Podiumsdiskussion

Talk zu Männlichkeit und (Flucht-)Migration: „Homophobie und Sexismus werden ethnisiert“

25. Nov. 2017
Bild: LSVD/ Ralf Rühmeier
Plakatkampagne des LSVD © LSVD/ Ralf Rühmeier

Aktive aus der Flüchtlingsarbeit diskutierten im Rathaus Schöneberg, welche Männlichkeitsvorstellungen es unter Geflüchteten gibt, wie der Umgang der Gesellschaft damit ist – und wie er sein sollte

Im medialen Diskurs ist es stets präsent: das Stereotyp vom „traditionellen, sexistischen und homophoben Migranten“, der mit der Freiheit „der deutschen Gesellschaft“ angeblich überfordert sei. Doch woher kommt dieses Bild? Und welche Rolle spielen, im Umgang mit dem Themenkomplex Sexismus, LGBTI-Feindlichkeit und (Flucht-)Migration, Vorstellungen von Männlichkeit – bei männlichen Geflüchteten, aber auch innerhalb der sogenannten Mehrheitsgesellschaft?

Zu dem Thema luden die Integrationsbeauftragte Christine Fidancan und die Queer-Beauftragte Svetlana Linberg des Bezirks Tempelhof-Schöneberg am Freitag zu einer Podiumsdiskussion ins Rathaus Schöneberg ein.

Zu Beginn erläuterte Michael Tunç von der Hochschule Darmstadt den Stand der Männlichkeitsforschung. „Homophobie und Sexismus werden ethnisiert“, sagte er im Vortrag. „Nach dem Motto: ‚Das steckt in dem drin‘“. So werde der Fremde zu einer Folie, vor der die eigene Männlichkeitsvorstellung reflektiert werde. Das Problematisieren der „traditionellen Männlichkeitsvorstellungen“ der Migranten werde dann genutzt, um Ausgrenzung zu legitimieren. So habe die Debatte um die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht 2015/16 eine zentrale Rolle gespielt, um Verschärfungen im Asylrecht zu beschließen.

Auf der anderen Seite seien jedoch auch Migranten selbst mit persönlichen Problemen konfrontiert. „Es ist eine zentrale Erkenntnis, dass männliche Identität nicht ohne Erwerbsarbeit denkbar ist“, sagte Tunç. Deswegen sei es problematisch, wenn Asylbewerber nicht arbeiten dürfen. Denn so könnten sie gängigen Erwartungen an ihr Rollenbild gegenüber Frauen und Familien nicht entsprechen. Es komme so zur Krise des eigenen Männlichkeitsbildes, gefolgt von Frustration. Der Sozialwissenschaftler fordert deshalb, dass man eine Balance halten solle: „So viel Kritik an Sexismus von Migranten wie nötig, gleichzeitig so viel Empowerment der Geflüchteten wie möglich.“

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion erläuterte Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) die Situation von Migranten im Bezirk: „Wir sind kein Ort der Glückseligkeit, wie überall.“ Man müsse für Geflüchtete strukturelle Bedingungen schaffen, die dafür sorgen, dass die Ankommenden nicht noch mehr frustriert und diskriminiert werden. „Weg mit den Notunterkünften“ forderte sie, genauso wie mehr Begegnungen zwischen Geflüchteten und Anwohnenden, um Vorurteile abzubauen.

Uta Sternal vom Internationalen Bund, einem Träger, der Übergangsunterkünfte betreibt, warb für eine „Durchmischung“ der Migranten in den Wohneinheiten. Nur so könne man ermöglichen, dass alle „friedlich miteinander leben“.

Das gelte jedoch nicht für queere Geflüchtete, widersprach Jörg Steinert vom Berliner Lesben- und Schwulenverband (LSVD). Sie müssten getrennt untergebracht werden, um sicher vor Homophobie leben zu können. Denn Homosexualität sei unter den ankommenden Menschen tabuisiert. „Die haben das ein Leben lang anders erlebt“, und müssten sich demnach hier in Deutschland zunächst daran gewöhnen, offen über sexuelle Identitäten zu sprechen. Mit dem Projekt „Support“ setzt sich der LSVD seit zwei Jahren dafür ein, homosexuelle und transgeschlechtliche Geflüchtete zu stärken. Ein guter Weg, lobte die Integrationsbeauftragte Fidancan.

Trotz spannender Beiträge der Podiumsgäste war die Diskussion insgesamt nur mäßig überzeugend. Denn männliche Geflüchtete, über deren Männlichkeitsvorstellungen zwei Stunden lang gestritten wurde, waren nicht auf dem Podium präsent.

„Tut mir leid“, sagte Integrationsbeauftragte Fidancan dazu auf Nachfrage der SIEGESSÄULE. Sie habe alle Migranten, mit denen sie in Kontakt ist, angefragt. Niemand habe über seine Männlichkeitsvorstellung vor versammeltem Publikum reden wollen. Genau das müsse aber ein langfristiges Ziel bleiben, sagte Wissenschaftler Tunç zum Abschluss. „Wir müssen etwas dafür tun, dass Geflüchtete für sich selbst sprechen.“

Markus Kowalski

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