Kommentar

Deutsch und prollig: Die Community feiert das Oktoberfest

27. Sept. 2018
„Queerwiesn“ mit Nina Queer (Foto, li.) © Lovesucks Entertainment

Jurassica Parka über das Oktoberfest, das sich auch in der Berliner Szene immer größerer Beliebtheit erfreut

Ich komme ja nicht so aus dem süddeutschen Bereich, und ich wundere mich jedes Jahr, dass dann schon wieder Oktoberfest ist. Naja, ist ja auch schön, dass wir das haben. Nicht wahr?” ruft die Moderatorin in die Weiten des ZDF-Fernsehgartens ... Andrea Kiewel – oder wie ihre Fans sie nennen: unsere Kiwi.

Da steht die Berlinerin nun etwas hilflos, sie könnte in ihrer spröden Perfektion nicht preußischer daherkommen. Ausstaffiert mit Dirndl und einem furchtbar albernen Hut, auf dem eine lange Feder im Takt ihrer Stakkato-Moderation wippt. Der ganze Freiluft-Studio ist zünftig in blau-weiß dekoriert, das Publikum trägt Tracht. Gerade muss Schlagersänger Andy Borg ein Bierfass anstechen. Ihm ist es sichtlich unangenehm. „Ich bin aber eigentlich Wiener!” entfleucht es ihm, doch keine Chance! Unsere Kiwi macht das Publikum richtig geil, der ganze Fernsehgarten zählt die Schläge bis zum großen „O’zapft is!!!!!!!!”

Es ist Sonntag, es ist Anstich auf dem Lerchenberg. Die Oktoberfestsaison hat begonnen. Diese Erkennntnis fühlt sich gerade so an, als ob Andy Borg seinen Zapfhahn bis in mein Stammhirn hämmert. Ich muss zugeben, dass ich nur einmal auf dem richtigen Oktoberfest war. Als 13-jähriges stark pubertierendes Kind. 1992 gab es die Wiesn auch wirklich nur in München! Verrückt. Mich haben aber eher die Achterbahnen interessiert. Da war ich noch keine Berufsalkoholikerin und zudem sehr frustriert, denn schon damals überschritt ich bei vielen Fahrgeschäften die maximale Körpergröße von 1,95 Meter. Es war furchtbar. Somit kenne ich echte Bierzelte nur aus dem Fernsehen.

Frauke Ludowig berichtet jetzt täglich über semiprominente Damen, die ihr neues Designer-Dirndl austragen. „Haben sie ihre Oberweite nochmal aufbessern lassen, oder ist das alles nur hochgepusht?”, fragt der geifernde RTL-Reporter irgendeine Fußballerfrau. #MeToo darf wohl mal ein Päuschen machen.

Und in Berlin? Vor Jahren ist Zünftigkeit auch in die Hauptstadt geschwappt. Ich erinnere mich noch an meine Barkeeper-Zeit im Rauschgold. Als ich eines Abends meine Schicht begann und sich meine lieb gewonnene glitzer-puffige Bar in einen bajuvarischen Alptraum verwandelt hatte … Ich fühlte mich, als ob ich meine Seele verkaufen musste.

Mittlerweile gibt es riesige queere Bierzelt-Events, u. a. mit meiner Kollegin Nina Queer als Zugpferd – ganz nach dem Vorbild des Bräurosl-Zelts in Müchen. Und das läuft wohl hervorragend. Es ist herrlich, wie tausende Schwule zwei Wochen nach dem Folsom die Schunkelbewegungen auf einmal seitwärts machen! Die Krachleder-Quote steigt Jahr um Jahr an, das Oktoberfest begeistert die Massen. Als Transvestit trägt man jetzt Dirndl und auf der Tanzfläche sind Wiesn-Hits salonfähig. Es wirkt so, als ob wir urbanen Großstadtqueers wenigstens einmal im Jahr deutsch und prollig sein wollen. Oktoberfest als Mittel zum Zweck.

Bin ich arrogant? Bestimmt. Wenn die Gäste Freude haben und die VeranstalterInnen guten Gewinn machen, dann gibt es wohl nicht viel daran auszusetzen. Und wie sagt die Kiwi das so schön am Ende der Sendung: „Das hätten wir dann auch geschafft, wir sehen uns nächste Woche im gewohnten Gewand.“

Jurassica Parka


einige schwule Oktoberfest-Termine:

Oktoberfest, Fetischparty für alle Freunde von Trachtenlederhose, 29.09., 20:00, Böse Buben

Queerwiesn, 02.10., 18:00, Hofbräu Wirtshaus Berlin

Burschenparty by Gaywiesn, 02.10., 22:00, Connection Club

Oktoberfest Week / Oktoberfest Bear Holiday im Woof

Anjezapft is dit!, 02.10., 18:00, Erna P

Jurassica Parka © Jaycap Photography

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