Berlin

LGBTI-Ansprechpartnerin der Polizei: Homophobe Straftaten werden häufiger angezeigt

27. Nov. 2018

Seit gut einem Jahr sind Anne Grießbach-Baerns und Sebastian Stipp die neuen AnsprechpartnerInnen für LGBTI-Belange bei der Polizei Berlin. Stipp ist gerade in Elternzeit und versucht zudem sein Glück als Sänger bei der aktuellen Staffel von „The Voice Of Germany“.

Wir sprachen mit Grießbach-Baerns über ihre bisherigen Erfahrungen als LGBTI-Ansprechpartnerin, über die Erfassung homo- und transphober Straftaten und ihre Vernetzung mit der Szene. Außerdem fragten wir auch nach ihrer Einschätzung der Polizeirazzia im Club Ajpnia letzte Woche, der von Gästen und den Club-Betreibern als unverhältnismäßig kritisiert wurde. Doch laut Angaben der Pressestelle der Polizei könne sie dazu keine Stellung nehmen, da sie in den Einsatz nicht involviert war.

Frau Grießbach-Baerns, was sind Ihre bisherigen Erfahrungen als LGBTI-Ansprechperson? Ich habe sehr interessante Gespräche geführt mit Zeugen und Geschädigten von Straftaten. Wir können den Leuten, auch über unser Beratungstelefon, erklären, was in einem Strafverfahren passiert, dass es möglich ist, im Internet anzuzeigen oder was abläuft, wenn sie Anzeige erstatten. Viele fragen auch, wohin sie sich noch wenden können, weil sie nicht mit der Polizei weitersprechen möchten. Da verweisen wir dann auf Organisationen wie Maneo, die Schwulenberatung Berlin, die Lesbenberatung oder L-Support.

Arbeiten Sie mit diesen Gruppen zusammen? Wir haben eine enge Kooperation mit Maneo, dem LSVD und der Schwulenberatung. Der Leiter von Maneo, Bastian Finke, ist involviert in unseren Unterricht. Wir haben ein Tagesseminar, in dem er über seine Erfahrungen spricht, und das alle Polizeiauszubildenden bzw. -studentInnen besuchen müssen. Darin wird unter anderem erklärt, was Hasskriminalität ist und wie man homo- und transphobe Straftaten auf der Straße erkennt.

Die „Ansprechpartner für LSBTI“ gibt es seit 1992… Ja, wir in Berlin sind Vorreiter. Am Anfang hieß es noch „Ansprechpartner der Berliner Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“. Da galt ja auch noch der Paragraph 175 und es war eine sehr schwierige Zeit, in der es auch viel Widerstand innerhalb der Polizei gab. Seit drei Jahren gibt es solche Ansprechpersonen nun auch in Hamburg, und seit September in Schleswig-Holstein. In Niedersachsen auch, die machen das aber nur nebenamtlich.

In den ersten drei Quartalen diesen Jahres hat die Polizei in Berlin 105 homo- und transphobe Vorfälle registriert. Zum Vergleich: 2017 waren es im selben Zeitraum 139 Fälle. Also doch ein Rückgang? Das wirkt niedrig, liegt aber daran, dass wir Erfassungsrückstände haben. Deswegen sind diese Angaben noch nicht wirklich aussagekräftig. Man hat in der zuständigen Stelle aber das Ziel, diese Rückstände bis Ende Januar aufzuarbeiten.

Hat sich das Anzeigeverhalten geändert? Ja, es wird häufiger angezeigt. Hinzu kommt, dass diese Straftaten inzwischen auch erkannt werden und in den Anzeigen zum Beispiel nicht mehr nur steht: „nach vorangegangen Streitigkeiten kam es zur Körperverletzung“.

LGBTI-Organisationen oder Gruppen, die z.B. rassistische Vorfälle dokumentieren, melden oft höhere Zahlen als die Polizei. Wie ist das zu erklären? Zu Zahlen über rassistische Vorfälle kann ich nichts sagen. Aber wenn man etwa den jährlich veröffentlichten Maneo-Report und die Kriminalstatistik vergleicht, und polizeilich 164 homo- und transphobe Fälle erfasst wurden und Maneo von über 300 berichtet, dann merkt man, dass viele Leute immer noch Angst haben, zur Polizei zu gehen – und sich lieber an unsere Netzwerkpartner wenden.

Nach welchen Kriterien beurteilt die Polizei, ob eine Tat homo- oder transphob ist? Die Beamten, die zuerst eintreffen, sind die wichtigsten Leute. Sie müssen genau schauen, was los ist. Was danach kommt, wird von SachbearbeiterInnen in speziellen Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen ermittelt.

Gibt es die Aufschlüsselung nach Diskriminierungshintergrund (neben homo- transphob auch rassistisch, antisemitisch, rechtsextrem) bisher nur in Berlin? Die Definition der Hasskriminalität und der ganzen Unterpunkte stammt vom Bundeskriminalamt, und gilt damit bundesweit. Wenn man sich aber die Statistik anschaut und sieht, dass 2017 in Berlin 164 Fälle bekannt geworden sind, und das bundesweit mehr als die Hälfte ist, kommt man doch ins Grübeln. In Nordrhein-Westfalen wird zum Beispiel nicht aufgeschlüsselt. Dort gab es 2017 laut Statistik nicht einen homo- und transphoben Vorfall. Das kann so nicht stimmen.

Interview: Andreas Marschner

Ansprechpersonen für LSBTI* bei der Berliner Polizei:
Polizeioberkommissarin Anne Grießbach-Baerns
Polizeikommissar Sebastian Stipp
lsbt@polizei.berlin.de
Tel.:(030) 4664-979444


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