Szene

Die Poesie von Pisse und Sperma: „Fenster zum Klo“-Kurator Marc Martin im Interview

1. Feb. 2018
Marc Martin © Raphael Lucas

Bis zum 19.02. wurde die Ausstellung „Fenster zum Klo" verlängert. Kurator Marc Martin über seine Hommage an den schwulen Klappensex und die von Seiten des Schwulen Museums* formulierte Kritik daran

„Fenster zum Klo“, Marc Martins Hommage an die schwule Klappensex-Kultur, war einer der großen Überraschungserfolge im Schwulen Museum*. Selten war die Resonanz auf eine Ausstellung in Presse und Community so breit, wie im Falle der Schau des Pariser Künstlers und Fotografen. Nun wurde die Ausstellung über schwulen Sex auf öffentlichen Toiletten aufgrund der großen Resonanz bis zum 19.02. verlängert. Doch neben allem Erfolg gab es auch Kritik an Martins Aufarbeitung des Themas – aus den Reihen des Schwulen Museums* selber. Im exklusiven Interview mit SIEGESSÄULE zieht Marc Martin Bilanz

Marc, „Fenster zum Klo“ ist eine der erfolgreichsten Ausstellungen, die je im Schwulem Museum* zu sehen waren, so ich das richtig einschätze. Wie erfolgreich war die Schau wirklich und warum ist deiner Ansicht nach die Resonanz so groß?
Das Thema beschäftigt mich schon seit Langem. Ich wollte all das zeigen, was die Klappen bisher versteckt hielten. Bisher wollte niemand die Bedeutung dieser öffentlich zugänglichen Orte für unsere Community und für die Gesellschaft im Allgemeinen in ein freundliches Licht rücken. Als wir die Klappen ins Museum* gestellt haben, war das eine Weltpremiere. Das ist ein starkes Stück, und das macht auch meinen Triumph aus. Der zeigt sich auch in den Augen der Besucher*innen, die aus der Ausstellung kommen. Wenn ich bei der Gelegenheit ein noch bunteres Publikum ins Schwule Museum* geholt habe, umso besser!

Ich habe mich dabei zwar auf historische Fakten gestützt, aber ich wollte auf keinen Fall eine akademische Ausstellung. Ich wollte diese untergründigen Erfahrungswelten mit Leben füllen, ohne nostalgisch zu werden. Wenn man sich in die Nostalgie flüchtet, ist das gefährlich. Deshalb habe ich mich bemüht, meine Arbeit in unserer Gegenwart zu verankern. Es gibt einen aktuellen Teil mit meinen freizügigen Fotos, die zwischen Poesie und Pornografie pendeln. Hoffentlich ist es mir gelungen, die affektive Reichweite abzubilden, die die Klappen für die Erinnerung unserer Altvorderen besitzen. Gleichzeitig wollte ich auch den Jüngeren, die Fragen zu dieser verschwundenen Welt haben, einige Anhaltspunkte geben. Sie haben davon heute keine Ahnung mehr, zumindest in unseren westlichen Ländern. Welche Rolle die Klappen in Ländern haben, wo Homosexualität immer noch verboten ist? Das weiß ich nicht.

Du hast viele Menschen für diese Ausstellung über ihre Klappen-Erlebnisse befragt. Einige dieser Interviews sind auch im Schwulen Museum* zu sehen. Welche Erkenntnisse hast du aus diesen Gesprächen gewonnen? Obwohl sie so in Verruf sind, herrschte auf den städtischen Klappen verdammt viel Freiheit. Dort verschwommen die sozialen Klassengrenzen und die verschiedenen Kulturen vermischten sich. Was immer man auch im Einzelnen davon halten mag, diese Orte des Übergangs hatten ein ungemeines Begegnungspotenzial, egal wie schmutzig sie waren … „Man war vertraut, tauschte sich aus, war auf der Suche, da war nichts Hasserfülltes,“ erläutert Piotr Nathan sehr treffend in seinem Interview. Rudi Bleys beschreibt wiederum sehr gut die Körpersprache bei der anonymen Anmache an den Pissbecken: „Man durfte kein Gespräch beginnen, um mit jemanden in Kontakt zu treten.“ Diese Art der Begegnung befreite ihn von den Komplexen, die er als schüchterner Jugendlicher hatte. Das ist doch wirklich ein positiver und ganz unerwarteter Aspekt dieser Art von sexueller Begegnung, oder?

Dasselbe gilt auch für Florian Hetz, der dank den Glory Holes auf öffentlichen Toiletten allmählich gelernt hat, körperlich loszulassen. Die sehr persönlichen Äußerungen dieser Leute sind die tragenden Wände meines Projekts, ob sie nun anonym waren oder von KünstlerInnen kommen. Ich bin ihnen sehr dankbar. Die Interviews mit ihnen sind vollständig im Ausstellungskatalog abgedruckt.

Auch im breiten Hetero-Mainstream hat deine Schau ein Echo gefunden. Sei es in der Presse oder bei großen Berliner Unternehmen wie Wall AG oder der BVG. Dir wurde für deine Foto-Shootings Zugang zu eigentlich geschlossenen Berliner Toiletten, also ehemaligen Klappen, gewährt. Wie erklärst du dir diese Offenheit und hättest du damit gerechnet? Das Medienecho war völlig unerwartet. Dieses Feuerwerk fing mit eurem Cover und „Klappe zu“-Aufmacher im November an. Danke an dich, Jan, für diese Auswahl und an Dirk Ludigs für den Text dazu. Ihr habt damit den medialen Reigen ganz glänzend eröffnet. Die Ausstellung wurde auf dem Balkan, in Kanada und sogar in Japan besprochen. Der krönende Abschluss war sicherlich diese unglaubliche Plakatkampagne in der U-Bahn! Die Klappen waren zwar schon immer eine Brücke zwischen verschiedenen Welten, aber so ein Wohlwollen seitens einer öffentlichen Institution hatte ich doch nicht erwartet. Erik Kenny hat im Archiv der WALL AG gearbeitet, die sich um die Instandhaltung der damaligen öffentlichen Toiletten kümmerte, um eine Karte aller Berliner Klappen zu erstellen. Seine Karte verdeutlicht die Bedeutung, die die Stadt diesen „geselligen“ Örtchen beimaß …

Was für ein Glücksfall schließlich, in diese ehemaligen Toiletten der BVG hinabsteigen zu können, um dort mein Shooting zu machen! Das war auch sehr emotional: Dieser Ort war 25 Jahre lang gesperrt und hatte immer noch seine Graffiti auf den Fliesen und viele andere Spuren des Lebens dieser Leute, die sich an diesen Kabinentüren begegneten. Sie stammten aus den 80er und 90er Jahren. Für einige spiegelt sich darin vielleicht nur die obszöne und viehische Seite der Homosexualität, für andere einfach nur Vandalismus an öffentlichen Orten. Ich sehe darin im Gegenteil Begehrensströme und intime Botschaften. Ich konnte dabei in eine Zeit eintauchen, als es noch kein Internet gab und als Aids dabei war, unsere Community zu dezimieren. Diese Türen strahlen mit ihren eingetrockneten Pisse- und Sperma-Spuren und ihrem Gekritzel und den derben Zeichnungen eine gewisse Poesie aus.

Die BVG hat sofort eingewilligt, dass wir mit diesen Türen ins Museum umziehen, um sie dort auszustellen. Sie gehörten einfach dorthin. Sie trafen dort auf die Türen aus dem Bestand des Schwulen Museums*. Wir haben dort Kabinen nachgebaut, für die sie als authentische Toilettentüren dienten. Wir haben die Kabinen sogar mit Glory Holes ausgestattet. Auf gewisse Weise waren das die kleinen Kuriositätenkabinette der Ausstellung.

Ein Anliegen dieser Ausstellung ist, das Thema aus dem verschämten Schmuddel-Kontext zu holen und ihm einen angemessenen Platz in der schwulen Geschichtsschreibung zu geben. Ist dir das deiner Ansicht nach gelungen? Für mich ist es besonders symbolisch, wenn sich ein LGBTIQ-Museum meines Klappenprojektes annimmt, weil die Klappensubkultur lange auch innerhalb der homosexuellen Community selbst als Schandfleck galt. Deshalb bin ich in der Tat stolz darauf, dass es hier in Berlin im Schwulen Museum* stattfand. Ist es nicht das erste Schwule Museum der Geschichte, weil es schon 1985 eröffnet hat? Berlin ist wirklich eine ganz außergewöhnliche Stadt, vor allem wegen seiner geistigen Offenheit. Ich hatte hier großartige Begegnungen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich das Team des Schwulen Museums* herzlich grüßen.

Ich halte es für einen unglaublichen Luxus, heute ohne Zensur und Bedenkenträgerei arbeiten zu können. Der Projektleiter Heiner Schulze kannte zwar meine fotografischen Arbeiten, aber nicht die Klappenkultur. Klar, er ist ja auch der Jüngste im Vorstand. Also hat er mir uneingeschränkt vertraut. Vom ersten Tag an hatte ich freie Hand. Diese Freiheit bei der Gestaltung ist einer der Schlüssel zu unserem Erfolg. Ich sage bewusst „unser“ Erfolg, weil es wirklich Teamarbeit war. Der Architekt Ewald Kentgens, Janis Huyghe an der Lichttechnik, Kristine Schmidt und Wolfgang Cortjaens im Archiv, sie alle haben mir von Anfang an bei diesem gewagten Projekt vertraut und ihren eigenen kleinen Beitrag hier und da geleistet. Ich möchte mich bei der Gelegenheit auch dankbar an die kenntnisreichen und leidenschaftlichen Ehrenamtlichen des Schwulen Museums* wenden. Ich denke zum Beispiel an Heiko Pollmeier und Volker Woltersdorff, denen ich viel verdanke. Ohne sie hätte es diese dreisprachige Ausstellung und diesen schönen Ausstellungskatalog nicht gegeben. Als Aktivisten ohne Angst vor den Spitzfindigkeiten der Sprache haben sie sich heldenhaft der Sache verschrieben. „Fenster zum Klo“ war ein Gemeinschaftswerk!

Gleichzeitig gab es auch eine Kritik an „Fenster zum Klo“ durch die Vorständin des Schwulen Museums*, Birgit Bosold. Sie war der Ansicht, deine Ausstellung würde etwas zu unkritisch die schwule Hegemonie – im Museum* und in der LGBTI-Community – feiern. Was ist deine Meinung dazu? Birgit Bosold mag denken und sagen, was sie will. Ich habe ihre Aussage nicht öffentlich kommentiert und werde das auch nicht tun. Trotzdem ist klar, dass mir ihre Kritik wehtut. Denn sie ist eine Frau, die ich sehr schätze und die ich für ihr Engagement sehr respektiere. Eigentlich teile ich ihre Ansichten, gerade zur fehlenden Sichtbarkeit von Lesben. Doch an dieser Stelle hat sich mir der Sinn ihres Angriffes nicht erschlossen, umso weniger, als es sich um einen Newsletter handelte, der ja dazu dienen sollte, das Museumsprogramm in all seiner Vielfalt zu bewerben. Deshalb machte es mich traurig, wie sehr ihr Statement die einen gegen die anderen in der Community aufgebracht hat. Als Künstler bemühe ich mich darum, Menschen und Dinge zusammenzubringen. Ich halte es für eine deutliche Positionierung, die Klappenkultur aus der Schmuddelecke ins Licht zu holen. Der Kampf beginnt für mich jenseits unserer eigenen Zusammenhänge. Wir können nur gemeinsam stärker werden, und ich halte hartnäckig an dem Glauben fest, dass das möglich ist.

Heute ist es mir vor allem wichtig, dass der Erfolg meiner Ausstellung nicht politisch instrumentalisiert wird, in welche Richtung auch immer. Ebenso fände ich es unredlich, meine Arbeit schlecht zu machen und die Publikumswirkung von „Fenster zum Klo“ zu schmälern, nur weil diese Ausstellung angeblich nicht in die aktuelle Programmlinie des Schwulen Museums* passt. Dem Schwulen Museum* wünsche ich ein schönes, produktives, kreatives und glänzendes Jahr der Frau_en. Das Thema bietet sich in jeder Hinsicht dazu an.

Was passiert mit der Ausstellung in Zukunft? Wird sie auch in anderen Städten zu sehen sein? Erst einmal liegt Paris auf meiner Zielgeraden. Es gibt dort aber kein LGBTIQ-Museum, das ein solches Thema unterbringen könnte. Ich arbeite mit einige Leuten vom Pariser Rathaus zusammen, die Lust darauf hätten. Wir müssen nur noch den passenden Ort dafür finden. Dem Schwulen Museum* habe ich schon angekündigt, dass ich gerne ihre vollgekritzelten Türen ins Ausland mitnehmen würde, um dort Werbung für die deutsche Sprache zu machen. In diesem Zusammenhang habe ich auch erfahren, dass sich Birgit Bosold schon dafür eingesetzt hat, dass meine Ausstellung den großen Teich überquert. Birgit mag vielleicht eine große „Klappe“ haben, aber sie steht auch zu ihrem Wort, und wenn sie etwas verspricht, dann wird das auch „klappen“. Ich bin ganz zuversichtlich. Meine Klappen befinden sich auf einem guten Gleis, um ihre Welttournee anzutreten.

Interview: Jan Noll
Übersetzung: Volker Woltersdorf

marc.martin.paris

Ausstellungskatalog „Fenster zum Klo" erhältlich u. a. in der Buchhandlung Prinz Eisenherz

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