Kommentar

Und der Bus rollt und rollt und rollt

10. Sept. 2018
Bild: © Demo für alle / flickr / CC BY-SA 2.0
© Demo für alle / flickr / CC BY-SA 2.0

Der Hass-Bus gegen Aufklärung über sexuelle Vielfalt ist gerade wieder auf Tour. In sieben der acht Städte sind Gegenproteste geplant, in Berlin – wo der Bus heute Station macht – allerdings nicht. Martin Reichert kommentiert

Nicht mal ignorieren! Ein Satz, der sich großer Beliebtheit erfreut, wenn es im Alltag darum gehen soll, sich lästige Meinungen, Haltungen und Mitmenschen vom Leib zu halten. Und es gibt derzeit ja vieles, auf das man diesen Satz nur allzugerne anwenden würde: Tweets des US-Präsidenten, öffentliche Aussagen des deutschen Verfassungsschutz-Präsidenten, den Innenminister an sich und Beatrix von Storch generell. Die zunehmenden Erfolge der AfD, die Ausschreitungen in Chemnitz ... allerspätestens hier gerät dann das „Nicht mal ignorieren“ an seine Grenzen. Wegschauen, ignorieren, so tun, als gäbe es das alles nicht: Es nützt nichts mehr.

Und so kommt der aktuelle Aufruf von „Enough is Enough“, die für Montag den 10. September erwartete Ankunft von Hedwig von Beverfoerdes Hass-Bus dieses mal mit absoluter Nichtachtung zu strafen, zur Unzeit – auch wenn die dahinter stehende Idee durchaus nachvollziehbar scheint, weil sie eben eine der möglichen Antworten auf ein Dilemma ist: Reagiert man mit Protesten, erzeugt man mediale Aufmerksamkeit und ermöglicht den rechten Aktivist*Innen, sich als Opfer zu gerieren. Tut man gar nichts und „ignoriert nicht mal“ überlässt man den Leuten unwidersprochen das Feld – und sie können, wie im Fall von Beverfoerdes Bus-Besatzung ihren „religiös doktrinär eingefärbter Unsinn, dessen Befürworter an den Grundlagen unserer Demokratie genauso wenig Interesse haben, wie an der Gleichberechtigung aller Menschen, der Gleichstellung der Frau oder den Naturgesetzen“ verbreiten, wie es in dem „Nicht-Aufruf“ von „Enough is Enough“ heisst.

Gerade „Enough is Enough“ hat in der Vergangenheit immer wieder gegen die katholische Freifrau aus Magdeburg mobil gemacht, die zusammen mit der Herzogin von Oldenburg die „Demo für alle“ koordiniert hatte und zuletzt prominente Unterstützung von der Fürstin Thurn & Taxis erhielt. Und ihr 2015 sogar einen zusätzlichen Titel verschafft, nämlich den der „Miss Homophobia“. Aufmerksamkeit wurde der Dame, die gegen „Frühsexualisierung“ und die Öffnung der Ehe agitiert schon zu Hauf zuteil – doch auch ohne Gegenproteste von Seiten der LGBTI-Szene gelingt ihr mit ihrem Netzwerk eine recht beachtliche Mobilisierung, die vor dem Hintergrund des derzeit stattfindenen Rechtsrucks gefährlich werden kann. Das Beispiel Slowenien zeigt, dass gesellschaftliche Fortschritte auch wieder rückgängig gemacht werden können – die Ehe für Alle war dort bereits eingeführt und wurde dann mittels einenm von Rechtspopulisten und Klerus initierten Referendums wieder kassiert.

Und während nun im Rest des Landes, in der sogenannten „Provinz“, an jedem einzelnen Halt Protestaktionen organisiert wurden und werden, hat man es – und genau so wird es mitunter interpretiert – in der von Liberalität und Freizüzigkeit verwöhnten Groß- und Hauptstadt nicht nötig, seinen Hintern zu bewegen. „Nicht mal ignorieren“.

Das Problem ist: Gut und schön, wenn LGBTI beschliessen, ihren Aktivismus einzustellen. Die Freiin betreibt ihren aber weiter. Und der Bus rollt.

Martin Reichert

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Martin Reichert, Journalist und Autor (u. a. „Die Kapsel: Aids in der Bundesrepublik“)

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