Kommentar

Jetzt will die Rechte Rache: Brasiliens queere Community im Visier

17. Jan. 2019
Marie Leão © Lola Lustosa

Mit Jahresbeginn hat der ultrarechte Politiker Jair Bolsonaro sein Amt als brasilianischer Präsident angetreten. Was das für LGBTI heißt, beschreibt Marie Leão vom Berliner Partykollektiv „Mash-up“

Für mein Land Brasilien begann das Jahr mit einer Katastrophe: Der rechte Politiker Jair Bolsonaro trat sein Amt als Präsident an. Ein Militarist, Rassist und Macho, der frauenfeindlich und homo- und trans*phob ist. Seine Reden sind offen gewalttätig und schamlos. Vielleicht wurde ihm genau deshalb von seinen Fans schon jetzt das Label „Mythos“ verpasst.

In der Tat kann man nicht behaupten, dass dieser „Trump der Tropen“ nicht ehrlich und authentisch sei. Ich bin 1995 von Rio de Janeiro nach Berlin gezogen, weil ich eben diese Art von Brasilianern und deren rassistischen, klassistischen und homophoben Witze nicht mehr ertragen konnte. Weil ich dort auf der Straße nicht unbeschwert gehen konnte, weil ich wegen meines Lesbischseins verbal und körperlich angegriffen wurde. Und ich bin eine Weiße aus der Mittelschicht! Ich hatte die Mittel, um das Land zu verlassen. Nun stellt euch vor, ihr seid Schwarz, gay und arm?

Ihr kennt sicher das Klischee: Samba! Sonne! Sommer! Alle in Brasilien sind so nett! Ich halte dem entgegen: Bolsonaro gewann die Wahlen nicht nur deshalb, weil er versprach, die Linke zu vernichten und die weit verbreitete Korruption zu beenden, sondern weil er einen rückständigen, potentiell gewalttätigen und zunehmend evangelikalen Wählertypus repräsentiert, der es nicht geschafft hat, mit dem Wandel der Zeit Schritt zu halten und der die sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften nicht akzeptieren kann, die Frauen, PoC, Indigene und andere benachteiligte Gruppen innerhalb der letzten 20 Jahren erkämpft haben. Errungenschaften, die zum Teil von vorangegangenen Mitte-Links Regierungen unterstützt worden sind.

Das baut Privilegien ab – viele fühlen sich deshalb gestört und bedroht. Jetzt will die Rechte Rache. Und sie ist überwältigend. Der „Mythos“ ist eine echte Gefahr. Auch für LGBT*I*Q. Im Jahr 2017 wurden im Land 445 Schwule, Lesben, Bisexuelle und trans* Personen ermordet. Während sich die queere Szene in Europa oder in den USA viele interne Konflikte leisten kann, leben LGBT*I*Q in Brasilien in echter Lebensgefahr. Die Unsicherheit ist überall. Einer der Sätze, der in sozialen Netzwerken der Community jüngst am meisten verbreitet wurde, lautete: „Niemand soll die Hand des anderen loslassen.“ Alle zusammen gegen Vorurteile.

Denn die Institutionen und Erfolge der LGBT*I*Qs werden angegriffen und demontiert – nicht zuletzt von der Chefin des Ministeriums für Frauen, Familie und Menschenrechte, der evangelikalen Pastorin Damares Alves. Kürzlich schockierte sie vor laufender Kamera mit der Aussage: „Achtung! Jungs tragen Blau und Mädchen Rosa!“ Wie auch der Präsident ist Alves eine Gegnerin dessen, was beide abwertend als „Gender-Ideologie“ bezeichnen. Als wären die Rechte von Minderheiten eine Ideologie!

Entsprechend hat Bolsonaro, bereits kurz nach seinem Amtsantritt, die Förderung von LGBT*I*Q-Rechten aus dem Aufgabenbereich des Ministeriums für Frauen, Familie und Menschenrechte gestrichen und sie an andere Organe übergeben, um „die Gruppe der LGBT von der politischen Sklaverei zu befreien“. Der Präsident beabsichtigt auch, Sexualerziehung in Schulen zu verhindern.

Dies sind nur die ersten Wochen einer Regierung, die für Brasilien und vielleicht für die Welt ein Desaster und einen Rückschlag bedeuten wird. Aber wir werden nicht den Mund halten und uns weiterhin widersetzen!

Marie Leão

Marie ist DJ, Drummerin, Journalistin, Übersetzerin und eine der Macherinnen der queer-feministischen Berliner Partyreihe „¡Mash-up! Multigender/Multiworld“

18.1., Hot Topic X ¡Mash-up!: Against Fascism in Brasil, SchwuZ, 23:00

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