Hommage

70 Jahre Melitta Poppe: Blasen in Engelsgestalt

13. Nov. 2018
Melitta Poppe © Joseph Wolfgang Ohlert

Klug, kratzbürstig und politisch, das war und ist sie bis heute: Melitta Poppe. Ab 1985 gründete sie unter anderem gemeinsam mit Melitta Sundström, Chou-Chou de Briquette und BeV StroganoV das legendäre Ensemble Ladies Neid. Nach längerer Bühnenabstinenz kehrte sie vor einigen Jahren, beispielsweise mit ihrer neuen Truppe Die Bahamaas, auf die Bühnen Berlins zurück. Nun ist die Legende 70 Jahre alt geworden. Fabienne du Neckar, geistige Poppe-Erbin und Bahamaas-Kollegin, gratuliert zum Geburtstag

Das Alte Testament berichtet, dass Lots Frau (sie hieß Sabine, aber das steht nicht in der Bibel) sich nicht zurückhalten konnte. Als es losging mit dem Feuerregen, musste sie sich einfach umdrehen, um das brennende Sodom (samt kopulierenden Insassen) zu sehen. Es war ja dann doch eine Augenweide. Angeblich wurde Sabine zu einer Salzsäule, denn ihr Gatte Lot hatte es vorher streng verboten sich umzudrehen. Melitta Poppe konnte sich auch nicht zurückhalten und schon gar nicht auf irgendwelche Lots hören. Sie kann es bis heute, bis zu ihrem 70. Geburtstag, nicht.

Nach einer anderen Überlieferung schaut der Engel der Geschichte zurück auf die sich anhäufenden Katastrophen, von denen ein starker Wind her bläst (!). Melitta Poppe ist so ein Engel der Berliner Tuntengeschichte, nur dass sie es beim verzweifelten Zurückschauen auf die zahlreichen Katastrophen (Betty BücKse) nicht belässt. Sie ist eine Salzsäule, die nichts so einfach umwirft. Mit dem Blasen hat sie in ihrer Engelsgestalt auch nicht so ein großes Problem. Und wenn einmal ein anderer Engel vorbeischaut, dreht sie sich vermutlich einfach schnell um. (Warum sich immer alle umdrehen, ist eine ganz andere Frage, zu der man eine leider verstorbene Schweizer Psychoanalytikerin mit illustrem Nachnamen zu Rate ziehen sollte.) Wäre Mel P., wie es notwendig gewesen wäre, Mitglied der Spice Girls geworden, sie hätte dafür gesorgt, dass Gomorrha Europäische Kulturhauptstadt wird. Es ist ihr nicht gelungen. Das ist schade, wie auch das Scheitern der Revolution. Melitta Poppe ist allerdings nicht gescheitert. Melitta Poppe hat Kunst gemacht. Und zum Glück macht sie das weiterhin. Sie malt, sie singt und sie ärgert sich und andere in aller Öffentlichkeit. Ihre Feindinnen (zahlreich) nennen sie daher liebevoll die Salzsäure der abendländischen Kultur (gemein).

Ich habe keine Lust, hier ihre Biografie zu schreiben. Erstens wäre eine Biografie in der SIEGESSÄULE eine schäbige Angelegenheit und zweitens geht sie niemanden etwas an. Was ich eher etwas schade finde ist, dass die vielen Auftrittsprojekte der Melitta Poppe nicht bekannt sind. Man muss ins Archiv gehen (Space Museum Berlin, kurz SMU) um zu entdecken, dass Melitta, nachdem es die Tuntentruppe Ladies Neid nicht mehr gab, sogleich die Gruppe Penis Neid gründete. Ein genialer Schachzug. Wann sie sich mit wem verstritten hat, ist eigentlich auch egal. Aus Anlass ihres Jubiläums wurden mehrere Sonette auf sie gedichtet (Titel des Zyklus: „Die Melitta-Sonette. Materialien zur Rehabilitierung der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs“). Eins davon sei ihr hier zum Geschenk gemacht.

Mel P., der graue Star aus schiefem Hinterhalt,
sie grünt im fahlen Abseits, Puderstaub-bemehlt.
Bald ist ihr Lächeln süß, bald frostig, bitterkalt.
Um falsche Wimpern hängen Augen sanft und scheel.

Die angeklebten Wimpern scheinen abgezehrte
Füße von Hühnern, wie sie diesem Huhn gebühren,
das jeden Fuchsstall aufmischt. Wer denn, wer
erwehrte
sich wohl solcher erboster Eleganz-Allüren?

Sie schaut sich um, Mel P., und lächelt dann ins
Fäustchen –
nicht sich, dran glauben muss des armen Nächsten
Faust.
Dann setzt sie sich und macht ein Päuschen

auf der hell angestrahlten Bühne, wo auch sonst.
Mel P. schaut bisschen, dass es schon die ersten graust.
Und endlich droht sie an, was sie dann ausführt: Kunst

Fabienne du Neckar

Die letzten Tage der Menschheit – Melitta Poppe wird 70, 18.11., 18:00, SchwuZ

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