Szene

Klappe zu, Cruising tot? Diskussion im Schwulen Museum* zu Sex auf öffentlichen Toiletten

20. Nov. 2017
Bild: © Marc Martin
© Marc Martin

Im Schwulen Museum* trafen sich gestern die Vertreter dreier Generationen schwuler Männer aus Ost und West, um über das Thema „Cruising – real und digital“ zu diskutieren. Eine Nachlese

Das Datum gab das Thema vor: Am 19.11., den Welttoilettentag, ging es im Schwulen Museum* im Rahmen der Ausstellung „Fenster zum Klo“ (noch bis zum 05.02.2018) um schwulen Sex auf dem Abort – Klappensex. Das Interesse an der Veranstaltung war groß, nicht alle BesucherInnen fanden einen Sitzplatz im überfüllten Saal. Moderiert von Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voss kamen Vertreter unterschiedlicher Generationen auf dem Podium zusammen, vom „klassischen Klappengänger“ bis hin zum „digital native“: DDR-Schwulenaktivist Peter Rausch (*1950), SIEGESSÄULE-Chefredakteur Jan Noll (*1976) und Sozialwissenschaftler Karsten Schubert (*1985) tauschten sich über eigene Erfahrungen mit und Beobachtungen zum Klappensex aus.

In einem waren sich die Teilnehmer einig: Die Klappe ist tot. Gab es von den 1960er- bis Anfang der 90er-Jahre noch reges Treiben auf den Klos in beiden deutschen Staaten, ist der Klappenverkehr heute fast komplett eingestellt. Viele öffentliche Toiletten schlossen in den 90ern. Mit dem Aufkommen des Internets und damit des Onlinedatings verlagerten sich die einstigen Treffpunkte ins Digitale.

Doch was soll schade daran sein, dass Schwule heute Sex nicht mehr auf stinkenden Klos haben? „An der Klappe waren alle gleich“, gab Peter Rausch zu bedenken. Hier musste man keinen Eintritt bezahlen, es gab keinen Mindestverzehr – dafür aber Sex rund um die Uhr. Klappensex als egalitäre Emanzipationspraxis? Jan Noll mahnte vor falscher Nostalgie: Zwar stimme es, dass sich auf dem Klo Männern unabhängig von Klassenzugehörigkeit, Alter und Status trafen, aber eine „romantische Überhöhung der Klappe als Ort sexueller Emanzipation“ sei nicht angebracht. Andererseits seien Diskussionsveranstaltungen wie diese wichtig, um die Klappe „aus der Schmuddelecke zu holen“ und als Praxis schwuler Sexualität zu kanonisieren. Der schnelle Sex auf dem Klo sei zwar nicht immer gut gewesen, aber unkomplizierter und spontaner als heute in Zeitalter von Grindr und Co. Auch lernte man Männer kennen, die man auf Dating-Apps von vornherein aus der Suche ausgeschlossen hätte – was sich oft als Gewinn herausstellte.

Karsten Schubert warf einen nicht ganz so düsteren Blick auf den Übergang vom „realen“ Cruising zum Onlinedating. Was die einen als „langes Labern“ ablehnen, eröffne auch ein „anderes Gestalten von Sexualität“. Man rede darüber hinaus offener über Safer Sex, viele tauschten sich auf Datingplattformen über ihren Status aus oder machten diesen öffentlich kenntlich. Auch sei der Chat ein Raum, in dem „Begehren erst gestiftet wird“. Das Verschwinden der Klappen hätte nicht zwangsläufig etwas mit dem Verschwinden der öffentlichen Toiletten zu tun, sondern vor allem mit einer geänderten Kommunikationskultur. Jan Noll sah das anders: „Gäbe es Klappen, würden die Leute auch hingehen.“

Ein schönes Schlusswort fand Peter Rausch, der schon seit Mitte der 1960er in Ostberlin auf Toiletten cruiste, als er das Wort „Klappe“ noch nicht einmal kannte. (Historiker Manfred Herzer merkte in der anschließenden offenen Diskussionsrunde an, dass der Begriff wohl erst seit den 70er-Jahren verbürgt ist.) Er befürchte, dass „die Schwulen in Zukunft alle ein Heten-Leben führen“, je mehr sie ihre Sexualität reglementieren ließen. Daher gebe es für ihn die Maxime: „Immer wieder guter Sex.“ Egal wo.

Ronny Matthes

Vernissage der Ausstellung „Fenster zum Klo“, Bildergalerie

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