Kommentar

Zur Fußball-WM: Das Big Buisness hat über jeden Anstand gesiegt

22. Juni 2018
Bild: © Kremlin.ru / CC BY 4.0
Putin hält bei einer Zeremonie 2017 den FIFA-WM-Pokal © Kremlin.ru / CC BY 4.0

Ein schwules Paar wird zusammengeschlagen, als es ein Taxi nehmen will. Der britische LGBT*-Aktivist Peter Tratchell wird nach friedlichem Protest in Moskau verhaftet. Chöre mexikanischer Fans skandieren beim Spiel ihrer Mannschaft gegen Deutschland homophobe Sprechchöre. Eine Bäckerei-Kette in Rostow ziert ihre Türen mit dem Schild „Faggots not allowed“. Und zeitgleich salbadern die FIFA und allen voran der DFB das Hohelied der Trennung von Politik und Sport.

Okay, das ist schon irgendwie fast glaubwürdig, wenn man sich vor Augen führt, dass das bedeutendste weil umsatzstärkste Sportfest der Erde trotz des Ukraine-Konflikts, des Skripol-Attentats und des Abschusses von Flug MH17, nachweislich durch russische Streitkräfte, ausgerechnet in Putinland stattfindet. Denn würde irgendwer die politische Gemengelage mit einbeziehen, es wäre ein Ding der Unmöglichkeit, mit einer solchen Veranstaltung international die Werbetrommel für eine Diktatur zu wirbeln.

Insofern haben sie schon Recht, die Verbände und Funktionäre, assistiert von ihren wie ferngesteuert nach dem Maul redenden Topstars auf dem Feld, wenn sie betonen, der Fußball dürfe sich von der Politik nicht instrumentalisieren lassen. Und sie haben doppelt und dreifach Recht, wenn man einfach mal die Tatsache akzeptiert, dass hier schon lange der Spieß herumgedreht wurde. Denn nicht die Politik instrumentalisiert den Sport, der Sport bedient sich der Politik. Er treibt den Preis hoch.

Schon das „Sommermärchen 2006“ in Deutschland war, wie lange bekannt, teuer erkauft. Südafrika, Brasilien – jetzt Russland. Wie viel genau Putin hat springenlassen, dieser „lupenreine Demokrat“, um sich die Weltmeisterschaft als Hochamt seiner Alleinherrschaft zu sichern, wird wohl nie bekanntwerden. Als zynische Petitesse erweist sich dabei, dass die ägyptische Nationalmannschaft in der barbarischsten Teilrepublik seines Großreichs, im tschetschenischen Grosny nämlich, untergebracht wurde. Dort, wo schwule Menschen Freiwild sind, wo sie in den Knast geworfen, gefoltert oder umgebracht werden. In Anbetracht des Offensichtlichen dürfte Putin der FIFA ein gewaltiges Sümmchen bezahlt haben. Aber wen juckt das schon? Die nächste Station, Katar, liegt noch eine Preisklasse darüber.

All das ist ja nicht bloß Symptom der weltweiten Verrohung, wo es niemanden mehr wundern würde, wenn demnächst Erdogan oder Assad Olympia und WM ausrichten. Es ist auch das unerhörte Signal der wohlfunktionierenden Abstumpfung des Publikums. Da mag es Kiss-Ins und Demos vor der russischen Botschaft seitens unermüdlicher Aktivisten geben – die Masse ergibt sich stumm. Mangels Alternative. Boykotts wie bei Olympia 80 und 84 wären angesichts der heutigen Umsätze undenkbar. Machen wir uns nichts vor: das Big Business hat über jeden Anstand gesiegt. Eine am Abgrund balancierende Welt tanzt auf einem aus Rendite gesponnenen Seil. Das einzige, was den Autor (selbst Fan des Turniers) heimlich freut, ist, dass der Glanz des Fests abstumpft. Dass die Euphorie sich nicht mehr so recht einstellen mag, dass die Freude sichtlich abnimmt. Es ist eben ein Geschäft, mehr nicht. Big Business as usual.

Daniel Call

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.