Neuer Film von Rosa von Praunheim

„Ganz Neukölln ist vom Ausland aufgekauft worden“

18. Nov. 2017
Juwelia (c) Elfi Mikesch / missingFILMs

Rosa von Praunheims neuer Film „Überleben in Neukölln“ kommt in die Kinos. Wir sprachen mit der zentralen Protagonistin Juwelia über den Dreh und wie sich ihr Kiez verändert hat

Rosa von Praunheims neue Doku „Überleben in Neukölln“ porträtiert queere Neuköllner KünstlerInnen und SzenemacherInnen wie Mischa Badasyan, Patsy l’Amour laLove oder die Rixdorfer Perlen. Im Zentrum des Films steht aber die Malerin und Tunte Juwelia. SIEGESSÄULE-Autor Carsten Bauhaus sprach mit ihr über den Film

Juwelia, wie war die Zusammenarbeit mit Rosa von Praunheim? Wir hatten sehr viel Spaß zusammen! Als er anfing, über Neukölln zu recherchieren, ist er auch in meine Galerie gekommen. So kamen wir ins Gespräch.

Praunheim ist ja dafür bekannt, dass er mit ziemlich direkten Fragen zur Sexualität nerven kann. Wie bist du damit zurechtgekommen? Man muss schon darauf gefasst sein. Wir saßen gemütlich beim Kaffee und plötzlich fragt er mich, wie mein erstes Mal war. Da hab ich natürlich erst mal geschluckt – weil ich das ja gar nicht so in aller Öffentlichkeit ausbreiten möchte. Ich hab dann angefangen blöd zu lachen und mich aus der Situation rausgehangelt.

Wie bist du mit dem Endergebnis zufrieden? Der Film ist schon ziemlich intensiv. Er rattert wie so eine Achterbahn. Obwohl wir so viel Material gedreht haben, dass es für einen eigenen Film gereicht hätte, geht es ja leider nicht nur um mich. Der Film porträtiert viele andere Neuköllnerinnen und Neuköllner, die ich auch selbst alle kenne. Aber immerhin: Rosa wirbt mit meinem schönen Gesicht auf den Plakaten – und man hört im Film meine Lieder über Berlin, Neukölln und New York.

Er hat dich ja auch nach New York begleitet, wo eine Galerie deine Bilder ausgestellt hat. Waren das die schönsten Drehmomente? Ja! Wie ich da über den Times Square mit dem grünen Schleier tanze! Da war dann ja auch Polizei, und ich dachte, die schießen gleich auf mich!

Wie erlebst du heute die Situation in Neukölln? 2006, das Jahr, in dem ich die Galerie eröffnete, ging ja auch der Boom los. Es ist eng geworden in der Stadt. Man fühlt sich ja inzwischen wie eine Maus, die sich an der Wand entlangquetschen muss. Es gibt keine Wohnungen mehr, dafür überall Konkurrenz.

Dein Kiez, Kreuzkölln, hat sich stark verändert …
Wenn ich heute durch den Kiez gehe, gibt es von den selbst gebastelten Subkulturläden nur noch mich und das Galerie-Café „Klötze und Schinken“. Ansonsten sind alle verschwunden. Es sind nur noch Hipster da. Man hat den Eindruck, ganz Neukölln ist vom Ausland aufgekauft worden. Ich höre nur noch Spanisch, Italienisch und Englisch. Dafür lerne ich jetzt viele nette junge Menschen aus aller Welt kennen, wenn ich in meiner Galerie sitze und gut aussehe …

Kannst du in deinen Räumen bleiben? Chanel hat Interesse an meinem Laden. Sie wollen dort Schuhe verkaufen und sind bereit, 4000 Euro zu bezahlen.

Das ist nicht dein Ernst, oder?
Das ist natürlich etwas übertrieben. Ich übertreibe ja mit allem. Manchmal lebe ich gar nicht richtig in der Realität!

Immer wieder hört man von Kriminalität in Neukölln. Hast du in der Richtung Erfahrungen gemacht? Eigentlich nicht. Alle lieben mich hier. Sie halten mich natürlich für verrückt, aber bewundern mich auch. Ich bekomme viele Komplimente. Es ist heute alles anonymer geworden. Und auch schneller und hektischer. Früher war es hier verschlafen und ruhig, die Leute sind an meiner Galerie vorbeipromeniert. Heute stürzen sie eher vorbei.

Der Titel „Überleben in Neukölln“ ist ja eine Referenz an Praunheims Film „Überleben in New York“ von 1989 … Ich fand den damals ganz toll, mit den drei Frauen in New York.

Hast du deshalb zugesagt, beim Dreh mitzumachen? Ich bin Schauspielerin und Sängerin, Chérie! Ich muss alles annehmen, was sich mir bietet!

Interview: Carsten Bauhaus

Überleben in Neukölln, D 2017, Regie: Rosa von Praunheim, Markus Tiarks, mit Juwelia Soraya, Marcel Weber, Enana Alassar u. a.,
ab 23.11. im Kino

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