunft dieser Art und Größe gibt, machen ihm entsprechend zu schaffen. Verschiedene Bedürfnisse prallen aufeinander, „etwa, wenn ich lernen will und die anderen zusammen kochen oder feiern wollen“. Andrej ist 32 und 2015 aus Moskau nach Deutschland gekommen. Aktiv nach einer Bleibe sucht er schon länger, nicht nur über Freunde, sondern auch über Anzeigen im Internet etwa. Sobald sich die Gelegenheit bietet, möchte er ausziehen. „Wohnung, WG, egal. Hauptsache raus.“
 
Die Unterkunft in Treptow eröffnete, als in dieser Form einzigartiges Pilotprojekt in Berlin, im Februar 2016. Nun, eineinhalb Jahre später, fällt die Bilanz gemischt aus, sagt Stephan Jäkel von der Schwulenberatung Berlin, die das Projekt betreibt. Neben der Unterkunft bietet die Schwulenberatung auch einen Treffpunkt für LGBTI-Geflüchtete, das Café Kuchus, außerdem psychologische, Asyl- und Verfahrensberatung. „Wir haben viel realisieren können. Zugleich würde ich mir wünschen, wir könnten noch viel bessere Bedingungen schaffen“, sagt Jäkel.

Finanziert wird die Unterkunft durch Förderungen der Berliner Landesregierung. Verglichen mit anderen Unterbringungen für Geflüchtete ist das Verhältnis von BewohnerInnen zu BetreuerInnen hoch. Auf eine Vollzeitstelle kommen fünfundzwanzig betreute Personen. Im Vergleich zu sozialen Einrichtungen außerhalb der Flüchtlingshilfe ist dieses Verhältnis dagegen niedrig. Im betreuten Einzelwohnen der Schwulenberatung etwa, wo Personen mit psychischen Beeinträchtigungen leben, kommt eine Vollzeitstelle auf nur fünf BewohnerInnen. Das Problem: Menschen im offenen Asylverfahren fallen unter das Asylbewerberleistungsgesetz. Und das ist, was Angebote zur Unterstützung, zur psychischen und physischen Gesundheit angeht, weitaus restriktiver als das Sozialgesetzbuch, das für alle anderen Menschen in Deutschland gilt. „Das ist eine Schlechterstellung im Zugang zu Versorgung, die unsäglich ist“, findet Jäkel. „Aber hätten wir nicht erst mal dieses System genutzt, damit wir zumindest diesen Betreuungsschlüssel kriegen, hätte es gar nichts gegeben.“

Und der Bedarf sei nach wie vor hoch. Immer noch erreichten die Schwulenberatung viele Anfragen von LGBTI-Geflüchteten, die in anderen Unterkünften nicht mehr wohnen wollen. „Viele suchen Wohnraum explizit für LGBTI“, sagt auch Andrej. Er selbst sei in einer der ersten Unterkünfte, in denen er wohnte, in eine gewaltvolle Auseinandersetzung geraten, bei der Homophobie eine Rolle gespielt habe. Ähnliches erzählt Sam*.  „Wenn man schwul ist, ist man oft Drohungen ausgesetzt. Ich habe mir zum Beispiel die Haare gefärbt, trage Ringe ... da ist man leicht unterscheidbar.“

Sams Zimmerkollegin lebte, vor Treptow, in zwei anderen Unterbringungen in Berlin. Dort habe sie oft mit Transphobie zu kämpfen gehabt. „Die Leute haben mich etwa gefragt, warum ziehst du dich so an?“ In der Treptower Unterkunft gehe es ihr besser, „aber es gibt auch Probleme“. Sie klagt über gesundheitliche Beschwerden nach einer geschlechtsanpassenden OP in Iran, „die nicht professionell gemacht war“. Allein um besser heilen zu können, wünscht sie sich mehr Privatsphäre. Und auch innerhalb des Treptower Hauses habe sie schon trans- oder homophobe Kommentare gehört. Unter manchen BewohnerInnen, sagt Andrej, kursierten Gerüchte, dass einige zu Unrecht in der Unterkunft wohnten, die „gar nicht wirklich LGBTI“ seien.

„Es gibt gute Gründe, warum ein Schutzraum für diskriminierte Gruppen geschaffen werden muss“, sagt zu diesen Vorwürfen Gabi Rosenstreich, Leiterin der Unterkunft. „Gleichzeitig stellt sich natürlich, wie bei jedem Schutzraum, die Frage, wer Zugang hat oder haben soll. Jede Einrahmung aufgrund bestimmter Identitäten birgt immer auch Ein- und Ausschlüsse. Wer ist drinnen, wer draußen? Wer kann das definieren? Leute haben verschiedene Vorstellungen von ihrer Identität, die vielleicht nicht meinen eigenen Vorstellungen davon entsprechen, was es zum Beispiel heißt, lesbisch oder schwul zu sein.“ Und natürlich gebe es auch unter LGBTI-Menschen Diskriminierungspotenzial.

Verstöße gegen die Hausordnung, wie z. B. Gewalt, homo- oder transfeindliche Äußerungen, würden aber in jedem Fall „nicht geduldet und geahndet“. Die Unterkunft sei als erste Anlaufstelle konzipiert, „als sichere Basis, von der aus die Leute weitergehen können“. Es solle Zugang zu externen Angeboten, z. B. zur Beratung, geschaffen werden, „auf die die Leute auch zurückgreifen können, wenn sie ausgezogen sind“. Leider sei jedoch die Verweildauer der BewohnerInnen oft viel länger als vorgesehen. Der „Schritt nach draußen“ gestalte sich oft schwer: durch strukturelle Barrieren zum Job- und Wohnungsmarkt oder auch schlichtweg „durch Rassismus oder LGBTI-Feindlichkeit seitens VermieterInnen“.

In Berlin gibt es mittlerweile einige ehrenamtliche Projekte, die Geflüchtete und Menschen mit freien Zimmern zusammenbringen. Professionell betreibt dies, seit 2014, das Projekt „Flüchtlinge willkommen“. Über seine Internetseite kann bundesweit Wohnraum angeboten werden. Anfangs habe das gut funktioniert, erzählt Mareike vom Projekt. Seit etwa einem Jahr sinken jedoch die Zahlen: Derzeit gebe es nur etwa fünfzehn Angebote monatlich. Die Dringlichkeit müsse hier „wieder auf den Tisch gebracht werden“, sagt Mareike. Auch an die Schwulenberatung können seriöse Wohnungsangebote gemailt werden. Zurzeit entstehe laut Jäkel außerdem ein neues Haus: Darin soll es betreute WGs geben, in denen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung zusammenleben. „Solche Projekte braucht es, neben dem Engagement von Individuen, noch viel mehr“.

fluechtlinge-willkommen.de

refugees@schwulenberatungberlin.de


*Namen von der Redaktion geändert

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