Kommentar

Heten raus?

9. Jan. 2018
Rauschgold

Heterosexuelle cis Leute in queeren Räumen – für viele LGBTI seit jeher das rote Tuch. Warum das nicht per se etwas Schlechtes ist und wo wir diesbezüglich selber in der Verantwortung stehen, erklärt SIEGESSÄULE-Chefredakteur Jan Noll

Ehrlich gesagt ist es eine Leier, die beinahe so alt ist wie die homosexuelle Emanzipationsbewegung. Spätestens seit der Öffnung schwuler und lesbischer Kneipen und Cafés nach außen, mit dem Verschwinden von verschlossenen Fenstern und Klingeln an der Tür, ist sie da: die Beschwerde, dass sich „in letzter Zeit“ in unseren Clubs und Bars zu viele Heteros rumtreiben. Nach „Gegen“, SchwuZ oder Roses stand kürzlich das Rauschgold im Zentrum einer solchen Debatte. Dort seien vor allem am Wochenende die feiernden Heten bereits deutlich in der Überzahl, beschwerten sich Personen auf Facebook. Gesetzt den Fall, es sei tatsächlich so, wäre es zumindest verständlich, denn Queers feiern einfach die besseren Partys.

Aber warum kochen die Gemüter eigentlich so schnell hoch, wenn es um heterosexuelle Präsenz in queeren Räumen geht? Nun, die Antwort ist einfach: Viele Menschen aus der LGBTI-Community erleben täglich Diskriminierung durch die cisgeschlechtliche heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft – weil sie anders aussehen, anders reden, anders gestikulieren, ein anderes Begehren haben, andere Körper und eine andere Art zu feiern. Der sogenannte queere Schutzraum, in dem Schwule schwuchteln, Lesben ohne begrapscht zu werden knutschen und trans* Personen angstfrei entspannen können, ist in unserer Community ein existenzielles Grundbedürfnis. Das führt zum einen zu einer Überidentifikation mit diesem Ideal – viele Queers haben zu „ihrem“ Laden eine familiäre, fast intime Beziehung –, zum anderen zu einer gesteigerten Empfindlichkeit, wenn „ihr“ Raum sich verändert oder gar gefährdet ist. Die vermehrte Anwesenheit von heterosexuellen cis Personen ist in diesem Zusammenhang also quasi das rote Tuch.

Das ist verständlich, aber gleichzeitig auch zu reflexhaft ablehnend und undifferenziert. Denn mal ehrlich, predigen LGBTIs nicht selbst immer am lautesten Akzeptanz, wenn es um die Freiheit des Begehrens geht? Und warum ist dann nur ein queeres Begehren ein legitimes Begehren? Spielt es wirklich eine Rolle, ob die Person neben mir an der Bar heterosexuell ist oder nicht? Es sollte egal sein und stellt auch per se erst mal keine Bedrohung dar. Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang muss vielmehr lauten: Wie verhalten sich heterosexuelle cis Personen in queeren Räumen? Und genau danach sollten sie beurteilt werden.

Heterosexualität allein bedroht queere Räume nicht, es ist der cisnormative Heterosexismus, der es tut. Wir sollten andere also nicht danach beurteilen, wer oder was sie sind, wie sie sich definieren, wie sie sprechen, gestikulieren oder begehren – sondern allein danach, wie sie sich uns und anderen gegenüber benehmen. Aber dabei sollte uns eines klar sein: Je offener unsere Räume werden, desto mehr müssen wir gegenseitig aufeinander Acht geben. Und an der Bereitschaft dazu mangelt es innerhalb der LGBTI-Community oft mehr, als wir uns eingestehen wollen.

Jan Noll

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SIEGESSÄULE-Chefredakteur Jan Noll © Christian Krauss

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