Kommentar

Brüste, Atzen und Oma Ramona! Wenn die Pornomesse Venus zur Party bittet

17. Okt. 2017
Sascha Osmialowski

Es ist der Höhepunkt des Abends: Gleich wird sich Micaela Schäfer ihren Baywatch-Bikini von den Schultern streifen und den Blick auf ihre pampelmusenförmigen Brüste preisgeben. Auflegen nennt sie das. Denn vor ihr steht ein DJPult und sie trägt Kopfhörer, die farblich auf ihr knallenges Oberteil abgestimmt sind. Unter dem Blitzlichtgewitter von promiflash.tv und vieler aufgeregter cis Männer entblößt sie ihre tätowierten Brustwarzen und reißt die Arme in die Höhe. Disco Pogo. Dingelingeling. Und alle Atzen sing’... Endlich!

Die Horde hat schon seit drei Stunden darauf gewartet, dass im Spindler&Klatt etwas Aufregendes passiert. Und ich auch. Es ist Samstagnacht und die deutsche Pornobranche bittet zum Tanz. 29 Euro kostet ein Ticket, um Micaela und alle großen Stars der Erotikbranche live zu erleben und mit ihnen krass abzufeiern. Mia Blow, Stella Glossy, Oma Ramona, Lisa Kirsche, Mia Bitch ... Namen wie bei einer Transenshow in Osnabrück. Alle sind sie hier. Sie sind zum Greifen nah. Doch niemand traut sich, mit ihnen zu reden. Gegen 3 Uhr ist der Spuk vorbei. Micaela hatte schon nach 20 Minuten ihre Boje eingepackt. Die Tanzfläche blieb halbleer. Nun hat auch der Rest vom Fest keinen Bock mehr.

Selten habe ich mich auf einer Veranstaltung so fremd gefühlt. 3 Uhr. Da fängt für viele Homos die Nacht erst an. Wie dankbar können wir sein für die queere Berliner Clubkultur, die so offen mit dem Thema Sex umgeht. Wir machen die besseren Events. Mit kreativen Konzepten, extrovertierten Outfits, mit geiler Mucke und fairen Preisen. Queers warten nicht, bis was auf einer Party passiert. Wir sind die Party!

Feiern ist Programm, Sex die Kirsche auf dem Kuchen. Das Partyvolk holt das Bumsen aus der Schmuddelecke. Nackt sein ist fun, Vögeln macht Spaß, Promiskuität ist okay und ficken nicht schmutzig. Darf es aber werden, unter Einverständnis aller Beteiligten. Unser Hedonismus soll anders aussehen und auf konsensbasierter Sexualität beruhen. Denn das unterscheidet eine gute, sexpositive Party von dem, was auf der Mainstream-Pornomesse VENUS passiert. Alles kann, nichts muss. Wie geil ist das denn? Und wer hat’s erfunden? Richtig: Die Homos. Darauf können wir ruhig ein wenig stolz sein.

Natürlich, auch bei uns gibt es Partys, die auf dem besten Weg zum Mainstreamevent sind, wie etwa die Pornceptual. Das gefällt nicht jedem. Inzwischen muss man damit rechnen, der Praktikantin aus der Buchhaltung zu begegnen, während man nackt über die Tanzfläche hüpft. Oder wild herumvögelt. Will man das? Geschmackssache. Die Party bietet Raum für Exhibitionisten und Voyeure, aber immer mehr auch für Selbstdarsteller und Gaffer. Dabei soll eine Party doch verbinden.

Und dann sehe ich sie wieder vor mir. Die Typen mit ihren Handys, die für 29 Euro stundenlang auf die Titten von Micaela Schäfer warten. Oder von Mia Bitch oder einem anderem Erotiksternchen ... und dann mit etwas Glück ein verwackeltes Foto schießen. Haben wir's gut!


Sascha Osmialowski

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