Podiumsdiskussion

Wollen Lesben Sex an öffentlichen Orten?

11. Dez. 2017
Filmstill „Airport“ © Christiane Pausch

Vier Flugbegleiterinnen, eine Flughafentoilette, schönster Gruppensex. Die Putzfrau in der Nachbarkabine hört so gelassen wie genüsslich zu. Die gestrige Diskussionsveranstaltung „Weibliche* Perspektiven auf Promiskuität und die Zweckentfremdung öffentlicher Orte“ im Schwulen Museum* begann mit einer Szene aus „Airport“. 1994 ausgestrahlt, war er der erste deutsche Pornofilm von Lesben für Lesben.

„Wir wussten damals gar nicht, dass wir den ersten in Deutschland gemachten Porno seiner Art drehen“, erzählte Manuela Kay, Journalistin und Verlegerin von L-Mag und Siegessäule und gemeinsam mit der Filmemacherin Silke Dunkhorst der Kopf hinter „Airport“. Getarnt als studentisches Kunstprojekt hätten sie damals, mit Ausnahme der Sexszene, wirklich am Flughafen Tegel gefilmt. Es sei ein Experiment gewesen, eine amateurhafte Low-Budget-Produktion über lesbische Leidenschaft in Berlin, auch auf dem Klo – gedacht als Analogie zu „schwulem Toilettensex“. Um den nämlich dreht sich die Fotoserie „Fenster zum Klo“ von Künstler Marc Martin, die noch bis 5. Februar 2018 im Schwulen Museum* zu sehen ist. Frauen* und Lesben kamen in der Schau selbst, und auch im Rahmenprogramm zur Ausstellung bislang nicht vor. Der gestrige Diskussionsabend sollte das ändern.

Sex auf dem öffentlichen Klo, das sei eine Fantasie, die auch Frauen haben und umsetzen, unterstrich entsprechend Manuela Kay zu Beginn. Allerdings so gut wie nie mit Fremden, sondern mit Freundinnen oder Bekannten, wenn es schnell gehen muss oder wenn zuhause die Partnerin sitzt. Aber: „Auf der Toilette warten, dass eine Unbekannte dazu kommt – da kannst du als Lesbe Jahre sitzen!“

Die Ethnologin Agnès Girard, die neben Kay auf dem Podium saß, ergänzte, ihr gefalle am Klosex, dass er den „öffentlichen Raum zu einem offenen Raum“ mache. Darin könnten sich ganz unterschiedliche Menschen begegnen – und „mit Körperflüssigkeiten statt mit Worten kommunizieren und durch ihre Sexpraktiken sowohl Feminität als auch Maskulinität performen“. Trotzdem hätten Frauen sehr selten an öffentlichen Orten Sex. Woran also liegt das?

Klar, Klos sind schmutzig, aber der Ekel übe auch eine Faszination aus – es müsse andere Erklärungen geben, so Manuela Kay. Ein Faktor sei, dass es auf Frauentoiletten keine Pissoirs gebe. Die zufällige erotische Begegnung verenge sich also aufs Waschbecken und da herrsche meistens Hektik. Dann machten die für schwule Sexpraktiken wichtigen „Glory Holes“, Löcher in den Wänden der Klokabine, für Frauen keinen Sinn: Frauenkörper seien anders gebaut, „da kann man nicht viel durchstecken“. Dazu die grellen Lichtverhältnisse – deswegen seien lesbische Darkrooms beliebter. Doch sogar in deren Hochzeit, im Berlin der 80er Jahre, sei dort vollkommen anonymer Sex die Ausnahme gewesen.

Das Publikum vermutete, dass die Scheu, sich in anonyme Sexabenteuer, zumal öffentlich, zu stürzen, auch mit der Angst vor Gewalterfahrungen zusammenhänge. Einerseits würden sich Frauen vor sexualisierter Gewalt schützen wollen. Andererseits wollten sie nicht selbst übergriffig werden, würden sich kennen und sehen wollen, um die Grenzen der anderen einschätzen zu können.

Agnès Girard stellte die steile These auf, dass mit der Erfindung der Antibabypille die sexuelle Experimentierfreude gesunken sei. Denn vorher sei gleichgeschlechtlicher Sex eine Möglichkeit gewesen, sich ohne „Angst vor Schwangerschaft“ auszuleben.

Manuela Kay widersprach dem vehement: Lesbischer Sex sei „nicht einfach nur ein Experiment, sondern ein eigenständiges Begehren, unabhängig von der Angst vor Schwangerschaft.“ Dass Frauen so selten in der Öffentlichkeit Sex hätten, das hinge mit dem patriarchalen System zusammen. Männer nähmen öffentlich viel mehr Raum ein und sich viel mehr heraus – vom überallhin Pissen bis zum Sex. Frauen müssten hingegen darum kämpfen, überhaupt als sexuelle Wesen wahrgenommen zu werden.

Hier hakte eine Teilnehmerin aus dem Publikum ein: gerade die gesellschaftliche Unsichtbarkeit von weiblicher Sexualität sei es, die Sex im öffentlichen Raum so reizvoll mache – und zu einer Art emanzipatorischem Akt. „Dass wir etwas gegen diese Unsichtbarmachung tun. Das ist Guerilla-Sex!“ Und der müsse nicht unbedingt auf der öffentlichen Toilette stattfinden. Das Publikum hatte hier zahlreiche Ideen: vom Großraumabteil im Zug, bis zur Berliner Staatsbibliothek oder auf einem Weihnachtsmarkt.

Paula Lochte

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