Amnesty

Aktivistin Vitalina Koval: „Es gibt Ultrarechte in der Ukraine, die Jagd auf LGBTI machen"

5. Dez. 2018
Vitalina Koval © Amnesty International

Weltweit ruft Amnesty International anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte zum Briefmarathon auf: Regierungen werden mit Briefen aufgefordert, gewaltlose politische Gefangene freizulassen und Unrecht zu beenden. Im letzten Jahr nahmen 5,5 Millionen Menschen daran teil. Es ist vor allem die Masse an Briefen die Regierungen unter Druck setzt. Amnesty Berlin lädt am 07. und 08.12. zum gemeinsamen Briefeschreiben ins aquarium. Dazu gibt es u. a. Filme und Diskussionen.

Zur Eröffnung wird die ukrainische LGBTI-Aktivistin und Frauenrechtlerin Vitalina Koval begrüßt. Amnesty setzt sich dieses Jahr auch für ihren Schutz ein und fordert auf sie durch Solidaritätsnachrichten oder durch einen Protestbrief an den Innenminister der Ukraine zu unterstützen. Seit zwei Jahren arbeitet Vitalina Koval als Koordinatorin eines LGBTI-Zentrums in ihrem Geburtsort Uschhorod, einer Stadt an der Grenze zur Slowakei. Im März dieses Jahres kam sie nach einem gewalttätigen Angriff von Ultrarechten auf der 8.-März-Demo mit Augenverätzungen ins Krankenhaus. Im Interview erzählt die 28-Jährige von dem Vorfall und der Situation in der Ukraine.

Du wurdest am 8. März auf einer Demonstration in Uschhorod angegriffen. Was genau ist da passiert? Wir meldeten eine Demonstration für Frauenrechte an und schon einen Monat davor drohte uns Karpatska Sich, eine ultrarechten Organisation aus Uschhorod. Wir trafen uns trotzdem mit rund 50 Aktivistinnen und Aktivisten, was viel für Uschhorod ist. Als ich der Polizei von den Drohungen erzählte, hieß es, wir bräuchten uns keine Sorgen machen. Zunächst ging alles gut, doch am Ende unserer Veranstaltung wurden wir mit roter Farbe ange­griffen. Ich bekam sie ins Auge und konnte einige Stunden nichts sehen. Mehr als 15 Frauen hatten teilweise schwerere chemische Verbrennungen. Wir verbrachten an dem Tag insgesamt 10 Stunden bei der Polizei, die sich weigerte, unsere Anzeigen aufzunehmen. Auf dem Polizeirevier waren einige Karpatska-Sich-Mitglieder, die uns weiter beleidigten. Direkt neben ihnen stehend fragte mich die Polizei nach meinem Namen und Wohnort, und der Anführer der Gruppe unterhielt sich eine Stunde mit dem Polizeichef, mit dem er, wie wir später herausfanden, befreundet ist. Amnesty International Ukraine hat mir in den folgenden Wochen sehr geholfen. Erst nachdem der Polizeivorsitzende Druck von außen bekam, wurde unser Fall untersucht. Ob es zu einem Verfahren kommen wird, ist aber immer noch unklar.

Wie sieht die Repression und die Homophobie im Alltag in der Ukraine aus?
In der Ukraine gibt es natürlich auch Menschen, die progressiv und tolerant sind, besonders in großen Städten. Aber generell gibt es viel Homophobie in der breiten Bevölkerung. Es gibt aggressive ultrarechte Bewegungen, die Jagd auf LGBTI machen genauso wie auf Roma und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten. Begegnet man denen auf der Straße, greifen sie dich hundertprozentig an. Vor drei Wochen wurde ein offen schwul lebender Freund von mir auf der Straße von einer Nazigruppe mit einem Messer attackiert und musste ins Krankenhaus. Es kann also lebensgefährlich sein, Hand in Hand zu laufen und auf diese Gruppen zu treffen. Generell würde ich sagen, dass die Situation in den letzten drei Jahren gewalttätiger geworden ist. Gleichzeitig wird in der Gesellschaft aber offener über LGBTI-Themen geredet.

Was erhoffst du dir von dem Amnesty-Briefmarathon? Ich mache die Kam­pagne mit Amnesty International, um ein großes Ziel für uns zu erreichen. Ich hoffe auf eine offene Gesellschaft ohne Hass, mit gleichen Rechten und Chancen für alle. In der Ukraine gibt es sehr viele Hassver­brechen gegen LGBT, die Polizei betrachtet und untersucht sie aber nicht als solche. Wir versuchen, Übergriffe wie den am 8. März in Uschhorod vor Gericht zu bringen. Wenn die Polizei weiterhin nicht einschreitet, ist das eine Einladung, es wieder zu tun und immer brutaler zu werden. In der Ukraine gibt es jedes Jahr mehr als 150 Hassverbrechen gegen LGBTI, aber deswegen keine einzige Gerichtsverhandlung.

Mareike Lütge

Amnesty International Briefmarathon in Berlin,
07.12., 18:00, aquarium,
08.12., 12:00, aquarium
amnesty.de

Das vollständige Interview findet ihr in der aktuellen Ausgabe der L-MAG

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