SIEGESSÄULE PRÄSENTIERT

Von der Punk-Tunte zur Chanteuse: Hedi Mohr ist zurück

22. Mai 2018
© Claudia Brijbag

Die Sängerin Hedi Mohr gehört sicherlich zu den großen Stimmen der Hauptstadt. Dennoch wurden ihre Auftritte und Konzerte, zumindest in der Community, in den letzten Jahren seltener. Nun meldet sich die Chanteuse mit ihrer ersten Soloshow – eine Zusammenarbeit mit Thomas Hermanns – zurück

Hedi, du hast dich in den letzten Jahren etwas aus der queeren Szene zurückgezogen. Was hast du denn so getrieben? In queeren Zusammenhängen ging mir das Überpolitisieren und Zerfleischen innerhalb der eigenen Community ziemlich auf den Sack. Deshalb wollte ich meine Kunst unabhängig von einer Szene für sich sprechen lassen. 2013 bekam ich den Gisela May-Chansonpreis, wurde von der Techno-Schlampe zur Chansonette und habe dann in der Kleinen Nachtrevue angefangen. Da hab ich jeden Abend ein bisschen Sally Bowles gespielt und mich verwirklicht. Und dann habe ich Thomas Hermanns kennengelernt.

Wo hast du ihn denn kennengelernt und wie kam deine Show im BKA zustande? Thomas hat mich bei Chantal auf der Bühne das erste Mal gesehen, mit ‘nem Dildo im Arsch wahrscheinlich. (lacht) Und dann noch mal im Friedrichstadtpalast beim Chansonpreis. Ich weiß jetzt nicht, was ihn mehr beein- druckt hat, aber er meinte: Hedi verdient ‘ne Show. Ich habe ihm meine Geschichte erzählt und er hat daraus das Buch gemacht. Dann haben wir zusammen Lieder neu getextet und Songs ausgewählt, daraus ist die Show entstanden. Auch wenn ich mich gerne in feuchten Kellern im Bier gewälzt und dabei gesungen habe, war es doch immer mein Traum, auf einer echten Bühne Raum und Zeit zu haben, um meine Geschichte zu erzählen und Gehör zu finden für die leiseren und zarten Töne. Wer mich kennt, weiß, dass Nacktheit in meiner Kunst eine große Rolle spielt. Und deshalb dachten wir, dass wir das zum Konzept machen und die Show „Nacktsängerin“ nennen. ‘Ne nackte Show.

Es werden Songs aus allen deinen künstlerischen Phasen zu hören sein. Der rote Faden ist meine Berliner Geschichte von der Punk-Tunte zur Techno-Schlampe zur Jazzsängerin, die bei Juwelia gesungen hat, und dann von der Chanteuse im Friedrichstadtpalast über die Burlesktänzerin zum internationally ignored Musicalstar. (lacht) Alle diese Farben wollen wir zeigen und musikalisch umsetzen von Disney bis Knef, Broadway und ein bißchen elektronischer Musik. Ich werde von einer tollen Girlband unterstützt. Alles Frauen: Cello, Klavier und Gitarre.

Warum ist Nacktheit zum festen Bestandteil deiner Kunst geworden? Für mich birgt Nacktheit eine große Verletzlichkeit, da man sich wortwörtlich vor den Zuschauern emotional und körperlich auszieht. Darin liegen eine große Kraft und eine Unmittelbarkeit. Es geht um Selbstliebe, darum, den eigenen Körper und seine Unvollkommenheit zu erkennen. Gleichzeitig ist es eine Ganzwerdung, weil man sich durch Selbstakzeptanz näherkommt und zeigen kann, dass man so viel mehr ist als das, was man sieht. Irgendwie Post-Drag, eine Umkehrung – es geht eben nicht darum, eine bestimmte Identität durch Kleidung herzustellen, sondern darum, zu zeigen, dass man auch ohne Kleidung alles Mögliche sein und darstellen kann. Die Aussagen meiner Show sind, dass man positiv mit dem eigenen Körper umgehen sollte. Es geht darum, eine bestimmte Freiheit innerhalb der Gesellschaft zu entwickeln – unabhängig davon, wie die Normen, Zwänge und Erwartungen der Mehrheit sind. Außerdem geht es um einen positiven Umgang mit Sexualität und darum, zu zeigen, dass man unabhängig von seinem Körper die eigene Identität gestalten kann.

Erzählst du das alles dem Publikum, weil du es verinnerlicht hast, oder erzählst du es, um es selber erst zu erreichen? Ich hab meine Freiheit gesucht, gefunden. Aber genauso schnell verliert man sie wieder. Ich muss immer wieder nackt auf die Bühne, es mir selbst erzählen, um die Stärke wiederzuerlangen und dabei vielleicht andere Menschen zu inspirieren.

Im besten Fall kommst du also von der Bühne und bist gestärkt für den Alltag. Genau. Das Leben als Künstler ist schwierig, vor allem wenn man keinen Job hat. Leider gibt es oft keine Möglichkeit, jeden Tag auf der Bühne zu stehen. Man wird dadurch immer kleiner. Den besten Sex habe ich wahrscheinlich, wenn ich gerade von der Bühne komme. (lacht)

Interview: Jan Noll

Hedi Mohr: Nacktsängerin, 23.05. (Premiere), 24.-26.05., 20:00 BKA

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