Szene

Zeitreise in die Schöneberger Subkultur der 80er: Der legendäre Frauen/Lesben-Aktionsraum Pelze

14. Nov. 2017
Roswitha Baumeister im Pelze, 1983

Wir sprachen mit den Künstlerinnen Roswitha Baumeister und Ursula Bierthier über einen der zentralen Orte Berliner Lesbengeschichte: das Pelze

West-Berlin in den 80ern: besetzte Häuser, anarchische Kunst, queerer Aufbruch. Ein mehrtägiges Event in den Räumen des ehemaligen K.O.B. lässt die Schöneberger Subkultur wiederauferstehen. Mit dabei: die Künstlerinnen Roswitha Baumeister und Ursula Bierther, die u. a. alte Super-8-Filme von Performances aus dieser Zeit zeigen werden. Zusammen mit anderen Szenegrößen wie Mahide Lein waren sie im Pelze aktiv – einem legendären Frauen/Lesben-Aktionsraum in der Potsdamer Straße

Wie sah es damals im Pelze aus? Ursula Bierther: Das Haus wurde 1981 von Frauen besetzt, ich habe mich sofort in den Raum verliebt. Der hatte 5,40 Meter hohe Decken, einen ochsenblutfarbenen Linoleumboden und war ein einzigartiger Freiraum. Dort, im ehemaligen Pelzgeschäft, entstand ein Ort für künstlerische Projekte. Meine erste Aktion war es, einen Super-8-Film-Workshop anzubieten. Im Haus gab es eine lesbische Mädchenwohngemeinschaft, das Hydraprojekt der Prostituierten und eine Schutzwohnung für Frauen mit ihren Kindern. Pelze entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem Multimediaprojekt – mit den Medien, die in den 80ern aktuell waren: Polaroid, Super 8, Installation im Raum, Copy Art. Roswitha Baumeister: Wir hatten schon einen Fotokopierer! UB: Später kam noch das Nachtcafé dazu, ein Treffpunkt für lesbische Frauen, Künstlerinnen und Prostituierte. Wir haben uns mit den Prostituierten angefreundet, die vor dem Pelze auf der Straße standen. Die schauten immer mal auf einen Drink rein und haben auch bei unseren Modenshows mitgemacht. Es gab Literaturveranstaltungen – unter anderem mit Elfriede Jelinek –, Performances, Ausstellungen, Workshops, Film …

Was wurde gezeigt? RB: Die Filme von Elfi Mikesch, Monika Treut, Barbara Hammer oder Joan Jonas liefen bei uns. Und weil Schwules oder Lesbisches im offiziellen Programm der Berlinale kein Thema war, haben wir parallel zum Festival ein Programm gezeigt. Bei uns wurde auch sehr offen geredet, weil es ein geschützter Raum war. Zum Beispiel konnten Fragen zu SM gestellt oder über Aids gesprochen werden.

Gab es nicht auch den ersten Frauen-Darkroom? RB: Es hieß damals: Die Männer haben einen Darkroom, warum wir nicht? Da wurde nach der Renovierung 86 der Keller ausgeräumt und verdunkelt. Ich glaube, der ist zweimal benutzt worden.

Wie kann ich mir die Atmosphäre im Pelze vorstellen? UB: Unser Raum war nie harmonisch oder gemütlich. Heute würde man sagen: Er war minimalistisch. Große Teile der Frauenbewegung sind gar nicht zu uns gekommen, die fanden das viel zu kühl. Man trug schwarze Kleidung, trank und rauchte viel ...

Was wird es bei der Veranstaltung im November zu sehen geben? RB: Das Frauenmedienarchiv „Bildwechsel“ bringt Filme aus dem Pelze-Archiv mit. Ich zeige auch Super-8-Filme, so richtig vom Projektor: ratter ratter ratter. Und wir beide machen die Performance „Widerhallen meiner Worte“ im Geist der 80er-Jahre. UB: Dafür greifen wir unter anderem eine Performance auf, die wir vor vier Jahren in der Akademie der Künste aufgeführt haben. Die hieß „Wir rasierten uns nicht“. RB: Der Titel ist entstanden, als wir uns Fotos von alten Aktionen angeschaut haben, auf denen auf einmal die ganzen Achselhaare zu sehen waren. Da rief eine: „Mensch, wir rasierten uns nicht!“ Das beschreibt die Zeit ganz gut.

Ist die Zeit solch freier, diverser und kreativer Orte endgültig vorbei? RB: In der Form könnte man es nicht mehr machen. Nicht unter den heutigen Bedingungen. Einmal könnte man die Miete für solche Räume nicht mehr zahlen. Zum zweiten waren damals unsere privaten Mieten auch äußerst gering, wir haben für unseren Lebensunterhalt ja ganz wenig Geld gebraucht. Deshalb hatten wir mehr Zeit.

Wie endete das Projekt Pelze? RB: 1996 war Schluss. Der Senat stellte die Finanzierung ein, dann hat der Hausverein uns sofort gekündigt. Zu der Zeit war ich nicht in der Lage, das Projekt weiter zu halten – und niemand hat es übernommen. Also habe ich mit zwei Frauen den Laden komplett leer geräumt. Am Ende haben wir einen Blumenstrauß reingelegt und Sonja, eine Brasilianerin, hat noch einen Segen gesprochen. Dann habe ich die Tür zugemacht und den Schlüssel in den Gully geworfen.

Interview: kittyhawk

Wer schreibt unsere Geschichte, wenn nicht wir selbst? Eine Zeitreise in die Schöneberger Subkultur der 80er-Jahre, Event mit Filmvorführungen, Performances, Liveacts, Radioshow, 16.–19.11.,Potsdamer Straße 157 (ehemaliges K.O.B.)

Videos zur Geschichte von Pelze Multimedia, 14:00–20:00, 19.11.,Performance „Widerhallen meiner Worte“ mit Roswitha Baumeister und Ursula Bierther, 16:00, 19.11., Potsdamer Straße 157 (ehemaliges K.O.B.)


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