Berlin

Zwischen Aufklärungsarbeit und Anfeindungen: Kindertagesstätte für HIV-betroffene Kinder

26. Dez. 2018
Bild: Niklas von Schwarzdorn
Kita-Leiterin Antje Lindstedt begleitet HIV-betroffene Kinder seit dem Jahr 2000 @ Niklas von Schwarzdorn

Im östlichen Kiezteil von Kreuzberg liegt in einem geschützten Innenhof in der Wrangelstraße die Kita Nestwärme. 63 Kinder im Alter von null bis sechs Jahren spielen und lernen hier auf drei Etagen und im großen Garten der Tagesstätte. Äußerlich unterscheidet sie sich nicht von anderen Kitas – die Besonderheit sind die Kinder selbst, denn Nestwärme fokussiert sich als deutschlandweit einzige Kita auf die Integration von HIV-betroffenen Familien und Kindern.

„Als die Nachbarn von der HIV-Thematik hörten, gab es Beschwerden und eine Unterschriftenpetition gegen uns“

1997 startete der Verein in der Linienstraße (Mitte) als eine Initiative HIV-positiver Mütter, die sich Betreuung für ihre Kinder wünschten. Unterstützung bekamen sie von der Berliner Aids-Hilfe. Da die Familien aus verschiedenen Ecken Berlins kamen, wurde über Spenden ein Fahrdienst organisiert, der die Kinder morgens zur Kita und abends wieder nach Hause brachte. „Damals waren die Familien noch weitgehend vom Rest der Gesellschaft isoliert“, erzählt Kita-Leiterin Antje Lindstedt.

Sie selbst ist schon seit dem Jahr 2000 dabei, als die Kita nach Kreuzberg in die Oppelner Straße umzog. Hier hatte Nestwärme allerdings mit Ablehnung zu kämpfen: „Als die Nachbarn von der HIV-Thematik hörten, gab es Beschwerden und eine Unterschriftenpetition gegen uns. Ein Jahr später beschlossen wir, den Standort zu wechseln.“ Seit 2003 ist Nestwärme in der Wrangelstraße ansässig, 2010 übernahm Antje die Leitung. Über die Jahre hinweg kam es auch zu einer Inklusion von nicht betroffenen Familien.

Immer weniger HIV-positive Kinder

Aufgrund des medizinischen Fortschritts und der zunehmenden Aufklärung ist der Anteil HIV-infizierter Kinder mittlerweile deutlich geringer als der Anteil nicht betroffener – denn bei einer erfolgreichen HIV-Therapie ist das Risiko einer Mutter-Kind-Übertragung bei der Schwangerschaft gering. Dennoch behält die Kita ihren HIV-Schwerpunkt auch heute noch bei und leistet weiterhin Aufklärungsarbeit in Kooperation mit der Berliner Aids-Hilfe. Dass das dringend nötig ist, zeigen die negativen Erfahrungen, die Nestwärme auch kürzlich noch machte.

Zum Beispiel vor zwei Jahren, als das Kita-Team plante einige Kinder mit Fluchthintergrund aus einer nahen Unterkunft aufzunehmen: „Von Anfang an wurde kommuniziert, dass HIV-Betroffene unter unseren Kindern sind, und die meisten der geflüchteten Mütter zeigten dafür Verständnis“, erinnert sich Antje. „Als allerdings die Väter davon erfuhren, gab es einen großen Aufruhr, und am Ende wurden alle ihre Kinder wieder aus der Kita genommen. Unsere Versuche der Aufklärungsarbeit scheiterten leider.“ Ein weiteres negatives Erlebnis hatte Nestwärme mit einer kirchlichen Kita, die vorübergehend auf das anliegende Grundstück zog. „Die Eltern dieser Einrichtung verlangten einen Sicht- und Berührungsschutz zwischen ihrer und unserer Kita. Mit der Berliner Aids-Hilfe organisierten wir einen Elternabend zur Aufklärung – glücklicherweise besserte sich das Klima dadurch.“

Keine Angst vor Ansteckung

Die Ansteckungsgefahr ist sehr gering – die beiden größten Risiken, Geschlechtsverkehr und Blut-zu-Blut-Kontakt, treten in einer Kita natürlich nicht auf. Dazu werden HIV-positive Kinder heutzutage medizinisch so gut betreut, dass sie körperlich kaum Einschränkungen haben. Als Antje bei Nestwärme anfing, war das noch anders: „Da gab es schon Kinder, die körperliche Beschwerden hatten oder ihre Medikamente nicht vertrugen. Heutzutage kommen wir meist nur damit in Berührung, wenn Kinder auf andere Medikamente umgestellt werden und deshalb eine Eingewöhnungsphase brauchen oder wenn wir während Kita-Fahrten das Verabreichen von Medikamenten übernehmen müssen.“ Auch für die gesunden Kinder unterscheidet sich der Alltag nicht von dem anderer Kitas.

LGBTI-Familien: Diese Kita ist ein Glücksgriff!

Die Offenheit der Integrationskita hat sich bei Berliner Regenbogenfamilien herumgesprochen, von denen es bei Nestwärme zunehmend mehr gibt. Auch Sozialpädagogin Astrid und ihre Partnerin sind durch Empfehlungen von Freunden auf die Kita gestoßen. Sie haben selbst erlebt, dass es als Regenbogenfamilie schwierig ist, einen Kita-Platz zu bekommen: „Direkte Diskriminierung bei der Suche ist schwer nachzuweisen – meist erhält man einfach keine Rückmeldung oder eben keinen Platz, Gründe werden nicht angegeben“, erzählt Astrid. Die Kita Nestwärme ist für sie und ihre Familie ein Glücksgriff. „Mir gefällt besonders die Eltern-zugewandte Arbeit“, sagt sie. „Die MitarbeiterInnen haben immer ein offenes Ohr.“

Auch Bux, dem Vater von zwei weiteren Kita-Kindern, geht es ähnlich. Er selbst ist schwul, seine Kinder leben bei ihren zwei lesbischen Müttern. Als leiblicher Vater übernimmt er eine aktive Rolle im Leben der Kleinen und geht auch regelmäßig zu Elternsprechtagen und Kita-Events. Da sich sein Familienbild der klassischen Norm widersetzt, führt es außerhalb von Nestwärme oft zu Stirnrunzeln. Ähnlich geht es in diesem Dreiergespann der Mutter, die das Kind nicht ausgetragen hat. Sie wird häufig als Elternteil nicht ernst genommen. Bei Nestwärme fühlen sie sich aufgehoben. Sorge hat Bux nur darüber, was nach dem Kindergarten kommt: „Ich mache mir Gedanken, wie die MitschülerInnen meiner Kinder auf unsere Regenbogenfamilie reagieren werden. Den Schutzraum der Kita zu verlassen wird auf jeden Fall eine große Umstellung.“ Leiterin Antje kann diese Angst nachvollziehen: „Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man sich als Elternteil natürlich die Frage stellt, ob man nun zusammen mit seiner gleichgeschlechtlichen Partnerin zum Elternabend gehen und sich damit outen soll.“

Aufklärungsveranstaltungen zu Themen wie vorurteilsbewusster Erziehung oder kindlicher Sexualerziehung, wie sie die Kita Nestwärme für Mitarbeiter*innen und Eltern anbietet, würde sie sich auch für Schulen wünschen. Angst davor, dass sich ihre Kinder in der Kita mit HIV anstecken könnten, haben hingegen weder Astrid noch Bux. Sie sind einfach froh, einen Raum gefunden zu haben, in dem ihre Familie und all ihre Facetten willkommen sind.

Elliot Zehms

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.