Frauensommer

Maren Kroymann über die 68er: Zwischen Befreiung und Dogma

13. Juli 2018
Maren Kroymann © Jan Wirdeier

Der vierte Frauensommer in der Bar jeder Vernunft widmet sich dem Thema „Mythos 68“. Da darf Maren Kroymann mit ihrer Musikshow „In My Sixties“ natürlich nicht fehlen. Ein Gespräch mit der Kabarettistin, Schauspielerin und Sängerin über das Lebensgefühl und die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der späten 60er-Jahre

Maren, dein Programm „In My Sixties“ spielst du bereits einige Jahre, aber es erscheint aktueller denn je – gerade jetzt, zum 50. Jahrestag der 68er-Revolte. Genau genommen geht es darin sehr stark um den Beginn der 60er Jahre, um all das Rückschrittliche, wovon wir erlöst werden mussten. Das spiegelt sich in den Songs, die mir damals viel bedeuteten. Die Popmusik hatte, neben all dem Aufwühlenden und Befreienden, ja durchaus auch frauenfeindliche Züge, und der Rock n’ Roll der 50er-Jahre war fast ausschließlich eine Männerangelegenheit. Selbst die Girl Groups waren im Wesentlichen Produkte von Männern, zum Beispiel dem genialen Psychopathen und Macho Phil Spector. Damals war ich aber noch keine Feministin, sondern ein Teenager, der etwas erleben wollte, und dachte: ‚Ach ja, so geht das also mit dem Sex. Irgendwie klingt es ganz geil, aber die Typen sagen einem dann, wo es langgeht.‘

Dusty Springfield nimmt in deiner Show einen besonderen Platz ein.
Die fand ich einfach toll. Sie war kaum älter als ich. Sie war kein Hippie, nicht Janis Joplin, und trug eben keinen Minirock. Sie hatte stattdessen dieses Ladylike in der Ausstrahlung, fast etwas bürgerlich, und damit war sie mir viel näher als manch andere. Es war der Kontrast zwischen ihrer coolen, ziemlich souligen Stimme und diesem Hochgeschlossenen, den ich attraktiv fand.

Wie hast du die 1968er erlebt? Warst du mittendrin im Tumult?
Mit 1968 verbindet man ja immer Tomatenwurf, Studentenvollversammlung und SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund, Anm. d. Red.) Für all das war ich damals viel zu schüchtern. Ich hatte von der Theorie keine Ahnung und habe noch Jahre gebraucht, bis ich mich politisiert hatte. ‘68 habe ich vor allem durch die Randerscheinungen wahrgenommen, zum Beispiel am Tübinger Zimmertheater. Da habe ich eine andere Art des Theaterspielens kennengelernt. Das war nicht so autoritär. Es wurde gekifft, Menschen hatten Sex, auch wenn sie nicht verheiratet waren, und es gab sogar ein uneheliches Kind. Das war damals in Tübingen ein Skandal. Mit Basisgruppen zum Marxismus-Leninismus war ich völlig überfordert. Aber dieser anderen Art, Theater zu machen, andere Stücke zu spielen, die Leute zu erschrecken, und vor allem dieser kollektivartige Umgang miteinander: dem fühlte ich mich gewachsen.

Die 68er stehen landläufig auch als Beginn der sexuellen Befreiung und der Frauenbewegung. Andererseits waren die Köpfe der Bewegung ein reiner Machoverein. Schon am Gymnasium habe ich mich kaum getraut etwas zu sagen. Nach dem Abi bin ich auf ein Frauencollege in den USA gegangen. Im Kreise dieser Frauen, ohne Männer, blühte ich regelrecht auf, wobei ich mich da noch lange nicht als lesbisch verstand. Ich fühlte mich ungehemmter, freier, lebendiger. Das hat ganz viel in mir losgetreten. Gestützt auf dieses neue Selbstbewusstsein habe ich mich dann auch getraut, mich beim Zimmertheater zu bewerben.

Parallel dazu hast du dein Lehramtsstudium aufgenommen und dich dann doch auch politisch in der Studentenbewegung engagiert. War da Platz für feministische Forderungen? In Berlin gehörte ich der marxistisch orientierten ADS, der Aktionsgemeinschaft von Demokraten und Sozialisten, an. Als sich damals die HAW (Homosexuelle Aktion Westberlin, Anm. d. Red.) gründete, hatte ich bei einer Sitzung den Antrag eingebracht, sich mit den Forderungen der Schwulen zu solidarisieren. Der fiel dann aber von der Tagesordnung. Für Emanzipationsbewegungen, ob von Frauen oder Homosexuellen, gab es einfach kein Interesse. Ein Teil von mir fühlte sich immer auch von den Spontis angesprochen. So bin ich dann auch bei einem großen Fest der HAW aufgetreten. Das muss 1973 gewesen sein und war mein allererster Auftritt als Entertainerin übrigens. Ich hatte ein Kleid meiner Mutter an, dicke Wimpern angeklebt und sang Marilyn-Monroe-Songs. Einige kannten mich vom linken Hanns-Eisler-Chor und riefen dann dazwischen: „Und jetzt das ,Lob des Kommunismus’!“ Das war die Mischung: schon alle irgendwie links, meist marxistisch, aber dann eben auch schwule Travestie. Ich wurde nämlich von vielen für einen Mann gehalten. Das empfand ich damals als dolles Kompliment. Im Grunde war dies mein Einstieg in die Szene.

Du hast damals aber noch nicht lesbisch gelebt? Nein, das kam erst viel später. Ich war ganz klassisch die beste Freundin von Schwulen und war auch relativ früh beim CSD mit dabei – nicht als „Betroffene“, sondern als Solidarische.

Die 68er werden derzeit intensiv diskutiert und dokumentiert. Siehst du diese Zeit im Rückblick richtig bewertet? Es wird zu sehr vereinfacht. Die 68er sind in der breiten öffentlichen Wahrnehmung Rudi Dutschke, Demos und die Kommune 1. Die eigentlichen Errungenschaften der 68er allerdings sind für mich ganz andere als die ursprünglichen Ziele: neben der Umweltbewegung die Entstehung der Frauen- und Schwulenbewegung. Denn da wurde tatsächlich auch etwas im Verhältnis der Menschen zueinander verändert. Der ursprünglich antiautoritäre Impuls der Bewegung wurde irgendwann überlagert von politischem Dogmatismus. Viele von uns hatten keinerlei Schmerzempfinden gegenüber Personenkult – sei es nun Dutschke, Breschnew oder Mao. Ich habe damals auch ein bisschen gebraucht, um das zu durchschauen. Doch kritisch etwas zu verändern kann nicht heißen, eine Autorität durch eine andere zu ersetzen. Auch in der Frauenbewegung hatten wir ja diese Tendenz.

Deinen 69. Geburtstag am 19. Juli wirst du mit „In My Sixties“ auf der Bühne feiern. Das heißt, dass wir im nächsten Jahr dann „In My Seventies“ erwarten dürfen?
Eigentlich eine schöne Idee, aber musikalisch geprägt haben mich die 50er und 60er. Da habe ich mit der Popmusik gelebt. In den 70ern hörte das auf und ich entdeckte dann eine ganz andere Musik für mich. Damals war der Hanns Eisler Chor meine impulsgebende Institution, und ich beschäftigte mich mit dem politischen Lied, mit Bertolt Brecht und natürlich mit Hanns-Eisler-Chor. Für den aktuellen Pop war da einfach kein Platz.

Ist #metoo die konsequente Folge der 68er-Emanzipationsbewegung oder eine davon unabhängige Entwicklung?
Es ist vielleicht die erste richtig breit in der Gesellschaft diskutierte Folge der Frauenbewegung, die von den 68ern ausgegangen ist. Und auch die, die unsere Gesellschaft wohl am nachhaltigsten verstört. Wenn man so will, hat die Enkelinnengeneration der 68er nun endlich – mit Hilfe des Internets – diese Power entwickelt und das Privileg, dass ihr auch zugehört wird. Wir haben schon in den 90ern in meiner Satiresendung „Nachtschwester Kroymann“ Sketche zu sexueller Belästigung gemacht. Man fand die gut und lustig, aber es wurde als „Frauenkabarett“ wahrgenommen. In meiner Sendung „Kroymann“ behandle ich heute eigentlich dieselben Themen wie damals, aber die Resonanz ist eine ganz andere. Jetzt wird gesehen, dass das nicht nur ein Frauen-, sondern ein gesellschaftliches Thema ist.

Nicht nur deshalb gab es ja auch gleich eine ganze Reihe Preise und Nominierungen, wie etwa für die Golden Rose als eine der vier besten Comedysendungen international. Wurde denn wenigstens eine neue „Kroymann“-Ausgabe in Auftrag gegeben? Sogar vier, im Oktober geht es los. Und zum Jahresende erscheinen endlich sämtliche Folgen von „Nachtschwester Kroymann“ auf DVD. Ich finde es total schön zu sehen, mit welcher Nonchalance wir damals radikalste Positionen eingenommen haben – und letztlich auch, wie früh wir mit unseren Themen dran waren.

Axel Schock

SIEGESSÄULE präsentiert
Frauensommer: In My Sixties, 17.–22.07., 20:00,
Bar jeder Vernunft

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