Preis für lesbische* Sichtbarkeit

Laudatio auf Ilse Kokula

4. Juli 2018
Journalistin und Buchautorin Stephanie Kuhnen hält ihre Rede für Ilse Kokula © jackielynn

Am Montag wurde der erste Berliner Preis für lesbische* Sichtbarkeit an Ilse Kolkula verliehen. Jury-Mitglied Stephanie Kuhnen hielt die Laudatio. Ihre kämpferische Würdigung an Ilse könnt ihr hier nachlesen

–„Liebe Menschen, sehr geehrte Damen und Herren aller Gender,verzeihen Sie mir, wenn ich mich in meiner Anrede knapp halte. Dies soll kein mangelnder Respekt für Ämter und Würden sein, sondern mir wurde aufgetragen, mich kurz zu fassen. Das ist angesichts des jahrzehntelangen erfolgreichen Wirkens Ilse Kokulas, die ich die Ehre habe vorzustellen, kein leichtes Unterfangen. Allein ihren Wikipedia-Eintrag vorzulesen dauert 8 Minuten, ich habe aber nur fünf.

Leider kann Ilse Kokula heute aus gesundheitlichen Gründen nicht bei uns sein. Ich habe gestern lange mit ihr telefoniert, sie sah das alles recht gelassen. Sie sagte 'Ich weiß ja, was ich getan habe!' Viele hier im Raum werden sie kennen. Und den vielen, die sie nicht kennen, kann ich versichern: wir alle stehen auf ihren Schultern. Dieser Preis steht auf ihren Schultern. Die aktuelle LSBTTIQ*-Politik und -Community steht auch auf ihren Schultern. Die Sichtbarkeiten Berliner Lesben* stehen auf ihren Schultern. Und einige werden jetzt ganz stark sein müssen: auch die Schwulenberatung, der LSVD Berlin-Brandenburg, die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, das Schwule Museum und andere Projekte und Vereine, die erst einmal unvermutet genannt werden könnten, stehen auch auf ihren Schultern.

Wie das? Selbstverständlich wird mit diesem Preis nicht eine sexuelle Orientierung bevorzugt gefördert. Und dazu noch die lesbische. Als würde das jemals geschehen! Sondern ein Wirken, das lesbische Sichtbarkeit(en) herstellt. Das bedeutet, dass Lesben* bereits da sind und handeln, ihnen jedoch keine Bedeutsamkeit zugestanden wird. Sichtbarkeit ist essentiell, um überhaupt ein politisches Subjekt zu werden und die Möglichkeit zu erhalten, Teilhabe, Rechte und soziale Gerechtigkeit einzufordern. Mutig und hartnäckig hat Ilse Kokula zeitlebens dafür gekämpft. Und so musste sie auch selbst um ihre Sichtbarkeit kämpfen, um eine Grundlage für ihr jahrzehntelanges, solidarisches Engagement schaffen zu können.

Geboren 1944 in Schlesien, wuchs sie in Franken auf und zog 1971 nach Berlin. Mitte der 1970er publizierte sie noch unter dem Pseudonym Ina Kuckuck ihre Diplomarbeit über das Lesben Aktions Zentrum (LAZ) mit dem Titel 'Der Kampf gegen Unterdrückung'. Sie selbst war in dieser Pionierinnengruppe aktiv. (Am 5. Juli eröffnet im Schwulen Museum übrigens eine Ausstellung zum LAZ.)

Mitte der 80er veröffentlichte Ilse Kokula zwei Meilensteine der lesbischen Geschichtsforschung 'Jahre des Glücks, Jahre des Leids. Gespräche mit älteren lesbischen Frauen' und 'Wir leiden nicht mehr, sondern sind gelitten! Lesbisch leben in Deutschland.' In vielen ihrer mittlerweile vergriffenen Publikationen machte sie mittels bedeutsamer Zeitzeuginnen-Interviews nicht nur die Protagonistinnen und ihre Netzwerke, sondern auch die Verfolgungsgeschichte von Lesben in Berlin nicht nur während der NS-Diktatur sichtbar. Eine Lektüre, die heute leider einigen Akteuren in der queeren Gedenkpolitik nochmals dringend empfohlen werden muss.

Unter der Senatorin für Jugend, Bildung und Sport, Anne Klein, wurde Ilse Kokula 1989 Gleichstellungsbeauftragte im Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Hier engagierte sie sich vor allem für die Aufarbeitung der Verfolgungsgeschichten von Lesben und Schwulen. In einer Senatshandreiche mit dem Titel 'Der homosexuellen NS-Opfer gedenken' von 1995 unter ihrer Redaktion und Autorinnenschaft gibt sie der Initiative für ein 'Schwules Denkmal' zu bedenken: (Zitat) 'Es besteht aber die Gefahr, dass die Errichtung eines 'schwulen Denkmals' den Blick auf die Gemeinsamkeiten der Situation von lesbischen Frauen und schwulen Männern, sowie der weiteren Gruppen von sexuellen Minderheiten (Bisexuelle, Transvestiten, Transsexuelle) in der Zeit des Nationalsozialismus trübt.'

Ilse Kokula war also dem voraus, was heute als neuer Standard der Inklusion verstanden wird. Immer engagierte sie sich für lesbische Sichtbarkeit, jedoch nie als eine singuläre oder separatistische Identitätspolitik. Ilse Kokula hat immer intersektional avant la lettre gedacht und ihr Wirken nicht nur in dieser Stadt danach ausgerichtet. Gestern bei unserem Telefonat sagte sie spontan in ihrem typischen fränkischen Akzent: 'Ich wünsche mir ja, dass die junge Türkin Ipek den Preis bekommt. Gerade jetzt müssen wir die stärken, die angegriffen werden!'

Umso wichtiger ist es für uns, dafür Sorge zu tragen, dass das herausragende und vorbildhafte Wirken Ilse Kokulas nicht in Vergessenheit gerät, weiter bekannt gemacht wird und damit im Kanon lesbischer Sichtbarkeiten erhalten bleibt.

Deswegen haben wir als Jury Ilse Kokula für den ersten Berliner Preis für lesbische* Sichtbarkeit nominiert und sind ihr für ihr Wirken und ihren jahrzehntelangen Kampf dankbar! Danke!"

Stephanie Kuhnen

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