Kunst

Die 10. Biennale: „We’re here, we’re black, we’re queer“

8. Juni 2018
Kuratorisches Team der 10. Berlin Biennale (v. l. n. r.): Thiago de Paula Souza, Gabi Ngcobo, Nomaduma Rosa Masilela, Yvette Mutumba, Serubiri Moses © F. Anthea Schaap

Am 9. Juni feiert die 10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst Eröffnung. Kuratorin Gabi Ngcobo aus Südafrika hat Nomaduma Rosa Masilela (USA), Serubiri Moses (Uganda), Thiago de Paula Souza (Brasilien) und Yvette Mutumba (Berlin, Deutschland) eingeladen, mit ihr als kuratorisches Team zu arbeiten. Wir trafen Gabi Ngcobo und Thiago de Paula Souza zum Interview über Dekolonisierung in der Kunst und queerfeministische Perspektiven

Die 10. Berlin Biennale zeigt die Werke von 46 KünstlerInnen und drei Kollektiven aus aller Welt. Was sind die Themen und Highlights dieser wichtigen zeitgenössischen Schau? Gabi Ngcobo: Die Biennale ist nicht über etwas, denn es gibt keine „aboutness“. Wir haben kein Thema, sondern eine Position – oder versuchen zumindest, eine zu finden. Dabei treffen unterschiedliche künstlerische Ansätze aus den verschiedensten Räumen aufeinander. Die Arbeiten konfrontieren historische Erzählweisen mit der Produktion von Wissen oder mit den Hierarchien der Macht. Europa, Deutschland, Berlin und seine oftmals subtilen Beziehungen zur Welt, das sind die Ausgangspunkte für unser Denken und Sprechen im Kuratorium. Wir arbeiten aber auch mit den gegebenen Einschränkungen und fragen uns: Wie reißt man bestimmte Mauern ein? Es gibt nämlich viele Mauern in Berlin.

Der Titel des Tina-Turner-Songs „We Don’t Need Another Hero“ ist eine Art Leitmotiv der Biennale. Wenn wir keinen neuen Helden brauchen, was brauchen wir denn dann? G: Wir brauchen so viel. Man kann diese Frage überall stellen und erhält immer eine andere Antwort. Wir brauchen Luft zum Atmen – und manche Menschen können eben gerade nicht atmen wegen des politischen Systems, in dem sie leben, oder wegen der Anordnung der Machtverhältnisse. In Südafrika würden die Menschen sagen, wir brauchen unser Land zurück. In Deutschland müssten wir vielleicht noch einmal überdenken, wie wir arbeiten, wie wir über Institutionen denken und sie organisieren oder wie wir mit vorhandenen Hierarchien arbeiten.

Und wo sind bei alledem die queeren Ansätze? G: Die ganze Annäherung an die Biennale ist queer. Ich arbeite grundsätzlich nicht mit Leuten, die nicht queer sind. Thiago de Paula Souza: Vielleicht ist die Berlin Biennale ja auch ein Versuch, sich dem Queering von Geschichte anzunähern. Der Begriff queer impliziert so vieles, was wichtig ist. Grundsätzlich geht es darum, wie wir als queere Menschen die Konversation mit Kunst gestalten wollen oder eben auch die Konversation mit Menschen jenseits der Kunst.

Stichwort Humboldt Forum: Wie wichtig ist in diesen Zusammenhängen die Demokratisierung und Dekolonisierung in der Kunst und im Museum? G: Die Dekolonisierung ist ein langwieriger Prozess und überaus wichtig. Vor allem jene, die ehemals kolonisiert und unterdrückt haben, stehen hier in der Verantwortung, denn das ist eben gerade nicht die Aufgabe der ehemals Kolonisierten. Wir im Kuratorium sind an vielen Ideen und Herangehensweisen interessiert, aber Ausstellungen können halt nicht alles lösen. T: Dekolonisierung, oder wie auch immer wir diesen andauernden Prozess nennen wollen, ist nicht einfach und tut weh. Wenn wir versuchen, dieses Projekt rückgängig zu machen, mit dem wir die letzten 500 Jahre gelebt haben, ist auch heute immer noch sehr viel Gewalt involviert. Unser Geist, unsere Körper, die Art, wie wir denken, wie wir uns in Beziehungen verhalten und wie wir lieben – das alles wurde kolonisiert. Es kann uns gar nicht gelingen, all das in unserer Lebenszeit zu transformieren, und das macht uns auch melancholisch. Ich habe die kuratorische Praxis, aber in gewisser Weise bin ich auch ein Erzieher, und das hilft mir, meine Träume zu verwirklichen. Dabei kann eine Ausstellung eine gute Plattform sein, diese Träume in die Realität zu bringen.

Gabi, du bist Südafrikanerin und 16 Jahre vor dem Ende des mörderischen Apartheidregimes geboren. Mit der Freilassung Nelson Mandelas kam der versöhnliche Übergang zur Demokratie und sogar zur ersten Verfassung der Welt, die eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung verbietet. Am 1. Dezember 2006 schrieb Südafrika erneut Geschichte, indem es als fünftes Land der Welt und als erstes Land in Afrika die Ehe für gleichgeschlechtliche PartnerInnen öffnete. Trotz dieser modernen Verfassung gibt es heute leider immer noch problematische Rituale und Hate Crimes gegen LGBTI. G:
Da, wo ich lebe, bin ich dieser Bedrohung nicht ausgesetzt, denn ich habe ein anderes Leben. So oder so existieren Hate Crimes in vielen Gesellschaften, überall. In Südafrika erlaubt uns die Verfassung, gegen Diskriminierung aufzubegehren und Hate Crimes auch als Hate Crimes zu bezeichnen. Überall in Südafrika leben LGBTI offen und frei. Mit dem Rückhalt der Verfassung haben wir in Südafrika eine Plattform und können freie Diskussionen führen. Aufgrund der Verfassung können die Menschen in Südafrika aussprechen, was andernorts unaussprechlich ist. Hate Crimes passieren genau da, wo die Menschen nicht darüber sprechen können, wo sie keine Bücher machen und sich nicht in akademischen Diskussionen engagieren. Das ist in Bolivien oder in Uganda anders und möglicherweise auch in Polen.

Wie beurteilt ihr beide den gegenwärtigen Stand queerfeministischer Diskurse und wie schlagen diese sich auf die Arbeit des kuratorischen Teams nieder? T: Oje, es gibt so viele Diskurse. Und in Südafrika sind sie anders als in Deutschland oder in Brasilien. Dort gibt es zahlreiche Diskurse über den brasilianischen Schwarzen Feminismus, das heißt darüber, dass und wie die Position von Schwarzen brasilianischen Feministinnen ganz anders ist als die weiße brasilianische Lesart von Feminismus. Oder die Diskurse darüber, dass Schwarze Frauen in Brasilien über Jahrhunderte hinweg gearbeitet haben. G: Wir können das nicht verallgemeinern. Für den afrikanischen Kontinent trifft zum Beispiel zu, dass es mitunter eine Art Widerstand gibt gegen die Diskurse aus den USA, trotz der Fokussierung auf Feminismus oder Blackness. Das ist aber nicht relevant, wenn man in Lagos lebt. Letztendlich dürfen wir nie vergessen, dass wir nicht alle die gleiche Geschichte haben und unsere Queerness nicht einfach Konversationen überspringen kann … und dann wird alles gut. Wir müssen immer ein Bewusstsein darüber haben, von wo aus wir sprechen, sonst existiert die Problematik immer.

Im Juni steht auch der Black Lives Matter Month im Berliner Kalender. Gabi, was sind deine Erfahrungen mit Rassismus in weißen Mehrheitsgesellschaften wie in Deutschland? G:
Ich habe ein Problem mit festgesetzten Daten und Gedenktagen. Black Lives Matter, das gilt für mich jeden Tag. Und jeder Tag ist auch ein Pride Day – egal, ob es um die Geschichte von Schwarzen Menschen geht oder um Frauenrechte. Ich denke, dieser Dialog sollte immer hörbar und immer sichtbar sein. Was ich schlussendlich über weiße Gesellschaften sagen kann, ist wie eine lange Geschichte und eben auch alltäglicher Rassismus: In einer Gruppe von Menschen bin ich als Südafrikanerin die einzige Person, die man fragt, wo sie herkommt. Und nur mit mir will man über Haare sprechen.

Vielen Dank für das Gespräch. Gibt es zum Schluss noch etwas, was ihr den LeserInnen der SIEGESSÄULE sagen möchtet? G: Wir könnten noch sagen: We’re here, we’re black, we’re queer. Und zwar jeden Tag.

Interview: Andrea Winter

10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst,
09.06.–09.09., diverse Locations
Alle Infos unter:
berlinbiennale.de

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