Johannes Kram im Interview

Worauf gründet sich die Homophobie in unserer Gesellschaft?

10. Apr. 2018
Johannes Kram

Johannes Kram präsentiert im Tipi sein viel diskutiertes Buch „Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber ...". Im SIEGESSÄULE-Interview spricht der Autor über die neue „schrecklich nette Homophobie"

Es gibt eine neue Homophobie, die auf ihrer Homosexuellenfreundlichkeit beharrt. Dieser These geht Johannes Kram in seinem Buch „Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber ..." nach, das am 11.04. im Tipi als Mischung aus Lesung, Talk und Musik präsentiert wird. Der Berliner Autor – bekannt vor allem durch seinen Nollendorfblog, in dem er die Homosexuellenfeindlichkeit in Politik, Gesellschaft, Kultur und Medien kommentiert – hat dafür Gäste aus der Community eingeladen: Getalkt wird u. a. mit Volker Beck, Stephanie Kuhnen und Georg Uecker. Aus dem Buch lesen werden die Schauspieler Matthias Freihof und Pierre Sanoussi-Bliss. Liveauftritte gibt es u. a. von Romy Haag, Lili Sommerfeld und Jade Pearl Baker. Johannes Kram beantwortete uns per E-Mail einige Fragen zu seinem Buch.

Johannes, wie kam die Idee zustande, dieses Buch zu machen? Ich hatte das Gefühl, eine Diskussion über alltägliche Homophobie in unserer Gesellschaft war mehr als überfällig. Viele von uns haben das verdrängt, es passt ja auch nicht zum Selbstbild des stolzen in einer sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommenen Homo, auf Diskriminierung aufmerksam zu machen. Viele wollen jetzt bloß nicht auffallen oder keine Schwäche zeigen. Und so ist ja auch die öffentliche Stimmung: Was wollt ihr eigentlich noch, hört endlich auf, euch so wichtig zu nehmen!

Außerdem hat der lähmende und nervende Kampf um die Ehe für alle nicht nur Ressourcen und Energien gebunden, sondern auch den Eindruck begünstigt, dass wir jetzt irgendwie am Ziel sind. Dabei ist die Ehe für alle nicht das Ende der Emanzipation, sondern eine Voraussetzung. Jetzt, wo das Ding endlich durch ist, müssen wir uns um das kümmern, was zu kurz gekommen ist: Das Mobbing von queeren Kids zum Beispiel. Und die einschüchternde Situation vieler von uns am Arbeitsplatz. Wie passt die Vorstellung der Deutschen als liberale, bunte und offene Gesellschaft zusammen mit der Tatsache, dass nur ein Drittel aller LGBTI*-Beschäftigten es für eine gute Idee halten, am Arbeitsplatz offen mit ihrer sexuellen Identität umzugehen?

Mit meinem Blog kann ich immer wieder einzelne Aspekte aufgreifen, aber so ein Buch kann verschiedene Ebenen miteinander verbinden, eine Erzählung daraus machen. Ich kenne ja durch meinen Blog die Abwehrmechanismen und Vorbehalte. Im Buch kann ich sagen: Nehmt euch mal ein paar Stunden Zeit, und lasst uns auch mal die Dinge anschauen, die vielleicht nicht zur eigenen Selbstwahrnehmung passen; lasst uns mal auf verschiedenen Ebenen schauen, worauf sich die Homophobie in unserer Gesellschaft gründet, wie sie uns lähmt und wie wir selbst darin verstrickt sind.

Du beginnst das Buch mit dem Eingeständnis, dass du als Schwuler selbst homophob bist. Inwiefern? Unsere Gesellschaft ist strukturell homophob, genau so, wie sie strukturell rassistisch und sexistisch ist. Auch wenn wir so nicht sein wollen, es steckt in uns drin. Tausend kleine Alltagserzählungen, Werbefilmchen oder Mediengeschichten, die wir unterschwellig verinnerlicht haben, haben eben einen Blick auf Normen verankert, die wir zwar ablehnen mögen, die uns aber doch geprägt haben. In anderen Ländern gibt es für diese Befangenheiten und die damit verbundenen Herausforderungen ein größeres Bewusstsein. Aber wir in Deutschland sind komischerweise der Meinung, so super aufgeschlossen und frei von diesen Strukturen zu sein.

Dabei muss man sagen: Ausgerechnet wir Deutschen! Wann hat es denn tatsächlich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Rassismus oder Sexismus gegeben? Ist es nicht merkwürdig, dass sich unser Land bis in die jüngste Zeit eine im Vergleich zu allen unseren Nachbarländern besonders exzessive Homosexuellenverfolgung gegeben hat, aber über die Aus- und Nachwirkungen des Paragrafen 175 nach dessen Abschaffung in den 1990ern nie eine ernsthafte Aufarbeitung stattgefunden hat?

Du sprichst von der neuen „schrecklich netten Homophobie“. Was verstehst du darunter? Was unterscheidet sie von der alten? Im Prinzip ist sie natürlich die alte, weil sie auf der Abwertung von Homosexualität beruht. Aber sie ist sich dieser Abwertung oft nicht bewusst oder streitet sie ab: Eine Homosexuellenfeindlichkeit, die auf ihrer Homosexuellenfreundlichkeit besteht. Niemand hat etwas gegen Homosexuelle. Aber. Und nach dem aber kommt dann etwa: Die sollen aber nicht so viel Wind machen, was im Endeffekt bedeutet, sie sollen sich mit ihrer Diskriminierung zufrieden geben.

Früher wurden Homosexuelle als moralisches Problem wahrgenommen. Heute als politisches: Der einzelne Homo ist ja total in Ordnung, aber zu viele davon und vor allem zu viele „Zugeständnisse“ bedrohen das Gefüge der Gesellschaft. Dabei kann es bei Fragen der Gleichstellung kein Zuviel geben, gleich bedeutet eben gleich. Der Homohass wird heute mit feinerem Besteck betrieben, ist aber nicht minder brutal. Wie Springerpresse und CDU, aber auch liberal-bürgerliche Kreise in Berlin gerade Stimmung machen gegen die angebliche Sex-Broschüre in den Kitas, zeigt, dass große Teile immer noch bereit sind, das Bild vom Homo als perversen Kinderschreck an die Wand zu malen.

In dem Buch schreibst du über die Schere zwischen gleichstellungspolitischen Erfolgen und konservativen gesellschaftlichen Rollbacks. Wie erklärst du dir dieses Phänomen? Damit keine Missverständnisse auftauchen: Natürlich kommt die Gefahr und die Aggression von rechts, die Entsolidarisierung, das Einfordern des Rechts des Stärkeren, der Ruf nach einer vermeintlich guten alten Zeit, die nur gut für die war, die Frauen und Minderheiten in die Schranken weisen konnten. Der neue Bayerische Ministerpräsident Söder war sich nicht zu blöd dafür, wieder die alten Möbel von Franz Josef Strauss in sein Amtszimmer stellen zu lassen und dies mit der Botschaft zu verbinden, dass nun wieder dessen Zeiten angebrochen seien. Die sogenannte konservative Revolution ist vor allem eine Arschloch-Revolution: Die Führungsleute von AfD/CSU wissen ganz genau, dass Frauen und Minderheiten weder Globalisierung, noch Digitalisierung verbockt haben, tun aber so, als könnte eine reaktionäre Ordnung, die sie als Kampf gegen eine vermeintliche Political Correctness ausgeben, irgendwelche Dinge wieder geradebiegen. Was ich sagen will: Emanzipatorische Erfolge sind nicht Schuld für den Rollback. Diese Leute werden sich immer ihre Schuldigen suchen und Homohass eignet sich halt besonders gut als identitätsstiftender Kitt.

Allerdings wird die Grenze des Sagbaren nicht nur rechts verschoben. Auch viele Linke rücken mit. Besonders eklig finde ich es, wie gerade auch im eher linken Milieu so getan wird, als ob die Ehe für alle irgendjemand etwas weggenommen hätte, wir Homos also auch dort als Sündenbock für gesellschaftliche Versäumnisse in Stellung gebracht werden. Etwa wenn Sigmar Gabriel oder Jacob Augstein unsere Rechte mit der prekären Situation von Industriearbeitern in Konkurrenz stellen. Das ist ein Muster, was man vom Antisemitismus kennt: Auch dort wird eine diskriminierte Minderheit zur Elite erklärt, also Opfer zu Tätern gemacht. Der Bundestag hat in der letzen Legislaturperiode über 500 Gesetze beschlossen. Wieso muss sich ausgerechnet das der Ehe für alle dafür rechtfertigen, dass es die Situation der Arbeiter nicht verbessert hat?

Sind Gesetze und Strategien zur Verbesserung der Situation von LGBTs vielleicht nur Kopfgeburten einiger PolitikerInnen bzw. einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, mit der ein immer noch sehr großer Teil der Bevölkerung nichts anfangen kann oder die sie zum Teil auch gar nicht verstehen? (z. B. die Debatte um das dritte Geschlecht oder eine geschlechtergerechte Sprache) Dass das insbesondere in Deutschland so ist, liegt auch daran, dass selbst viele Linke Fragen der Gleichstellung eher als ein Minderheiten- und Luxusthema begriffen haben, als das, was es in Wahrheit ist: Eine grundsätzliche Frage von Menschenrechten und Gerechtigkeit. Die Ehe für alle löst ja eben kein Luxusproblem, sondern nützt denen am meisten, die auch sonst benachteiligt sind. Jemand der prekär arbeitet, und dann noch aufgrund seiner Homosexualität diskriminiert wird, und sich klein und unsichtbar machen muss, der kann ja am meisten dadurch profitieren, dass ihm durch die Wahrung gleicher Rechte der Rücken gestärkt wird.

Geschlechtergerechte Sprache ist ja kein Selbstzweck, keine akademisch-intellektuelle Selbstbefriedigung, sondern dient der Beseitigung von Strukturen, die Frauen etwas verwehren, das ihnen zusteht. Deutschland belegt bei vielen Fragen der Geschlechtergerechtigkeit im Vergleich vergleichbarer Gesellschaften so peinliche hintere Plätze, dass ich gar nicht verstehen kann, dass die sogenannten Konservativen immer wieder durchkommen mit ihrem Klagen über die vermeintliche Diktatur der Political Correctness. Wieso dürfen die, die keine Lösungen haben, auch noch die Ansätze in die Tonne treten, die wirklich etwas bewirken könnten? Und wieso ist die Linke hier nicht selbstbewusst, und macht sich wieder daran, Gesellschaft zu gestalten mit einer Vorstellung davon, wie eine gerechtere Gesellschaft aussehen könnte?

Homo- und Transphobie sind auch in der Community präsent. Einflussreiche homosexuelle PolitikerInnen wie Alice Weidel oder Jens Spahn unterstützen eine homofeindliche Politik, spielen Minderheiten gegeneinander aus oder stehen für eine Entsolidarisierung. Das wird aktuell gerade sehr stark diskutiert. Warum hast du diesen Aspekt in deinem Buch eher ausgespart? Es ist einfach, auf Alice Weidel und Jens Spahn zu zeigen, und die beiden machen es ja auch wirklich leicht, wobei es dann noch mal einen Unterschied zwischen der Radikalität von Weidel gibt, und dem, wofür Spahn steht. In meinem Blog beschäftige ich mich mit dem Phänomen des ausgrenzenden Homos. Jede Lesbe, jeder Schwule hat eigene Abwertungserfahrungen. Man kann mit diese Erfahrung als Kompetenz nutzen, und versuchen, andere vor Abwertung zu schützen und einen empathischen Blick auf die zu haben, die von der Gesellschaft marginalisiert werden. Aber diese Kompetenz taugt auch für das Gegenteil: Abstand halten, Distanz schaffen, sich selbst über andere erheben, um sich nicht klein fühlen zu müssen.

Ja, es tut weh, zu sehen, was Weidel und Spahn da tun, und da müssen wir deutlich widersprechen. Doch wie gesagt, es ist einfach, auf andere zu zeigen. Und in der Berliner Community werden einige der erfolgreichsten Partys von schillernden Figuren der Community veranstaltet, die sich im Internet mit der Abwertung anderer brüsten und sich dafür feiern lassen, und wo man davon ausgehen muss, dass der Erfolg dieser Partys nicht nur trotz, sondern auch wegen dieser zynischen Haltung möglich ist. Oder zumindest damit, dass viele damit kein Problem haben. Wo findet die selbstkritische Auseinandersetzung damit in der Community statt? In meinem Buch habe ich versucht, das Problem der Entsolidarisierung und der gesellschaftlichen Abwertungsprozesse grundsätzlicher zu beschreiben. Mir ist wichtig, dass wir alle auch erkennen können, dass wir auch ein Teil des Problems sind.

An einer Stelle widersprichst du der klassischen These, dass Bildung das beste Mittel gegen Homophobie sei. Bildung soll dazu beitragen Dinge differenzierter zu sehen und Vorurteile abzubauen. Warum glaubst du, dass das über dieses Mittel nicht funktioniert? Natürlich kann Bildung Vorurteile abbauen und wir dürfen nicht darauf verzichten, eine Erziehung zur Vielfalt in den Schulen einzufordern. Aber mehr Bildung führt nicht automatisch zu einer reflektierteren Auseinandersetzung mit homophoben Denkmustern, sie kann dieser auch entgegenstehen. Nicht homophob zu sein gehört zum Selbstbild gebildeter Kreise, es gilt es Chiffre dafür, weltgewandt zu sein. Deswegen wird dieses Selbstbild auch dann noch erbittert verteidigt, wenn die homophoben Abwertungen mit Händen zu greifen sind. Homophob? Ich doch nicht, ich habe doch schwule Freunde!

Dieter Nuhr, der Bewahrer und Verteidiger des homophoben Schwuchtelwitzes, gilt als als ein Vertreter des gebildeten Humors und hat sogar den Jacob-Grimm-Preis für Deutsche Sprache erhalten. Nuhr ist sich ganz sicher, dass er nicht homophob ist, er ist sich sogar sicher, dass er gar nicht drüber nachdenken muss, ob seine Witze homophob sind. So viel Selbstsicherheit ist ein Ergebnis einer soliden deutschen Bildung.

Helmut Martenstein als eine Ikone des Bildungsbürgertums hat auch die Aufgabe übernommen, diese Klientel darin zu schulen, das Bewahren von Ressentiments als Privileg der Gebildeten betrachten und dumpfe Reflexe kulturell zu verklären. Wer Die Zeit liest, kann ja gar nicht homophob sein, wo kämen wir da hin. Im Buch beschreibe ich, wie Martenstein einer der ersten war, der mit dieser „Das wird man doch mal sagen dürfen“-Attitüde auf Homos losgegangen ist und das dann als Mut deklariert hat. In meinem Buch arbeite ich mich nicht deshalb so intensiv an Leuten wie Martenstein und Nuhr ab, weil sie so böse sind. Sondern weil sie so großartig schrecklich nett sind und es für einen Großteil der Ressentimetbewahrer deshalb so einfach ist, sich hinter ihnen zu verstecken.

Interview: Andreas Scholz

Buchpräsentation: „Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber ...",
11.04., 20:00,
Tipi



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