Petition

Forderung: Bundestag soll erstmals homosexuellen NS-Opfern gedenken

21. März 2018
Gedenktafel für homosexuelle NS-Opfer am Nollendorfplatz

Update 21.03.18 – Eine von Lutz van Dijk initiierte Petition hatte Mitte Januar gefordert, dass der Bundestag im nächsten Jahr der homosexuellen NS-Opfer gedenken solle. Anfang der Woche antwortete nun Bundestagspräsident Dr. Schäuble auf dieses Anliegen. Er lehnte es ab, 2019 am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozislismus erstmals auch an die homosexuellen NS-Opfer zu erinnern. Er begründete die Entscheidung damit, dass sich „ein bereits in früheren Jahren vom Präsidium angefragter Überlebender der ersten Generation erboten hat, im nächsten Jahr die Gedenkrede zu halten.“ Dem stimmte das Präsidium zu. Für 2020 werde der Bundespräsident angefragt, der „als Begründer des Gedenktages traditionell einmal in seiner Amtszeit die Gedenkrede hält“. Schäuble versicherte gegenüber van Dijk am Ende des Schreibens, dass mit dieser Entscheidung „keine Zurücksetzung der von Ihnen in Erinnerung gerufenen Opfergruppe verbunden ist. Ihr Anliegen ist in das Verzeichnis eingegangener Vorschläge aufgenommen worden und wird bei zukünftigen Abwägungs- und Entscheidungsprozessen einen prominenten Platz einnehmen.“

15.01.18 - Heute wurde dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble eine Petition übergeben, in der der Bundestagspräsident und sein Präsidium eindringlich gebeten werden, „nach mehr als zwei Jahrzehnten am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus 2019 erstmals auch an homosexuelle Männer (unter ihnen vor allem an die KZ Häftlinge mit dem Rosa Winkel), aber auch an lesbische Frauen und andere aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Orientierung Benachteiligte und Ausgegrenzte im Bundestag zu erinnern.“ Seit 1996 gilt in Deutschland der Tag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar als gesetzlicher Gedenktag.

Initiiert wurde die Petition von dem Schriftsteller, Pädagogen und Historiker Lutz van Dijk („Verdammt starke Liebe"). Zu den 84 ErstunterzeichnerInnen gehören u. a. Jim Baker und Ilona Bubeck vom Quer Verlag, Vorständin Dr. Birgit Bosold vom Schwulen Museum* und der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker.

Die Petition im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident Dr. Schäuble,
sehr geehrte Bundestags-Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten Frau Pau, Frau Roth, Herr Dr. Friedrich, Herr Kubicki und Herr Oppermann

Seit 1996 gilt der Tag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 als offizieller Gedenktag in Deutschland. 2005 erklärte die UNO diesen Tag weltweit zum “International Holocaust Remembrance Day”.

Bereits am ersten Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus 1996 sprach der damalige Bundespräsident Roman Herzog sowohl von den jüdischen Opfern der NS Barbarei als auch von lange öffentlich nicht anerkannten anderen Opfergruppen wie den Sinti und Roma, Behinderten und Homosexuellen:

„Weil sie... vom willkürlich festgelegten Menschenbild abwichen, bezeichnete man sie als 'Untermenschen', 'Schädlinge' oder 'lebensunwertes Leben' - Juden, Sinti und Roma, Schwerstbehinderte, Homosexuelle... Die Wirkungen dieser Politik waren vor allem deshalb so furchtbar, weil sie sich wohldosiert in das öffentliche Bewußtsein einschlichen, ja... den Gehirnen infiltriert wurden.“

Es war nicht nur für die Betroffenen von großer Bedeutung sondern auch für eine breite Öffentlichkeit, dass außer den jüdischen Opfern an diesem Gedenktag im Bundestag erstmals 2011 mit dem Niederländer Zoni Weisz (*1931) auch ein Vertreter der Roma und Sinti zu Wort kam, 2016 an die Leiden der Zwangsarbeiterinnen und –arbeiter erinnert wurde und 2017 sowohl zwei Angehörige von durch sogenannte “Euthanasie” Ermordeter als auch der junge, mit Down Syndrom lebende Schauspieler Sebastian Urbanski (*1978) zu hören waren.

Die Unterzeichnenden dieser Petition sind als Fachleute in unterschiedlichen Bereichen des Erinnerns national und international anerkannt und bitten den Bundestagspräsidenten sowie sein Präsidium eindringlich, nach mehr als zwei Jahrzehnten am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus 2019 erstmals auch an homosexuelle Männer (unter ihnen vor allem an die KZ Häftlinge mit dem Rosa Winkel), aber auch an lesbische Frauen und andere aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Orientierung Benachteiligte und Ausgegrenzte im Bundestag zu erinnern.

Unterzeichner*innen:
Esther Bejarano (Holocaust Überlebende und Präsidentin des Auschwitz Komitees, Bundesrepublik Deutschland)
Prof. Dr. Wolfgang Benz (ehem. Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung, Berlin)
Michel Bergmann (Schriftsteller und Drehbuchautor, Berlin)
Ralf Bogen (Projekt "Der Liebe wegen", LSBTTIQ-Aktivist, Stuttgart)
Ulf Bollmann (Historiker, Initiative „Gemeinsam gegen das Vergessen – Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer“, Hamburg)
Dr. Birgit Bosold (Schwules Museum, Berlin)
Manfred Bruns (ehem. Bundesanwalt, Karlsruhe)
Ilona Bubeck / Jim Baker (Querverlag, Berlin) Stephan Cooper / Naana Lorbeer (Queeramnesty, Berlin)
Prof. Dr. Martin Dannecker (Sexualwissenschaftler, Berlin)
Prof. Dr. Nina Degele (Soziologin, Gender Studies an der Universität Freiburg)
Dr. Lutz van Dijk (Historiker und Schriftsteller, Amsterdam / Kapstadt)
Dr. Jens Dobler (Historiker, Berlin)
Ralf Dose (Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Berlin)
Lothar Dönitz (Stolpersteine-Projekt der bisher bekannten Homosexuellen des KZ Sachsenhausen und KZ Ravensbrück, Berlin)
Barry van Driel (Mitarbeiter für Internationales im Anne Frank Haus, Amsterdam)
Günter Dworek (Bundesvorstand LSVD - Lesben- und Schwulenverband, Berlin)
Albert Eckert (Mitinitiator des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, Berlin)
Jan Feddersen (Journalist, Initiative Queer Nations e.V., Berlin)
Alois Finke (Supervisor, Leitungsgruppe Katholische Jugendakademie Walberberg, Bonn)
Dr. Benno Gammerl (Historiker, DAAD-Fachlektor für Queer History am Goldsmiths College, London)
Dr. Detlef Garbe (Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme)
Heinz Gottberg und Dieter Allers (Architekten, Schriftsteller, Phaidros-Jugendstiftung, München)
Dr. Günter Grau (Historiker, Berlin)
Detlef Grumbach / Joachim Bartholomae (Männerschwarm Verlag, Hamburg)
Dr. Anna Hájková (Historikerin, University of Warwick)
Prof. Dr. Georg Hansen (Soziologe und Bildungswissenschaftler, Bremen)
Prof. Dr. Sabine Hark (Direktorin des Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, Technische Universität Berlin)
Georg Härpfer (Vorstandsmitglied, Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren / BISS, Berlin)
Hans Hengelein (Diplom-Psychologe, Hannover)
Manfred Herzer (Gründungsmitglied des Schwulen Museums, Berlin)
Christoph Heubner (Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Berlin)
Dr. Matthias Heyl (Historiker und Erziehungswissenschaftler, Neustrelitz)
Rainer Hoffschildt (Historiker, Hannover)
Stefan Hüsgen (Goethe Institut, München)
Klaus Jetz (Geschäftsführer Hirschfeld-Eddy-Stiftung, Köln)
Rozette Kats (Holocaust Überlebende, Augenzeugin vor Schulklassen in Deutschland und den Niederlanden, Amsterdam)
Dr. Ben und Ubbo Khumalo-Seegelken (Pastoren, Afrikanisten und Historiker, Oldenburg)
Ulli Klaum ( Leiter, Akademie Waldschlößchen, Göttingen)
Albert Knoll (Archivar der Gedenkstätte Dachau, München)
Dr. Friedhelm Krey (Supervisor, Berlin)
Gottfried Kößler (Pädagogisches Zentrum am Fritz Bauer Institut, Frankfurt/M.)
Prof. Dr. Rüdiger Lautmann (Soziologe, Bremen / Berlin)
Dr. Gottfried Lorenz (Historiker, Hamburg)
Prof. Dr. Martin Lücke (Historiker, Organisator des jährlichen Queer History Month, Freie Universität Berlin )
Dr. Rainer Marbach (Vorstandsvorsitzender, Akademie Waldschlößchen, Göttingen)
Dr. Meron Mendel (Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt/M.)
Detlef Mücke (Schwule Lehrer in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft/GEW, Berlin)
Dr. Klaus Mueller (Gründer und Leiter, Global LGBT Forum, Salzburg)
Dr. Julia Noah Munier (Historisches Institut, Universität Stuttgart)
Prof. Dr. Rainer Nicolaysen (Historiker, Mitherausgeber des Jahrbuchs der Sexualitäten, Universität Hamburg)
Dr. Joanna Ostrowska (Historikerin und LGBTIQ-Aktivistin, Warschau)
Frank G. Pohl (Pädagoge, Landeskoordinator Schule der Vielfalt in Nordrhein-Westfalen)
Dr. Dagmar Pruin (Geschäftsführerin von Aktion Sühnezeichen / Friedensdienste, Berlin)
Dr. Thomas Rahe (Stellv. Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen, Hannover)
Babette Reicherdt (Historiker_in, Initiative Queer Nations e.V., Berlin / Kassel)
Stefan Reiß (erster parteiloser schwuler Abgeordneter Deutschlands, Berlin)
William Schaefer (Projekt „Der Liebe wegen“, Freiburg)
Prof. Dr. Axel Schildt (ehem. Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg)
Axel Schock (Journalist, Berlin)
Hartmut Schönknecht / Torsten Schrodt (Vorstand Homosexuelle Selbsthilfe Deutschland)
Dr. Claudia Schoppmann (Historikerin, Berlin)
Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum (Direktorin des Zentrums für Antisemitismusforschung, Berlin)
Prof. Dr. Michael Schwartz (Institut für Zeitgeschichte, Vorsitzender des Fachbeirats der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Berlin / München)
Patrick Siegele (Direktor des Anne Frank Zentrums, Berlin)
Prof. Dr. Detlef Siegfried (Historiker, Universität Kopenhagen) Karl-Heinz Steinle (Historiker, Berlin/Stuttgart)
Dr. Andreas Sternweiler (Mitbegründer Schwules Museum, Berlin)
Stefanie Sycholt (Filmregisseurin, München)
Jerzy Szczesny (Vorstand Schwulenberatung, Berlin)
Prof. Dr. Stefan Timmermanns (Sexualpädagoge, University of Applied Sciences, Frankfurt/M.)
Wolfgang Theis (Mitbegründer Schwules Museum, Berlin)
Claudia Weinschenk (Historikerin, Projekt "Der Liebe wegen", Stuttgart)
Ruth Weiss (Holocaust Überlebende, Schriftstellerin, Skipsted / Dänemark)
Prof. Dr. Michael Wildt (Historiker, Humboldt Universität Berlin)
Raimund Wolfert (Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Berlin)
Prof. Dr. Jürgen Zimmer (Erziehungswissenschaftler em., Freie Universität Berlin)

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