Interview

Klaus Wowereit: „Homo- und Transphobie sind ein Hemmnis für Integration“

15. Juni 2018
Klaus Wowereit © Joseph Wolfgang Ohlert

Klaus Wowereit im Gespräch mit SIEGESSÄULE über sein neues Buch, rechte homosexuelle PolitikerInnen wie Jens Spahn und Diskriminierung in Berlin

Der Name des Exregierenden Klaus Wowereit steht noch immer für Berlin wie kaum ein anderer. Nun hat der SPD-Politiker im Ruhestand Anfang Mai sein neues Buch veröffentlicht: „Sexy, aber nicht mehr so arm: mein Berlin“. Anfang Juli stellt er es im Pfefferberg-Theater vor. SIEGESSÄULE-Autor Dirk Ludigs traf ihn zum Interview

Herr Wowereit, bei einer Popsängerin kommt am Ende der Karriere ein Best-of-Album, bei einem Politiker eine Biografie voller Anekdoten. Sie schreiben stattdessen ein Buch über Berliner Politik. Warum? Warum nicht? Ein Teil meines Lebens ist ja in meinem ersten Buch schon dargestellt, und es war meine bewusste Entscheidung, keinen zweiten Teil zu schreiben. Viele haben ja erwartet, dass der Wowereit jetzt mal aus dem Nähkästchen plaudert oder mit einigen abrechnet. Auch das sollte es nicht sein, sondern die Grundidee war, mit dem Abstand zur Tagespolitik ein paar Gedanken zu Papier zu bringen, mit der Hoffnung, dass der eine oder andere darüber nachdenkt und dann auch diskutiert, wie sich diese Stadt entwickelt hat, wo sie steht und wo sie hinwill.

Gleich zu Anfang des Buches legen Sie Wert auf die Feststellung, dass Ihre Zeit als Bürgermeister mehr war als nur der berühmte Champagner und der Stöckelschuh. Warum so defensiv? Der Glamourfaktor war doch etwas Positives! Das ist von einigen Medien und Konservativen instrumentalisiert worden, die mir damit einen reinwürgen wollten, ein Image verpassen, das einerseits nicht gestimmt hat, andererseits aber auch nicht geschadet hat. Ich bin ja immer wiedergewählt worden. Sicherlich hat die Person Wowereit einen Beitrag dazu geleistet, Berlin zu positionieren und zum Beispiel Leuten aus der Kreativwirtschaft, die hierherkommen, zu vermitteln, dass das Lebensgefühl in Berlin wertgeschätzt wird. Insofern, wenn dann noch ein wenig Glamour dazukommt, habe ich nichts dagegen.

Ihr Schwulsein kommt in Ihrem Buch maximal auf zwei Seiten vor ... ... na immerhin! (lacht) Das muss ja auch nicht mehr erklärt werden.

Aber natürlich kommen Sie in einem Interview mit der SIEGESSÄULE um das Thema nicht herum. Also ich bin schwul, und das ist auch gut so, dazu stehe ich immer noch. Diese Überraschung werden wir den Leserinnen und Lesern nicht mehr machen können!

Bis heute hält sich das Gerücht, Sie seien mit dem Satz Ihrem Outing durch die Springerpresse nur um Haaresbreite zuvorgekommen.
Das entspricht ja nicht der Wahrheit. Nach meiner Nominierung hatte die Zeitung Queer (Print-Vorgänger von queer.de, Anm. d. Red.) das donnerstags nach einer nicht öffentlichen Sitzung von SPD-Landesvorstand und -Fraktion an die Agenturen gegeben. Während der Sitzung hatte ich es meinen Parteifreunden gesagt, also nicht diesen Satz, aber etwas Ähnliches. Am Samstag war es dann in der Frankfurter Rundschau, das hatte ich aber gar nicht mitbekommen. Realität war allerdings, dass dann schon einige Publikationen in der Hoffnung, etwas Schmuddeliges zu finden, oder mit dem Gefühl, jetzt zeigen wir es ihm aber, in die Recherche gingen.

Also war schon ein bisschen Angst da? Für Angst blieb gar keine Zeit. Man musste es einfach zur Kenntnis nehmen. Die Berater meinten, wie das eben damals noch so war: Sag es mal lieber nicht auf dem Parteitag! In so einer Zeit lebte man ja noch. Aber ich wollte offensiv damit umgehen – und das hat ja auch gut geklappt.

Im Buch steht, dass selbst in Saudi-Arabien selbstverständlich mit Ihrem Schwulsein umgegangen wurde. Sie erwähnen aber nicht, ob in den ganzen dreizehneinhalb Jahren nicht doch Leute intern versucht haben, Ihnen einen Strick daraus zu drehen? Nein, das hat es nicht gegeben, zumindest ist mir nichts dergleichen bekannt. Was aber nicht heißt, dass einige keine Probleme damit hatten, dass ich so was öffentlich sage. Giovanni di Lorenzo hatte in dieser Richtung einen Kommentar im Tagesspiegel veröffentlicht. Was es immer gab, waren Beleidigungsbriefe und Schmähungen bis hin zu Liedtexten von Bushido. Heterosexuelle Bürgermeister werden auch geschmäht, aber nicht in dieser Tonalität, das ist schon noch ein Unterschied.

Mussten Sie mal den Staatsschutz einschalten?
Anzeige habe ich regelmäßig erstattet. Nicht, dass da viel bei rausgekommen wäre, meist wurde das Verfahren eingestellt, weil der Verfasser nicht zu ermitteln war. Ich habe es aber auch für alle anderen getan, es war ja eine Beleidigung nicht nur für mich. Darum habe ich das schon aus Prinzip gemacht, damit es aktenkundig und deutlich wird, dass man das nicht einfach so hinnimmt.

Nun gibt es in der neuen Generation einige lesbische und schwule PolitikerInnen, die offen rechts sind, von Jens Spahn bis zu Alice Weidel. Wie erklären Sie sich das? Das gab es schon immer. Homosexualität heißt ja nicht, dass die Betroffenen sich in der Gesellschaft anders verhalten als Heterosexuelle.

Also ich dachte immer, man kann aus einer persönlichen Diskriminierungserfahrung etwas lernen. Man versteht es nicht, aber es ist wohl so, dass manche Leute die Sache völlig ausklammern und zum Teil sogar extreme Positionen einnehmen können. Wir sehen das ja auch beim neuen amerikanischen Botschafter. Der ist so konservativ, sein Mann hat bei der offiziellen Vereidigung die Familienbibel gehalten. Das Ambivalente und die Inkonsequenz muss man vielleicht eher hinnehmen und sich politisch mit denen auseinandersetzen, aber nicht, weil sie schwul oder lesbisch sind.

Im Mai gab es einen Tuntenspaziergang durch Neukölln, um auf die Homo- und Transphobie im Bezirk aufmerksam zu machen. Wurden solche Konflikte in der Vergangenheit zu sehr vernachlässigt? Die Probleme gibt es schon lange, aber das hat sich seit 2015 vielleicht von der Menge her noch mal verstärkt. Für jemand, der überfallen wird, ist es am Ende egal, ob es ein Migrant war oder nicht. Aber dass Homo- und Transphobie ein Hemmnis für Integration und für ein friedliches Miteinander sind, das muss man schon deutlich sehen und sagen, und da muss kulturell nachgearbeitet werden. Man darf sich andererseits auch nicht wundern, dass das Spuren hinterlässt, wenn man in einem Land groß wird, in dem Israel zum Staatsfeind Nummer eins erklärt wird, keine Aufarbeitung des Holocaust stattgefunden hat, Religion missbraucht wird oder veraltete Gesellschaftsbilder gepflegt werden, die man auch nicht so einfach loswird. Ich erwarte aber auch, dass jemand, der hierherkommt, sich zu unseren Grundwerten bekennt. Man muss alles tun, um ihnen die Integration zu erleichtern, aber man darf auch eine Erwartungshaltung haben, und das sollte man auch artikulieren.

Auch dem Flughafen BER widmen Sie ein Kapitel. Wurmt es Sie, dass der Flughafen Sie vielleicht daran hindert, im Pantheon der großen Bürgermeister dieser Stadt in die Geschichte einzugehen, so auf einer Ebene mit Ernst Reuter oder Willy Brandt? Ich wusste ja gar nicht, dass so ein Pantheon existiert. (lacht) Was mich an dem Flughafen wurmt, ist, dass er immer noch nicht fertig ist. Es liegt ja nicht am Geld und mittlerweile auch nicht an der Zeit, es sind die größten deutschen Firmen beteiligt, und trotzdem gelingt es nicht, in einen Rohbau die technischen Anlagen so zu installieren, dass er genehmigungsfähig wird. Erklären kann man das ganz schwer. Und mich ärgert auch die Häme, die da ausgegossen wird, diese Freude am Misslingen ...

... ein bisschen deutsch, oder? Ja, das kann man so sagen. Man muss aber offensichtlich auch damit leben, und man wird dem nur entgegentreten können, wenn er dann mal fliegt. Und das hoffentlich recht bald.

Zusammengefasst, ist dieses Buch eine Anmeldung für das Comeback des Politikers Klaus Wowereit?
Nein, das ist auf jeden Fall nicht so geplant. Aber ganz uneitel ist man natürlich auch nicht, und was einen freut, ist das rege Interesse, das hätte ja auch anders kommen können.

Interview: Dirk Ludigs

Klaus Wowereit: Sexy, aber nicht mehr so arm: mein Berlin, Lesung, 04.07., 20:00, Pfefferberg Theater

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