Kommentar

Krawall und Platzgerangel: Sexismus unter LGBTI

27. Okt. 2018
Foto: privat

„Geht endlich arbeiten!“ Mit diesen Worten entlud sich der Groll des Patriarchats am Mittwochabend, bei einer Podiumsdiskussion in der Neuköllner Szenebar Ludwig. Den Satz knallte uns nicht etwa ein heterosexueller Betrunkener, der sich zufällig in die Bar verirrt hatte, an den Kopf. Nein, ein empörter Schwuler aus dem Publikum brüllte dies den anwesenden Lesben entgegen.

„Wir müssen reden: Schwule gegen Lesben?!“ lautete der Titel des Abends. Im letzten Jahr hatte es in der Berliner Szene immer wieder Konflikte und Situationen gegeben, in der sich „Schwule vs. Lesben“ scheinbar unversöhnlich gegenüberstanden. Nun sollte einmal mit möglichst vielen Beteiligten darüber gesprochen werden, welche Rolle die Geschlechtsidentität in politischen Diskussionen zwischen Schwulen und Lesben tatsächlich spielt und „welchen Sinn die Betonung der Differenz von Schwulen und Lesben“, wie es im Einladungstext hieß, überhaupt hat.

Zur Sprache kam dabei emotionsgeladen der immer noch laufende Grundstückstreit zwischen der Schwulenberatung und der lesbischen Initiative Rad und Tat. Beide wollen ein Hausprojekt für Ältere schaffen. Bisher gibt es deutschlandweit für lesbische Frauen im Alter: nichts! Das Vorhaben von RuT stellt ein bundesweites, innovatives Pilotprojekt dar und würde diesem Manko etwas entgegensetzen. Doch die Frage nach der strukturellen Benachteiligung von Frauen* wurde prompt an die staatliche Verantwortung überwiesen und von einigen der Anwesenden vehement negiert. Ein Zuschauer ließ sich im Tumult zu dem wütenden Kommentar hinreißen, wenn Lesben Wohnraum benötigen, könnten sie „doch ins Frauenhaus gehen“. Eine Aussage, die nicht zuletzt von enormem Unwissen gegenüber frauen- und lesbenpolitischen Anliegen zeugt: Ein Zufluchtsort für Frauen und Kinder in Not, vor allem für von Gewalt betroffene Frauen, hat nichts mit einem Ort für Lesben im Alter zu tun.

Ältere schwule Männer brüllten während des gesamten Abends immer wieder dazwischen, ließen Frauen nicht ausreden, ignorierten Lesben, wenn sie das Mikro hatten. Und leugneten Tatsachen, die von Frauen angesprochen wurden. All das sind Verhaltensweisen, die schon in den 70er und 80er-Jahren von Feministinnen bekämpft worden sind. Sexismus fängt bei Redezeit, Respekt und Raum an. Und Hinweise wie der, wir sollten doch einfach mehr „arbeiten“ oder uns mehr anstrengen, sind bestimmt keine adäquate Antwort auf die strukturelle Benachteiligung von Frauen*.

Mir zeigte der Abend, wie tief verwurzelt Frauen*feindlichkeit in unserer Gesellschaft noch immer ist und wie schwer es – auch für LGBTI – scheint, hier aus der Mehrheitsgesellschaftsfalle herauszukommen. Eine nicht-normative Sexualität ist eben noch kein Garant für selbstkritisches Denken und Empathie.

Wir alle – jung, alt, lesbisch, schwul, bi, queer... – müssen uns immer wieder fragen: Wie begegnen wir Frauen*? Wie werden Podien mit LGBTI-Themen besetzt? Wer dominiert die Debatten? Wer wird wie ernst genommen? Welchen Raum lassen wir wem innerhalb der Community?

Gut, dass an dem Abend auch viele Männer* sich auf die Seite der Lesben schlugen. Gut, dass nicht alle Männlichkeiten die an sie gerichteten Vorwürfe einfach unreflektiert von sich weisen. Denn mit weniger Sexismus in Gesellschaft und Community geht es am Ende allen besser.

Dana Müller

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