Podiumsdiskussion

Kantenloses Kino: Quo vadis, Berlinale?

6. Dez. 2017
Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin/Presse
Der Berlinale-Bär im Sonycenter am Potsdamer Platz © Internationale Filmfestspiele Berlin/Presse

Unter dem unverfänglichen Titel „Filmfestivals heute“ sollte am Montag ein von Kulturstaatsministerin Monika Grütters ausgerichtetes Gespräch im Haus der Kulturen der Welt Positionen zur Zukunft der Berlinale ausloten. VertreterInnen von Filmfestivals waren auf der Bühne aber nicht vertreten. Gleich zu Beginn verlasen zwei Regisseure, Christoph Hochhäusler und Thomas Heise, vom Rednerpult aus einen Brief, den sie gemeinsam mit rund 50 namhaften FilmemacherInnen, darunter etwa Fatih Akin, Maren Ade und einer der Teilnehmer am Podium des Abends, Volker Schlöndorff, im Mai dieses Jahres unterzeichnet und an Grütters gesendet hatten.

Die Veröffentlichung des Briefes und der mittlerweile rund 80 UnterzeichnerInnen auf Spiegel Online wurde zum medienwirksamen Aufhänger für eine ausgiebige Schelte des ehemaligen Filmförderers Dieter Kosslick – er steuert bereits seit 2001 den Kurs der Berlinale, des größten deutschen Filmfestivals. Das Schreiben forderte, nach dem Abtritt Kosslicks zu seinem Vertragsende 2019, eine Neubesetzung der Festivalleitung mit einer „herausragenden kuratorischen Persönlichkeit”. Diese solle das Festivalprogramm, nach Dieter Kosslicks Expansionsmaßnahmen, entschlacken und wieder als prägnante ästhetische Herausforderung, als international sichtbare Diskussionsanregung präsentieren.

Neben dem Brief verlasen Hochhäusler und Heise auch eine persönliche Erklärung, die damit begann, dass sie in Ost- und West sozialisiert seien. Die Hoffnung des Festivals liege für sie in widersprüchlichen Perspektiven, in Brüchen und Unvereinbarkeiten. Und im Bewusstsein für die Gründungsgeschichte der Berlinale mit allen vergangenen Konflikten, die stets auch zu Stärken wurden – etwa bei der ursprünglichen Gründung des Forums als unabhängige Festivalsektion und Gegenposition zum offiziellen Wettbewerb.

Ursprünglich spielte das Forum Filme, die im Wettbewerb des Festivals fehlten, und stellte damit die Kriterien der Programmauswahl radikal in Frage. Die Besetzung Dieter Kosslicks unter dem damaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann beschrieben Hochhäusler und Heise als „Verabredung unter Männern“, als Musterbeispiel dafür, wie der kulturpolitische Betrieb immer wieder auf undemokratische Absprachen unter Amtstragenden hinauslaufen kann.

Dann folgte eine unkonkrete Diskussion über die Zukunft der Berlinale, die Konflikte nicht auskostete: Es sprachen der Filmproduzent Thomas Kufus, Bettina Reitz (Präsidentin der Hochschule für Fernsehen und Film München), der Filmemacher Volker Schlöndorff sowie Christiane Peitz vom tagesspiegel. In Zwischenrufen des Publikums wechselten sich, auf die in dem Brief formulierten Forderungen, reaktionäre Buh-Rufe und Solidarität mit den Wünschen nach Veränderung ab.

Christoph Hochhäusler meinte irgendwann: „Wieviel Uhr ist es?“ Das sei die Frage, die er an einen zukünftigen Wettbewerb in Berlin stellen wolle. Das Festival solle ausloten, was aktuell im Kino möglich ist. Am pointiertesten war noch Schlöndorff, der das gegenwärtige politische Label der Berlinale mit sozialdemokratischem Konsens verband. Der halbleere Saal versammelte die Filmöffentlichkeit für ein Nischengespräch. Denn die Diskussion interessiert derzeit vor allem die, die mit der Berlinale unmittelbare Interessen verbinden.

Solange sich die Berlinale als politisch (statt künstlerisch) versteht, sind keine Kanten möglich. Ein Festival verdammt zu Mittelmaß und Leitartikeln. Immerhin, ein Schritt in die richtige Richtung: gestern, im Anschluss an die Diskussion am Montag, hat Monika Grütters zugesagt, dass über Kosslicks Nachfolge und die Zukunft der Berlinale nun eine Fachkommission entscheiden solle. Die wird hoffentlich wissen, was sich im Weltkino und im internationalen Festivalbetrieb tut.

Dennis Vetter

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