SIEGESSÄULE

Diskussion im SchwuZ: Wir müssen uns vom Begriff des Schutzraums verabschieden

30. Sept. 2017
Podiumsdiskussion im SchwuZ v.l.n.r.: Sigrid Grajek, Jan Noll, Mahmoud Hassino, BeV StroganoV, Marcel Weber, Robin Büttner, Martin Reichert (c) jackielynn

Gestern fand in den Räumen des SchwuZ die Podiumsdiskussion „Früher war alles besser?! Das SchwuZ zwischen Shitstorm und Schutzraum“ statt - mitorganisiert von SIEGESSÄULE. Ein Nachbericht

In 40 Jahren Geschichte war das SchwuZ immer wieder mit verschiedenen Erwartungshaltungen und Kritik aus der Community konfrontiert: Zu unpolitisch, zu schwul, zu kommerziell sind Vorwürfe, die die Berliner Clubinstitution seit Jahren begleiten, während sich auf der anderen Seite zunehmend darüber beklagt wird, das SchwuZ sei zu queer oder zu offen für Leute, die nicht der Szene angehören.

Kommen denn mittlerweile nur noch Heteros? Mit dieser provokativen Frage eröffnete Moderator Martin Reichert, Journalist und Buchautor, gestern Abend die gemeinsam von SIEGESSÄULE und SchwuZ organisierte Podiumsdiskussion „Früher war alles besser?! Das SchwuZ zwischen Shitstorm und Schutzraum“. Auf dem Podium waren SchwuZ-Geschäftsführer Marcel Weber, Schauspielerin Sigrid Grajek (Coco Lorès), SIEGESSÄULE-Chefredakteur Jan Noll, BeV StroganoV, Gründungsmitglied der Tuntentruppe Ladies Neid, Mahmoud Hassino von der Schwulenberatung und Robin Büttner aus dem Vorstand des SchwuZ.

Natürlich wurde Martin Reicherts Eingangsfrage von Marcel Weber verneint. Doch das SchwuZ befinde sich im Wandel und mache einen Prozess der Öffnung und Repolitisierung durch. Als er in den 90ern im SchwuZ anfing, wären dort ausschließlich weiße cis Schwule gewesen. Das sei jetzt anders. Sigrid Grajek begrüßte das: „Ich mag es wenn sich Räume öffnen, weil wir mehr Chancen haben miteinander in Kontakt zu kommen.“ Als sie damals im SchwuZ zur Ehrentunte ernannt wurde, sei es noch unüblich gewesen, dass eine Frau auf der Bühne war.

Im folgenden wurden Probleme und Fragen, die sich aus dieser Entwicklung ergeben, diskutiert: Kann das SchwuZ überhaupt ein Schutzraum für unterschiedliche Gruppen sein? Inwieweit wird die Türpolitik des Clubs dem gerecht? Wie sehen die Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Gruppen aus? Spielen Homophobie, Transphobie, Rassismus, Feindlichkeit gegenüber Lesben oder Geflüchteten auch im SchwuZ eine Rolle? Und sind nicht gerade die Streitkultur und die Debatten in der Community mittlerweile von einer ungewöhnlichen Härte geprägt?

So stand das SchwuZ bereits mehrfach im Zentrum einiger Shitstorms auf Facebook. Zuletzt als man auf einer Beyoncé-Party mehreren POC den Einlass verwehrte (laut SchwuZ wegen dem Verhalten der Personen vor der Tür), und dem Club daraufhin eine rassistische Türpolitik unterstellt wurde. Robin Bittner betonte, dass wenn solche Vorwürfe erhoben würden, man zuhören und die Sache ernst nehmen müsse. Eine komplette Lösung für das Gelingen einer guten Türpolitik gebe es allerdings nicht. Laut Marcel Weber wären Fehler gar nicht zu verhindern, da an der Tür im Bruchteil von Sekunden Entscheidungen getroffen werden müssen. Aber man versuche aus solchen Vorfällen zu lernen und vor allem sei es wichtig, sich in solchen Situationen handlungsfähig zu zeigen. Auf die Frage, ob an das SchwuZ in dieser Hinsicht höhere Maßstäbe angesetzt werden als an andere Clubs, antwortete er, dass zum Beispiel beim Berghain auf solche Vorwürfe gar nicht reagiert werden würde. Indem das SchwuZ eine andere Politik betreibe, mache es sich eben angreifbarer. Auch wolle man sich vom Begriff des Schutzraums verabschieden, da ein solcher Raum gar nicht existiere.

SIEGESSÄULE-Chefredakteur Jan Noll sagte, dass es im Umgang mit Shitstorms wichtig sei, trotz Trollgehabe und persönlicher Verletzung die Kritik dahinter nicht aus dem Auge zu verlieren. Allerdings dürfe das nicht dazu führen, dass Veranstaltungen in Räumen wie dem SchwuZ nicht mehr durchgeführt werden oder Leute sich nicht mehr trauen zu sprechen. Er appellierte dafür, sich den Mund nicht verbieten zu lassen und sich der Kritik zu stellen. Dass die Diskurse in der Szene wieder schärfer werden und sich auch die Community vor dem Hintergrund politischer Veränderungen in Europa stärker mit eigenen Privilegien auseinandersetzen muss, sei eine positive Entwicklung.

Insgesamt war der Abend geprägt von interessanten Positionen, Sichtweisen oder auch enorm bewegenden Geschichten wie die von Mahmoud Hassino, der von seinen teils traumatischen Erfahrungen als Geflüchteter erzählte. Diese standen allerdings oft eher nebeneinander. Hier wäre eine stärkere Diskussion unter den Beteiligten wünschenswert gewesen. Aus dem Publikum kam zudem die Kritik, dass auf dem Podium viel relativiert wurde, wenn Themen wie Rassismus oder Transphobie zur Sprache kamen.

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