HIV

manCheck: „Wir wollen den Sex besser machen“

21. Sept. 2018
Simon Lang, Tristan Rehbold, Rolf de Witt (v. l. n. r.) © Niklas von Schwarzdorn

Regelmäßige ClubgängerInnen kennen sie wahrscheinlich – die Jungs von manCheck, die auf etlichen Partys der Hauptstadt mit ihrem Stand präsent sind. Das Beratungsangebot des Präventionsprojekts für schwule, bisexuelle und andere Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) hat sich in den letzten 15 Jahren deutlich erweitert und gewandelt. Mittlerweile spielt das Thema Sex- und Partydrogen eine immer größere Rolle – auch und gerade im Rahmen des Folsom-Wochenendes. Das Angebot reicht dabei von Infos zu Substanzen bis zur Vergabe von Safer-Use-Material. Vorraussichtlich Mitte Oktober verteilt manCheck außerdem kostenlos HIV-Selbsttests in der Szene (bei der Erstveröffentlichung des Interviews in der aktuellen SIEGESSÄULE-Ausgabe gingen manCheck noch von einer Verteilung im September aus). SIEGESSÄULE-Chefredakteur Jan Noll traf sich mit Teamleiter Rolf de Witt sowie den Vor-Ort-Arbeitern Tristan Rehbold und Simon Lang zum Gespräch

Beim Namen manCheck denken viele: Das sind die, die auf Partys Kondome und Gleitgel verteilen. Ihr macht aber viel mehr … Rolf: Kondome und Gleitgel verteilen, das war 2003. Jetzt klären wir über die verschiedenen Möglichkeiten auf, sich vor HIV zu schützen, wir klären über verschiedene sexuell übertragbare Infektionen (STIs) auf und arbeiten zu Substanzgebrauch. 2007 gab es die erste Erhebung darüber, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Infektionsrisiko und Substanzgebrauch, seitdem haben wir diese Arbeit immer weiterentwickelt.

Substanzgebrauch heißt Drogenkonsum. R: Wir benutzen das Wort Drogen nicht, weil es negativ besetzt ist. Der Begriff taucht meist im Kontext von Sucht auf. Und nur weil jemand Substanzen konsumiert, aus welchem Grund auch immer, muss er noch lange keine Suchtproblematik haben.

In diesem Zusammenhang gibt es ein paar Anglizismen, die immer wieder auftauchen: Harm Reduction, Safer Use … Könntet ihr diese Konzepte kurz erklären? R: Harm Reduction bedeutet eigentlich nur, die unangenehmen oder schädigenden Folgen meines Handelns, die Nebenwirkungen also, möglichst gering zu halten. Man kann das Risiko minimieren, aber einen komplett risikofreien Substanzgebrauch gibt es natürlich nicht. Safer Use bedeutet, dass ich weiß, wie ich etwas gebrauche. Ich nutze eine Substanz, beispielweise nasal, nehme dann immer mein eigenes Röhrchen, weil ich weiß, dass ich mich sonst mit Hepatitis C infizieren könnte. Immer wichtiger wird auch Safer Use im Hinblick auf intravenösen Substanzgebrauch, gerne Slamming genannt. Es ist wichtig, dass die Leute richtig spritzen, damit sie keine Abszesse kriegen oder Ähnliches. Das spielt in unserer Arbeit eine immer größere Rolle. Wir versuchen dieses Thema weitgehend zu enttabuisieren und können so auch Informationen rausgeben zu den Substanzen, die im Umlauf sind. Tristan: Das nennt man einen drogenakzeptierenden Ansatz.

Kannst du den noch mal genauer erläutern? T: Es geht erst mal darum, den Menschen wertzuschätzen und als mündiges Wesen wahrzunehmen. Wir wollen den Leuten nicht von vornherein ein Problem anheften, das vielleicht gar nicht existiert. Es gibt einen Bereich zwischen exzessivem Konsum und Abstinenz, in dem die Leute das im Griff haben, wie auch immer man das definieren möchte. Wir versuchen, jeden in seiner Realität wahrzunehmen. Die Vergabe von Safer-Use-Material schafft ein Bewusstsein dafür, dass es Dinge gibt, auf die man beim Konsum achten kann. Zum Beispiel, das eigene Röhrchen zu benutzen oder das Zeug besser zu zerkleinern, weil es dann nicht so schädlich für die Schleimhaut ist. Wenn man es macht, dann sollte man es richtig machen. Und dafür braucht man die nötigen Informationen.

Welche Materialien und Infos bietet ihr konkret auf Partys an eurem Stand? T: Wir haben Infos zu STIs, PrEP und anderen Safer-Sex-Methoden. Bei unseren Infoflyern geht es nicht nur darum, Risiken zu minimieren, sondern auch darum, Spaß zu maximieren. Dann haben wir Safer-Use-Material für den Substanzgebrauch dabei, immer mit Infos zur jeweiligen Substanz bzw. zum Thema: Sniff-Packages, die wir im Gespräch rausgeben können, Dosierhilfen für G und das Slam-Pack. Letzteres liegt nicht offensiv auf dem Tisch, wir geben das aber auf Nachfrage raus. Diese Packages sind neben ihrem generellen Nutzen auch Möglichkeiten, mit denen wir unsere Informationen zu Safer Use und Harm Reduction niedrigschwellig an die Leute bringen können.

Im September verteilt ihr außerdem kostenlos 1.000 HIV-Selbsttests in der Szene. Der ist ja in Deutschland noch gar nicht zugelassen. Richtig? R: Die Zulassung kann durchaus parallel zu diesem modellhaften Projekt erfolgen, im Moment sieht es nach Ende des Jahres aus. Wir wollen im Rahmen der Verteilung schauen, ob wir dadurch Leute erreichen, die bisher keinen oder lange keinen Test mehr gemacht haben, und ob das eine Methode ist, um Menschen zum Testen zu bewegen, für die Testangebote in der Szene bisher zu hochschwellig waren. Die Leute kriegen von uns eine Kurzberatung vor Ort, sollen den Test dann aber in Ruhe zu Hause machen. Es geht um eine frühzeitige Diagnose, denn je früher eine HIV-Infektion therapiert wird, desto weniger Schaden kann sie auch anrichten, mal ganz platt gesagt. Im Rahmen der Fast-Track-City-Bewegung, deren Ziel es letztendlich ist, Aids zu beenden, geht es zunächst darum, dass die Leute von ihrer Infektion wissen und in Therapie kommen. In diesem Rahmen realisiert der Senat mehrere Vorhaben. Eines davon ist, herauszufinden, ob dieser Selbsttest was bringt. Wichtig ist dabei allerdings, dass wir bei jedem Setting individuell schauen, ob es der richtige Ort ist, um diesen Test herauszugeben. Es ist auch wichtig, darauf zu achten, in welchem Zustand die Leute an dem Abend sind. Wenn unsere Vor-Ort-Arbeiter das Gefühl haben, die Person ist total dicht oder würde sofort aufs Klo rennen, um den Test zu machen, würden sie ihn nicht rausgeben. Wir lassen uns da nicht unter Druck setzen. Wir müssen auch nicht zwanghaft alle 1.000 Tests unter die Leute bringen. Wenn es das Setting nicht hergibt, geben wir ihn nicht raus, und wenn wir am Ende nur 50 Tests loswerden, dann ist diese Art der Testvergabe nicht die richtige. Punkt.

Wenn ihr den Test rausgegeben habt, wie evaluiert ihr dann, was die Leute tatsächlich damit zu Hause machen? R: Jeder Test enthält eine Broschüre, in der steht, was ich mache, wenn das Ergebnis positiv ist, wo ich mich generell informieren kann. Außerdem gibt es eine Aufforderung, bei einer Onlinebefragung mitzumachen. Zusätzlich befragen wir später Beratungsstellen und Schwerpunktpraxen, ob sich jemand bei denen gemeldet hat, der den Selbsttest zu Hause gemacht hat.

Im September ist Folsom – ein Wochenende mit vielen Touristen, viel Sex und auch jeder Menge Drogen. Verändert sich eure Arbeit an diesen Tagen? T: Ich würde sagen, es verändert sich nicht so viel. So professionell, wie die meisten Leute zu Folsom ihren Fetisch ausleben, so professionell werden auch meist Sexualität und Substanzkonsum ausgelebt. Die BDSM-Community ist gut informiert. Dementsprechend muss man da nicht mehr bei null anfangen. Es ist besonders wichtig, ein respektvoller und offener Gesprächspartner zu sein, denn sonst ist man da raus. Wir sind ja auch keine Leute, die von außen kommen und irgendwelche Informationen in diese Szene reindrücken, sondern wir sind ein Teil dieser Szene. Wir wollen ja den Sex besser machen und ihn nicht minimieren, indem wir Panik verbreiten.

Werden zu Folsom andere Drogen konsumiert oder mehr? T: Das kommt auf die Party an. Auf dem Oktoberfest wird wahrscheinlich auch mehr Bier getrunken als auf anderen Veranstaltungen. (lacht)

Nach 15 Jahren manCheck, wo seht ihr auf Basis eurer Arbeit in Zukunft den größten Handlungsbedarf? T: Schutz durch Therapie ist seit zehn Jahren klar definiert, ein Fakt. Und ich treffe vor Ort immer noch Leute, die null Ahnung haben, dass dieser Schutz existiert. Da sehe ich noch jede Menge Aufklärungsbedarf. Auch gegen PrEP-Shaming muss angegangen werden.

Interview: Jan Noll

mancheck-berlin.de

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