HIV

Neue Studie: Wie wird die PrEP in Berlin genutzt?

30. Nov. 2018
Matthew Gaskins (li.) und Ricardo Niklas Werner von der Charité

Alle diskutieren über die PrEP als Mittel im Kampf gegen HIV, aber wie sieht es in Berlin eigentlich mit der Nutzung aus? Eine neue Studie legt nahe, dass noch viel Aufklärung nötig ist

Die einen halten sie für das Wundermittel im Kampf gegen HIV, andere für Teufelszeug, das die Pharmabranche reicher und Schwule verantwortungsloser mache: PrEP, die „Pille gegen eine HIV-Infektion“ – fast alle in der Szene haben eine Meinung über die Präexpositionsprophylaxe. Niemand aber hat genaue Zahlen, zumindest nicht für Berlin: Wie viele Menschen nehmen die Mittel hier regelmäßig? Wo bekommen sie sie her? Was wissen sie über die Vor- und Nachteile?

Wo bislang eher gefühlte Wahrheiten regierten, soll nun eine neue Studie Licht ins Dunkel bringen. Unter Leitung des Dermatologen Ricardo Niklas Werner und des Gesundheitswissenschaftlers Matthew Gaskins von der Charité Berlin wurden zwischen Oktober 2017 und April 2018 in mehreren Berliner Beratungsstellen und HIV-Schwerpunktpraxen knapp 900 Fragebögen unter die Leute gebracht – genauer: unter Männer, die Sex mit Männern haben, und nicht HIV-positiv getestet waren. Zwei Seiten mit Fragen rund um die PrEP und das persönliche Sexualverhalten. Immerhin 473 Teilnehmer haben ihre Bögen ausgefüllt abgegeben.

Und sieh an: Insgesamt ist die Quote der PrEP-Nutzer in Berlin noch relativ gering: 17,2 Prozent der Befragten haben angegeben, PrEP probiert zu haben, davon wiederum schlucken nur rund 60 Prozent regelmäßig eine Pille. 90 Prozent der Teilnehmer wussten zwar von der Existenz der Mittel – doch nur knapp die Hälfte fühlte sich gut darüber informiert. „Es ist erfreulich, dass so viele Teilnehmer die PrEP überhaupt kennen“, sagt Werner, „doch bei vielen besteht der Bedarf nach tiefergehenden Informationen, um zu entscheiden, ob die Medikamente für sie infrage kommen.“

So halten nur zwei Drittel der Befragten die PrEP für einen sicheren Weg, HIV zu verhindern, obwohl die Wirksamkeit mittlerweile durch eine Vielzahl von Studien belegt ist. Knapp die Hälfte fürchtet zu starke Nebenwirkungen. Besonders bedenklich: etwa ein Viertel aller Nicht-PrEP-Nutzer gab an, vor Kurzem kondomlosen Analverkehr mit verschiedenen Partnern gehabt zu haben. Für die Forscher ein deutliches Zeichen, dass es an Aufklärung fehlt: „Die Menschen sollen eine informierte Entscheidung darüber treffen können, ob und wie sie sich schützen“, sagt Werner.

Ein weiteres Problem: Mehr als die Hälfte der PrEP-Nutzer hat sich die Pillen aus dem Ausland, über Bekannte oder andere Quellen besorgt – ohne Rezept und damit oft auch ohne regelmäßige ärztliche Begleituntersuchungen. „Dabei sind Letztere wichtig, um auch die anderen sexuell übertragbaren Krankheiten im Blick zu haben“, sagt Gaskins. „So kann man sofort reagieren und die Infektionskette unterbrechen.“

In diesem Punkt gerät die Aussagekraft der Studie allerdings an ihre Grenzen. Die ersten Fragebögen wurden im Oktober 2017 ausgegeben – gerade als die monatlichen Kosten in Deutschland von etwa 700 Euro auf nur noch 50 bis 70 Euro stürzten. Einige der Teilnehmer, die sich die Mittel kostengünstig aus dem Ausland besorgt hatten, dürften heute den Weg über ihren Hausarzt gehen. Auch die hohe Prozentzahl jener Befragten, denen die PrEP zu teuer war (fast 40 Prozent) dürfte so nicht mehr zutreffen.

Werner und Gaskins wünschen sich deshalb bald weitere Studien, auch um trans* Personen zu erfassen oder um über den Berliner Tellerrand zu schauen. Wichtig sei auch der Blick auf die andere Seite vom Beratungstisch: „Wir wissen noch zu wenig über den Kenntnisstand der Ärzteschaft außerhalb der Schwerpunktpraxen und der Metropolen“, sagt Werner. „Es wäre zudem wünschenswert, mehr über die Art und Weise der Beratung zu erfahren – zum Beispiel in Gesundheitsämtern.“

Wer weiß. Vielleicht wird so am Ende aus vielen Meinungen doch noch viel Wissen.

Daniel Sander

Die Studie „Knowledge and use of HIV pre-exposure prophylaxis among men who have sex with men in Berlin“ ist einsehbar unter
journals.plos.org/plosone

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