Film

Ein queerer Tanz der Teufel: „Climax“ im Kino

4. Dez. 2018
© Alamode Film

Exhibitionismus und Narzissmus sind Triebfedern, um auf die Bühne zu gehen und sich vor anderen zu produzieren. Dabei ist immer eine dunkle Seite im Spiel. Gaspar Noé zeigt sie in seinem neuen Film „Climax” und erfindet dabei vielleicht ein neues Genre: den Party-Schocker. Oder ist „Climax“ eher ein furioser Antidrogenspot?

Die dramatische Eingangssequenz, die zugleich ein schauriges Schlussbild sein könnte, zeigt eine desorientierte junge Frau, die sich im Schnee wälzt und dabei eine blutige Spur im Weiß hinterlässt. Ein Bild von grusliger Schönheit, das auf einen cineastischen Höhepunkt hoffen lässt. Und Noé hält das Versprechen. Bei den Filmfestspielen in Cannes kündigte er auf dem Plakat sein neuestes Werk selbstreferenziell an: „Ihr habt ,Menschenfeind' verachtet. Ihr habt ,Irreversible' gehasst. Ihr habt ,Enter the Void' verabscheut. Ihr habt ,Love' verflucht. Probiert es jetzt mal mit ,Climax'.“

Es geht um eine junge Tanztruppe, die ein Tourneecasting erfolgreich hinter sich gebracht hat. Zunächst werden einige Mitglieder des Ensembles in Interviews vorgestellt. Sie suchen die Karriere, das Abenteuer und selbstverständlich Sex. Darunter ein Schwuler, der nicht beim Hetero-Casanova der Gruppe landen kann, und einige queere Frauen. Die TänzerInnen freuen sich auf den anstehenden Trip. Zuvor wird eine Party gefeiert, bei der sich die Anspannung lösen soll. Doch es bricht alles zusammen und die zunehmende Desorientierung der Anwesenden ist noch das geringste Übel. Jemand hat die Sangria mit einer halluzinogenen Substanz aufgepimpt, was manche zum Taumeln, andere zur Raserei treibt.

Zwei der Protagonisten setzen sexistische Kommentare ab, wenn sie in einem quälenden Dialog die Frauen aus der Truppe beurteilen und mit ihren Eroberungen prahlen. Diese Szene hat dem Regisseur einige Kritik eingebracht, da das Gespräch zwischen zwei Schwarzen Jugendlichen stattfindet, was als rassistische Denunzierung gelesen wurde.

Es spielen zahlreiche Schauspieler*innen wie Kiddy Smile oder Claude Gajan Maull mit, die sich als homosexuell oder trans* definieren und die Voguing-Ballroom-Szene repräsentieren, deren Energie Noé zum Film inspirierte. In einer großzügig angelegten Sequenz stellen sich die Anwesenden mit exaltierten Soli vor. Die Kamera fängt die Bewegungsabläufe in der Draufsicht ein, schier unglaublich, in welcher Geschwindigkeit sich diese Körper bewegen können! Stellenweise scheint die Leinwand zu bersten bei all dieser tänzerischen selbstexpressiven Energie. So viel Körperkontrolle und doch geraten sie bald außer Kontrolle: Der Tanz der Teufel beginnt. Atemlos hetzt die Kamera im One Shot zusammen mit den jungen Tanztalenten durch die Räume, setzt ihnen nach. Die eine sucht einen Ausgang, der andere immer noch Sex, wieder andere tanzen delirierend weiter wie bei einem Tanzmarathon, der keine Sieger kennt.

„Climax” ist weniger ein Film als vielmehr eine Erfahrung. Und am Ende ist man fast so erschöpft wie die Mitwirkenden, sieht wie sie das Tageslicht nach dem Rausch und stellt sich die Frage: „Was kommt jetzt?”

Frank Hermann


Climax, F 2018,
Regie: Gaspar Noé,
mit Sofia Boutella, Romain Guillermic,
Kiddy Smile, Claude Gajan Maull,
ab dem 06.12. im Kino

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