Islam

Berliner Imam: „Ich denke, dass viele Terroristen homosexuelle Männer sind“

20. Sept. 2018
Christian Awhan Hermann

Christian Awhan Hermann, „Deutschlands erster offen schwuler Imam“, ist in der Szene bereits als Schwester Aura bekannt. Wir sprachen mit ihm über den Umgang mit Homosexualität im Islam

Unter dem Namen Aura Sortea Beneficia ist Christian Awhan Hermann bei den Schwestern der Perpetuellen Indulgenz schon viele Jahre in der Berliner Szene aktiv. 2017 konvertierte er in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee zum Islam und machte bei dem ebenfalls offen schwulen Imam Ludovic-Mohamed Zahed am Institut CALEM in Marseille eine Ausbildung zum Imam. Nach eigener Aussage steht er für ein „progressiv-inklusives Islamverständnis“. Autorin Judith Sevinç Basad traf ihm zum Interview

Lieber Awhan, man kennt dich in der queeren Szene auch als „Schwester Aura“ von der „Perpetuellen Indulgenz“, die sich ja eher über Kirche und Religion lustig macht. Das habe ich nie so empfunden. Am Anfang in den 70er-Jahren gab es sicherlich eine Kirchenkritik, speziell an der katholischen Kirche. Natürlich: Die Idee der Schuldtilgung und die Unterbrechung von Schuldgefühlen ist natürlich eine klare Kritik vonseiten der Schwestern an der katholischen Kirche, vor allem während der 80er- und 90-Jahre. Ich habe aber noch nie das Gefühl gehabt, dass ich Schwester bin, um Kirchen oder Religionskritik zu üben, sondern, um unreligiöse Seelensorge zu machen.

Aber die Schwestern sind ja teilweise schon sehr freizügig und vulgär – wie passt das mit dem Islam zusammen? Das passt ganz wunderbar zusammen, obwohl es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Die Schwesternarbeit passt insofern zum Islam und zum Religiösen, weil die Schwestern ja anderen Menschen zur Seite stehen, sie unterstützen und bei ihrer persönlichen Weiterentwicklung helfen, was man auch als spirituelle Arbeit bezeichnen kann. Mich hat die Beratung von queeren Menschen auch auf mein Imam-Sein vorbereitet: Ich habe ganz viele soziale Skills gelernt, wie man etwa mit Menschen umgeht und Seelsorge betreibt.

Wirst du häufig angefeindet? Seitdem ich Imam bin, habe ich keine einzige Bedrohungssituation erlebt. Das mag auch daran liegen, dass ich ein Mann bin – Frauen wie Seyran Ateş werden im Islam einfach häufiger angefeindet, weil sie sich in typisch männlichen Positionen, etwa als Imamin, zeigen. Auf der anderen Seite liegt es daran, dass ich mich sehr bemühe, theologisch fundiert zu argumentieren und korrekte theologische Aussagen zu machen. Auch lasse ich andere Meinungen zu – das muss ich an einigen liberalen Muslimen in Deutschland auch etwas kritisieren: Dass sie sehr dominant auftreten und nur ihre eigene Meinung zulassen. Mitunter sogar etwas dogmatisch und bevormundend ...

Wie steht es um Homosexuelle im Islam? Das Problem besteht vor allem darin, dass Homosexualität im Islam nicht als solche benannt wird. Ein europäischer Imam erzählte mir einmal, dass in seinem Imam-Seminar mindestens 50 Prozent der Männer schwul waren und ständig miteinander Sex hatten. Trotzdem hätten sich die Auszubildenden nicht als Homosexuelle bezeichnet, weil das eben als „Sünde“ gilt. Häufig schlafen auch Heterosexuelle mit Männern, damit sie überhaupt vor der Ehe einmal Sex haben können. Diese Bigotterie geht häufig auch von den muslimischen Familien aus, dort heißt es dann: „Du kannst machen, was du willst, aber es darf nicht herauskommen!“ Im schlimmsten Fall wird die Homosexualität so sehr unterdrückt, dass sie in Gewalt mündet.

Inwiefern? Schwulen Muslimen wird oft eingeredet, dass Homosexualität eine Krankheit wäre, die man heilen könne, wenn man nur genügend beten oder heiraten würde. Dieser Selbsthass übt einen enormen Druck auf die Männer aus, der sich dann häufig in Aggressionen entlädt. In extremen Fällen geschieht das durch Suizid oder Terrorismus. Ich denke, dass viele Terroristen homosexuelle Männer sind, die versuchen diesem inneren Druck und dieser Zerrissenheit zu entfliehen. Das endet logischerweise in Gewalt und Hass gegen Homosexuelle, was wir etwa beim Attentat in Orlando gesehen haben. Für einen ersten Schritt der Aufklärung wäre es also wichtig, dass schwule Gläubige erst einmal zu einem inneren Frieden mit ihrer eigenen Sexualität finden. Das Outing steht dann erst an zweiter Stelle.

Interview: Judith Sevinç Basad

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