Bushwig Berlin

Sasha Velour: Drag ist nicht nur für schwule Männer

28. Juli 2018
Sasha Velour © Tanner Abel

Das jährliche New Yorker Drag-Event „Bushwig“ wurde 2012 ins Leben gerufen und gilt als offizieller Nachfolger des legendären „Wigstock“-Festivals. Nun kommt die Extravaganza zum ersten Mal nach Berlin und wird am 29. Juli in der Ipse ihre Pforten öffnen. Neben Berliner Szeneprominenz wie Gloria Viagra, Hungry oder Olympia Bukkakis werden auch jede Menge internationaler Gäste erwartet. Highlight der Veranstaltung ist der Auftritt von Sasha Velour, der Gewinnerin der 9. Staffel von „RuPaul’s Drag Race“. Wir baten Sasha zum exklusiven Interview

Sasha, du bist schon oft beim Drag-Festival „Bushwig“ in Brooklyn aufgetreten und wirst nun als Stargast dabei sein, wenn es Ende Juli zum ersten Mal in Berlin veranstaltet wird. Kannst du dich noch an deine „Bushwig“-Premiere erinnern? Ja. Ich bin vor fünfeinhalb Jahren nach New York gezogen und fand es total toll, dass in meiner Nachbarschaft in Brooklyn ein Drag-Festival veranstaltet wurde. Mein Look damals war wirklich furchtbar, denn ich bin direkt von meinem Job als Empfangsdame in einem Fitnessstudio hingegangen und hatte keine Zeit, mich zu rasieren. Deshalb habe ich mir eine Strumpfhose über den Kopf gezogen und Wimpern draufgeklebt. Es war dann das Aufregendste, was ich je erlebt habe. Alle Leute haben dort ihre queere Persönlichkeit laut und stolz nach außen getragen. Bei „Bushwig“ herrscht eine junge, lebhafte Atmosphäre, und es wundert mich nicht, dass das Festival von Jahr zu Jahr größer wird. Als ich dann zwei Jahre später selbst dort auftreten durfte, war das eine große Ehre für mich.

Was erwartet uns bei der Berliner Version?
Es gibt diverse DJs, die auflegen, Livemusik und natürlich Drag-Performances. Wir bringen einige Leute mit. Dabei ist neben anderen auch Horrorchata, die 2012 „Bushwig“ mitbegründet hat. Außerdem werden Berliner Queens dabei sein. Das finde ich besonders toll am Herumreisen, zu sehen, wie Drag an anderen Orten, in anderen Ländern gelebt und praktiziert wird. Das sagt viel über die Menschen aus, die dort leben. Das Privileg, um die Welt zu fahren zu dürfen und mit den unterschiedlichsten Leuten zusammenarbeiten zu können, sehe ich als einen politischen Ansatz. Ich finde die Interaktion zwischen unterschiedlichen Szenen sehr spannend. Je größer „Bushwig“ wird, desto offener wird es auch für neue Impulse und das ist natürlich ein sehr positiver Effekt.

Du bist allerdings nicht das erste Mal in Berlin. Stimmt es, dass du hier ein Praktikum an der Staatsoper gemacht hast? Ja, das stimmt! Mein Vater ist Lehrer für russische Geschichte und hatte 2005 eine Stelle in Berlin. Deshalb habe ich hier sechs Monate – in der Zeit zwischen meinem Highshool-Abschluss und dem Collegebeginn – gelebt.

Hast du viel von der Szene mitbekommen? Auf jeden Fall! Du wirst es kaum glauben, ich habe mir damals immer die SIEGESSÄULE eingesteckt und versucht, beim Lesen Deutsch zu lernen. Ich erinnere mich an das Dragqueen-Bingo im SO36 und an diesen Club in Kreuzberg. Man musste immer durch ein Café gehen, um reinzukommen.

Das ist das SchwuZ, das damals noch am Mehringdamm war. Stimmt! Ich war jedes Wochenende dort! Damals war ich 17 und mitten in meiner Teenager-Zeit. Ich habe mich das erste Mal in einen Mann verliebt und mir wurde das Herz gebrochen.

Hast du damals schon Drag gemacht? Nicht wirklich. Ich habe damals zwar schon heimlich zu Hause rumprobiert, aber auf die Straße habe ich mich nicht getraut. Doch Berlin hat mich sehr geprägt. Mit 17 ist man in einer Phase, in der es sich sozusagen entscheidet, wer man als Erwachsener sein will. Ich kam aus einer amerikanischen Kleinstadt und habe das erste Mal erlebt, wie queeres Leben in einer Metropole aussieht ... ach, ich hoffe echt, ich habe etwas Zeit, wenn ich bei euch bin, um mir noch mal alles anzuschauen!

Du bist die Gewinnerin der 9. Staffel von „RuPaul’s Drag Race“. Mittlerweile hat man das Gefühl, dass durch den Erfolg der Sendung RuPauls Drag-Imperium zu einer Art Maschinerie geworden ist, die den ganzen Globus überrollt. Wie stehst du dazu? Es stimmt, ich bin Teil einer Maschinerie. Aber ich habe auch schon vor „Drag Race“ meine eigenen Projekte umgesetzt und das tue ich heute noch. Seit 2015 gibt es mein eigenes Drag-Magazin „Velour“ und seit 2017 veranstalte ich meine eigene Showreihe „Nightgowns“. Es ist wichtig, sich genau zu überlegen, wie man die Möglichkeiten nutzt, die einem durch die Teilnahme an der Show entstehen. Die Menschen haben mittlerweile ein gewaltiges Interesse an Drag und das ist ein großer Vorteil. So kann man die Rolle, die queere Menschen in den Mainstreammedien bisher hatten, neu definieren. Mir ist es wichtig, die Aufmerksamkeit, die ich bekomme, auch auf andere Personen umzulenken – es gibt so viele großartige PerformerInnen, die nicht bei „RuPaul's Drag Race“ waren, und es gibt auch sehr viele, die gar nicht daran teilnehmen wollen. Und das ist mein Ziel: Dinge zu zeigen, die außerhalb von „Drag Race“ passieren ...

Du definierst dich selbst als non-binary und bist gleichzeitig eine Dragqueen. Für viele Leute passt das nicht zusammen – genauso wie einige der Meinung sind, dass trans oder cis Frauen keine Dragqueens sein können. Was muss passieren, damit sich diese Haltung ändert? Ich denke, als Erstes müssen wir in der Drag-Community selbst Verantwortung dafür übernehmen, welche Standards wir setzen, und uns bewusst werden, inwieweit das andere beeinflusst. Viele Menschen denken viel zu binär und haben ein ganz bestimmtes Bild vor Augen – und dieses Bild haben wir mitgeprägt! Auch heute treffe ich immer noch viele Queens, die der Meinung sind, Drag sei nur etwas für schwule Männer. Das war aber niemals so und wird auch niemals so sein. Ich persönlich befinde mich mit meiner Selbstdefinition irgendwo in der Mitte. Und meine Art der Drag-Performance entspricht nicht einer binären Idee. Mir geht es darum, geschlechterspezifische Kostümierung zu nutzen, um eben genau diese binäre Idee zu hinterfragen und aufzulösen. Im Grunde ist Drag genau dazu da, eine Konversation darüber anzuregen, was Geschlecht eigentlich wirklich bedeutet, und die bisherige Definition davon aufzubrechen.

Sasha, was sind deine Pläne für die nähere Zukunft?
Es wird auf jeden Fall eine neue Ausgabe meines Magazins geben. Dann habe ich vor Kurzem meinen ersten Kurzfilm auf YouTube veröffentlicht: „Pirate Jenny“. Dieser ist Teil einer ganzen Filmreihe unter dem Titel „One Dollar Drags“. Es folgen also noch weitere Kurzfilme. Außerdem träume ich davon, mit meiner Veranstaltungsreihe „Nightgowns“ um die Welt zu reisen. Diese Show ist sehr theatralisch inszeniert und wird in entsprechenden Locations veranstaltet. Ich finde es wichtig, dass die Menschen queere Künstler und queere Kunst auch in einer solch professionellen Umgebung erleben können. Denn letztendlich ist Drag auch für die große Bühne gemacht.

Interview: Kaey

SIEGESSÄULE präsentiert
Bushwig Berlin, 29.07., 13:00, Ipse
Mit: Sasha Velour, Horrorchata, Hungry, Gloria Viagra, Olympia Bukkakis, Gieza Poke, The Dragstreet Boyz u. v. m.

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