Schwules Museum*

Vorständin Birgit Bosold: „Schwule müssen die Gleichberechtigung von Frauen zu ihrer Sache machen“

11. Jan. 2018
Birgit Bosold @ Heiko Kalmbach

Die Kritik von Birgit Bosold an der Ausstellungspraxis des Schwulen Museums*, die vor allem cis-männliche, schwule, weiße Perspektiven reflektiere, sorgte in sozialen Medien für hitzige Reaktionen. Wir baten die Vorständin um ein Gespräch

2018 ist „Jahr der Frau_en“ im Schwulen Museum* – mit verschiedenen Projekten, Workshops und Ausstellungen rund um queere Weiblichkeiten.

Gleich zu Jahresbeginn sorgte ein Newsletter des Schwulen Museums*, in dem das „Jahr der Frau_en“ angekündigt wurde, für Aufregung: Dr. Birgit Bosold, eine der Kuratorinnen des Themenjahres und Mitglied im Museumsvorstand, kritisierte darin die bisherige Ausstellungspraxis. Unter anderem schrieb sie, die Ausstellungen reflektierten nach wie vor „eher die visuelle und konzeptionelle Hegemonie schwuler Männlichkeit (weiß und cis versteht sich) in der LGBTIQ*-Welt, als dass sie marginalisierte und diskriminierte Positionen in den Vordergrund stellen“. Die derzeit laufenden Ausstellungen von Patsy l'Amour laLove (über Martin Dannecker) und Marc Martin (zur schwulen Klappenkultur) beschrieb sie als „ebenso liebevoll und begeistert wie unkritisch“.

In sozialen Netzwerken wurde der Newsletter sofort aufgegriffen. Auf die darin formulierte Kritik am Schwulen Museum* und seinen Ausstellungen erfolgten zum Teil heftige Gegenreaktionen.

Wir haben Birgit Bosold für ein E-Mail-Interview erreicht und baten sie, ihren Standpunkt nochmals genauer zu erklären

Birgit, 2018 ruft das Schwule Museum* unter deiner kuratorischen Leitung das „Jahr der Frau_en“ aus. Warum gerade jetzt? Die kuratorische Leitung liegt bei meiner Vorstandskollegin Vera Hofmann und bei mir und wir stellen uns eigentlich vor, dass es ein Projekt ist, das auch vom ganzen Haus gestaltet wird. Warum nicht gerade jetzt? Anlass gibt es ja genug, um mindestens für die nächsten 200 Jahre FLTI* auf die Agenda zu setzen. Das gilt übrigens nicht nur für das Schwule Museum*, sondern da könnten die meisten Museen der Welt mitmachen.

Bitte erklär doch mal, warum Repräsentationen von Weiblichkeit im Schwulen Museum* lieber zu einem Themenjahr zusammengefasst werden, anstatt sie im „normalen“ Betrieb kuratorisch einzuflechten.
Weil es nicht funktioniert, dass wir das im „normalen“ Ausstellungsbetrieb „einflechten“. Wir sind konfrontiert mit einer enormen visuellen und konzeptionellen Dominanz schwuler Sujets, Figuren, Ästhetiken usw. Die Debatte haben wir ja auch jedes Jahr in Bezug auf die CSD's. Der bekannte Song von James Brown und Betty Jean Newsome bringt das auf den Punkt: „This is a man´s world.“ Und offenbar scheint es schwierig, „schwule“ Themen so zu präsentieren, dass sie diese Dominanz nicht weiter verstärken. Darauf hat sich meine kritische Bemerkung im Newsletter zu den beiden Ausstellungen (von l'Amour laLove und Martin, Anm. d. Red.) bezogen. Es ist mir klar, dass das eine schwierige Diskussion ist, und um so mehr tut es mir leid, dass ich mich nicht sensibler ausgedrückt habe. Es war nicht meine Absicht, die Kuratoren persönlich anzugreifen.

Mit der festgeschriebenen Förderung von lesbischer Sichtbarkeit im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag und einem Doppelhaushalt 18/19 in Berlin, der die Förderung lesbischer Projekte und sogar einen Preis für lesbische Sichtbarkeit enthält, sieht es doch in Berlin ganz gut aus für queere Weiblichkeiten. Oder ist das ein Trugschluss? Eher umgekehrt würde ich sagen: Es ist doch ziemlich irritierend, dass wir nach 20 Jahren „queerer“ Bündnispolitik immer noch und immer wieder über „lesbische Sichtbarkeit“ diskutieren müssen und dass die Situation so kritisch zu sein scheint, dass selbst die Politik Handlungsbedarf sieht. Die aktuelle Debatte ebenso wie die Maßnahmen des Senats sind natürlich zu begrüßen. Wenn wir aber ernsthaft etwas verändern wollen, müssen wir doch fragen, was die Gründe dafür sind, dass wir, was die Verteilung von Ressourcen, Geld, Macht, Einfluss und Repräsentation betrifft, den gesamtgesellschaftlichen „Malestream“ (re-)produzieren – also genau die Diskriminierungen und Marginalisierungen, die es auch in der Mehrheitsgesellschaft gibt. Das Argument, dass wir darüber lieber nicht sprechen sollten, weil damit eine „Diskriminierungshierarchie“ innerhalb der Community aufgebaut würde, blockiert aus meiner Sicht diese Analyse und führt deshalb auch nicht weiter.

Euer Konzept für das Themenjahr beinhaltet (zumindest laut Pressemitteilung) auch eine Kritik an der bisherigen Ausstellungspraxis des Schwulen Museums*. Worin besteht diese Kritik? Unsere Kritik an der Ausstellungspraxis des Museums, und damit natürlich auch an meiner eigenen, ist, dass wir Teil dieses Konglomerats sind. Die Frage ist, wie sich das Museum defnieren will. Es hat sich die meiste Zeit in seiner Geschichte, mehr oder weniger unangefochten von den Ansprüchen anderer, ausschließlich um schwule Themen, was auch immer das sein mag, gekümmert. Das hat auch alles seine Berechtigung, und wenn das wieder so werden soll, dann bitte. Wenn wir aber den Anspruch aufrechterhalten wollen, „queere“ Museumsarbeit zu machen, dann müssen wir uns diesen Anfechtungen aussetzen. Und das ist natürlich nicht konfiktfrei. Floris Biskamp hat aktuell in „Texte zur Kunst“ daran erinnert, worum es geht: „Queere Kritik ist immer auch ein Knüppel, den fortschrittliche oder linke Bewegungen sich selbst oder einander wechselseitig in die Beine werfen – und das ist gut so. Nicht zufällig entwickelte sie sich nicht direkt als Kritik der herrschenden Geschlechterordnung, sondern als Selbstkritik der feministischen Kritik an dieser Ordnung.“ Es gibt eine lange Geschichte dieser selbstkritischen Wendungen im Feminismus, die sich genau an die richten, die sich selbst auf der richtigen Seite wähnen – also die sich als feministisch, emanzipatorisch, progressiv usw. verstehen, aber natürlich selber verstrickt sind in die (Re-)Produktion von Diskriminierung und Marginalisierung. Ich würde sagen, dass diese politische Kreativität die DNA des Feminismus ist: sich dieser Kritik zu stellen und sich umzuformulieren. Es hat lange, zu lange, gedauert, finde ich, bis wir – mit unserem Ausstellungsschwerpunkt im letzten Jahr, etwa mit den Ausstellungen „Das weiche G“ oder „Odarodle“ – zumindest mal angefangen haben, den Positionen queerer POCs und dem Projekt der Dekolonisierung Raum zu geben. Dieses Projekt der Entkolonisierung der queeren Erinnerungskultur ist eine der entscheidenden Herausforderungen, sowohl inhaltlich wie auch strukturell, die wir annehmen müssen, wenn wir unsere Arbeit nicht nur als emanzipatorisch und antidiskriminierend verstehen wollen, sondern wenn wir auch als queere Stimme in der bundesdeutschen und internationalen Museumswelt ernstgenommen werden wollen. Das „Jahr der Frau_en“ ist nun ein zweites wichtiges strategisches Projekt, das sowohl an uns selbst, aber auch an die Museumswelt insgesamt adressiert ist. Es geht uns auch darum, feministische Perspektiven in die aktuellen Auseinandersetzungen um die bundesdeutsche Erinnerungskultur einzubringen.

Immer wieder hört man in diesem Zusammenhang den Vorwurf: Es gab bisher keine Frauen*- Ausstellung, weil keine sich drum gekümmert habe. Was erwiderst du auf eine solche Argumentation? Genau, es gibt keine bzw. zu wenig Frauen*ausstellungen, weil sich keine darum kümmert. Das ist das Standardargument, dass Lesben deswegen unsichtbar sind, weil sie sich weniger in der Öffentlichkeit exponieren usw. – was sie aber doch könnten. Ich lese gerade das großartige Buch „Women & Power“ der britischen Historikerin Mary Beard. Sie beschreibt darin die Wiege unseres fantastischen Abendlandes – die griechisch-römische Antike – als misogynen Morast, und die konstitutive Rolle, die das „Silencing“ weiblicher Stimmen in der Öffentlichkeit darin spielte. Ganz vorbei scheint mir das noch nicht zu sein. Die andere Seite ist die Frage der Solidarität. Es kann ja nicht nur die Aufgabe der Lesben sein, ihre Sichtbarkeit durchzusetzen. Eigentlich müssten doch schwule Männer die Gleichberechtigung von Frauen* und die Wertschätzung von Weiblichkeit zu ihrer Sache machen. Einerseits aus bündnispolitischer Solidarität, aber auch in ihrem ureigenen Interesse: Sexismus und Misogynie sind meistens eng verbunden mit dem Hass auf Schwule, und umgekehrt.

Das „Jahr der Frau_en“ hat, laut Pressemitteilung, nichts weniger als die „Verwirklichung einer radikalen Utopie“ zum Ziel. Welche Utopie ist das? Was wohl alle wollen: eine Welt ohne ökonomische und epistemische Gewalt, ohne Rassismus, Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit oder, um die Plattform everydayfeminism.com zu zitieren, eine Welt, in der „jede_r mit Respekt behandelt wird, selbstbestimmt leben und ihr volles Potential entfalten kann“. Jede und jeder einzelne Mensch. Streit gibt es gerade noch über die Frage, mit welchen Strategien wir dahin kommen. Der Queer of Color Theoretiker José Esteban Munoz schlägt ein „Disidentifizieren für alle“ als nachhaltigen Gewaltabbau vor. Wichtiger als essentialisierte Identitäten werden neue Allianzen mit all denen, mit denen wir eine solidarische Zukunft teilen wollen. Wer darin mitwirken möchte, ist willkommen. Das Schöne für uns als Museum ist, dass Munoz der Kunst und Kultur dabei, dank ihres entwerfenden, imaginierenden Charakters, eine zentrale Rolle zuweist. Schauen wir mal, wie weit wir am Ende das Jahres damit sind. In diesem Sinne: Happy new year of the women*!

Interview: Jan Noll

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