VORTRAG UND DISKUSSION

Penetrierte Kerle und anale Lust: im Sonntagsclub geht's um den Arsch

16. Dez. 2017
Dr. Benedikt Wolf © Dragan Visual Arts

„Der männliche Anus ist nicht dazu gemacht, etwas zu empfangen,“ verfügte Erzbischof Norberto Kardinal Rivera Carrera aus Mexiko-Stadt vergangenen Sommer. Doch vielleicht wurde der menschliche männliche Anus nun aber geradezu gemacht, etwas zu empfangen? Dr. Benedikt Wolf und Peter Rausch laden zur Diskussion rund um das Thema Arsch. Dabei bieten sie unkonventionelle Überlegungen: über Geben und Nehmen, pentrierte Männlichkeit oder Heteronormativität! Wir haben Benedikt vorab ein paar Fragen gestellt

Benedikt, du und Peter Rausch erzählen uns die Kulturgeschichte des männlichen Anus? Worum geht es denn da genau?
Peter Rausch hat mit mir Kontakt aufgenommen, weil er sich mit der historischen Dimension des Analverkehrs zwischen Männern auseinandergesetzt hat und erfahren hat, dass ich meine Doktorarbeit über penetrierte Männlichkeit geschrieben habe. Unser Interesse am Thema ist nicht deckungsgleich, berührt sich aber an vielen Punkten. Für mich geht es bei der Beschäftigung mit der Kulturgeschichte des männlichen Anus darum, nach den sich im Lauf der Zeit wandelnden Bedeutungen zu fragen, die die Menschen mit Analverkehr zwischen Männern und besonders mit dem penetrierten Part verknüpfen. Diese Bedeutung ist zum Beispiel in den Komödien des Aristophanes im fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung eine ganz andere als in der Anus-Fotografie von Wolfgang Tillmans, die in der Panorama Bar des Berghain hängt. Ich würde sagen, dass die Themen Lust vs. Schmerz, Macht vs. Ohnmacht und Weiblichkeit vs. Männlichkeit das Koordinatensystem bilden, in dem sich die wandelnden Bedeutungen des männlichen Anus bewegen.

Die Veranstaltung hat den schönen Titel „Anteil des Arsches an der Menschwerdung des Affen“! Was ist denn nun der Anteil oder Beitrag des Arsches an der Menschwerdung des Affen? Kannst du uns da schon etwas verraten? Der Titel, den sich Peter ausgedacht hat, ist eine Anspielung auf ein Fragment von Friedrich Engels. Dort heißt der Titel: „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“. Engels behauptet, der Evolutionssprung vom Affen zum Menschen lasse sich nur aus der Einführung der Arbeit, also der bewussten Veränderung der Natur erklären. Peter behauptet dagegen, der Schritt vom Affen zum Menschen lasse sich nur aus der Einführung des männlichen Anus in den Sex erklären, welcher vorher nur der Fortpflanzung gedient habe. Ich möchte als Literaturwissenschaftler nicht über diese naturgeschichtliche Frage spekulieren, weil ich das nicht kompetent kann. In meinem Beitrag werde ich bei meinen Leisten bleiben und schaue mir deshalb eine literarische Erzählung an, in der ein Affe zum Mensch wird, wobei Körperöffnungen und der Umgang mit ihnen eine wichtige Rolle spielen. Mehr möchte ich nicht verraten.

In der Diskussion geht es laut Vorankündigung auch um Heteronormativität. Welchen Einfluss haben denn enge heteronormative Denkgebäude auf den Arsch? Heteronormativität sieht nicht nur vor, dass Menschen ein eindeutiges Geschlecht und ein heterosexuelles Begehren haben sollen. Heteronormativität behauptet auch, dass Frauen sich penetrieren lassen und Männer penetrieren. Das macht es Mädchen und Frauen erst einmal schwer, andere ficken zu wollen (egal ob Männer oder Frauen), und das macht es Jungen und Männern schwer, gefickt werden zu wollen. Für viele schwule Männer ist es ein mit Scham verbundener Prozess anzuerkennen, auf rezeptiven (das Wort ist viel treffender als „passiv“) Analverkehr zu stehen. Auf die Ärsche von heterosexuellen Männern hat die Heteronormativität übrigens auch einen Einfluss. Die haben nämlich oft ein sehr verklemmtes Verhältnis zu ihrem Arschloch, das zeigt sich zum Beispiel in der Prostatakrebs-Vorsorge.

Haben queere oder schwule Männer eine andere Beziehung zu ihrem Anus als heterosexuelle Menschen und wenn ja, inwieweit? Ich möchte sagen: Das hoffe ich doch! Aber das ist so zu pauschal. Ich bin schon der Ansicht, dass es für heterosexuelle Männer viel schwerer ist, sich zu ihren analen Lustmöglichkeiten zu bekennen und sie mit Sexpartnerinnen zu verwirklichen, als für schwule Männer und heterosexuelle und lesbische Frauen. Aber wenn man dann wieder mit vielen schwulen Männern spricht, trifft man welche, die sich für rezeptiven Analverkehr überhaupt nicht interessieren, wenn man mit heterosexuellen Frauen spricht, trifft man einige, die Analverkehr so sehr mit Gewalt in Verbindung bringen, dass sie keine Lust darauf haben usw. Ich würde sagen, schwule Männer haben gegenüber heterosexuellen Männern günstigere Ausgangsvoraussetzungen für die analen Genüsse.

Interview: Andreas Scholz

„Anteil des Arsches an der Menschwerdung des Affen“, Vortrag und Diskussion,17.12., 20:00, Sonntagsclub

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