Interview

Trauma nach „Homo-Heilung“: „Ich schämte mich für mich selbst“

25. Jan. 2019
Virgil Mathis

Es ist ein Skandal: Auch in Deutschland sind Konversionstherapien, bei denen Homosexuelle „geheilt“ werden sollen, immer noch legal! Ungeachtet der Folgen für die Betroffenen. Dabei hatte das Europäische Parlament im März 2018 die Mitgliedstaaten aufgefordert, solche „Therapien“ gesetzlich verbieten zu lassen.

Im Februar kommt mit dem starbesetzten „Der verlorene Sohn“ ein Film in die Kinos, der erneut Aufmerksamkeit auf das Thema lenkt: Erzählt wird nach einer wahren Begebenheit die Geschichte eines Jungen, der von seinen streng religiösen Eltern genötigt wird, sich einer Konversionstherapie zu unterziehen.

Der zur Zeit in Berlin lebende Virgil Mathis teilt dieses Schicksal. Er wuchs auf einer Farm in Florida bei Eltern auf, die der christlichen Southern Baptist-Kirche angehören. Mit 15 musste er auf Druck seiner Eltern eine sogenannte Konversionstherapie über sich ergehen lassen. Im Interview mit SIEGESSÄULE erzählt er von seinen Erfahrungen

Virgil, erzähl uns etwas über deine Kindheit. Ich war ein sehr feminines Kind. Man „erkannte“ an meiner Stimme und an meinem Verhalten, dass ich schwul bin. Auch meine Eltern. Als ich 10 war, haben sie mich dabei erwischt, wie ich mir schwule Pornos ansah. Von da an haben wir jeden Abend gemeinsam gebetet, meine Eltern haben geweint und Sachen gesagt wie: „Bitte Gott, nimm diese schreckliche Sünde aus Virgils Leben“. Damals begannen für mich Gefühle von Scham und extremer Schuld. Da ich mit 15 Jahren immer noch nicht hetero war, haben meine Eltern dann beschlossen, dass ich eine Konversionstherapie beginnen sollte.

Wie lange ging diese „Therapie“? Zweieinhalb Jahre. Ich habe mich regelmäßig mit einem „Therapeuten“ der Kirche getroffen und er hat mir Tonbänder der Gruppe „Exodus International“ vorgespielt. Diese enthielten Aussagen von Homosexuellen, die es vermeintlich geschafft haben, ihren „homosexuellen Lebensstil hinter sich zu lassen“ und nun „erfolgreich in einer heterosexuellen Beziehung“ seien – wobei ganz oft einfach ein Schwuler mit einer Lesbe verpartnert worden ist. Die meiste Zeit brachte der „Therapeut“ mich nur dazu, dass ich mich für mich selbst schämte.

Gab es noch andere Maßnahmen als diese Tonbänder? Ja. Zweimal haben wir uns in einer größeren Gruppe getroffen, wo einige dann erzählten, wie sie ihre Sexualität „hinter sich gelassen“ hätten. Ich war jedesmal unglaublich deprimiert – denn ich wusste, ich würde niemals heterosexuell sein. Der Schaden, den diese Erlebnisse bei mir angerichtet haben, wird mich mein ganzes Leben lang begleiten.

Wie hast du es geschafft, da raus zu kommen? Nach zweieinhalb Jahren habe ich meinen Eltern deutlich gemacht, dass die „Therapie“ nicht wirkt. Sie haben mir erlaubt, nicht mehr hinzugehen. Mit 21 kündigte ich dann an, dass ich mein Leben fortan als schwuler Mann leben werde. Meine Eltern weinten und sagten, dass dies mich auf den Weg der Zerstörung führen werde. Seit 5 Jahren habe ich nun nicht mehr mit meiner Familie gesprochen – und ich verspüre auch nicht das Bedürfnis, das zu tun. Sie werden mich als schwulen Mann niemals annehmen – ebensowenig als Atheisten und als Escort und Pornodarsteller, was ich auch bin.

Es ist für jedes Kind eine grauenvolle Erfahrung, wenn die eigenen Eltern es nicht akzeptieren. Ja. Als meine Eltern anfingen, gegen meine Homosexualität zu beten: das war das auch der Moment, als meine Suizidgedanken begannen. Es ist etwas, mit dem ich noch heute kämpfe. Ich habe mich nun dazu entschlossen, meine Geschichte niederzuschreiben – weil gerade dieser Film über Konversationstherapien, „Der verlorene Sohn”, erschienen ist. Die Geschichte, die dieser Film erzählt, ist auch die meine. Es ist deshalb schwer für mich, auch nur den Trailer anzuschauen. Zugleich freue ich mich, dass an vielen Orten der Welt Anstrengungen unternommen werden, um das zu verbieten. Kanada, die USA, Australien – alle haben Bewegungen gegen Konversionstherapien. Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt.

Interview: Jeff Mannes

Petitionen gegen Konversionstherapien:

Verbot von Conversion Therapy („Homo-Heilung“) in Deutschland - Jetzt!

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