Debatte

Falk Richter: „Unser System befördert eine neue Form von Faschismus“

19. März 2019 Roberto Manteufel
Falk Richter © Andy Caballero

In seinem Buch „Disconnected. Theater Tanz Politik“ warnt Theatermacher Falk Richter vor den Gefahren des Kapitalismus und neurechter Bewegungen. SIEGESSÄULE traf ihn zum Gespräch

Falk Richter gehört zu den bekanntesten Theatermachern in Deutschland. So wurde er u. a. als „Regisseur des Jahres“ 2018 ausgezeichnet und bekam den Special Award des Teddys für sein „emanzipatorisches Wirken“ verliehen. 2018 erschien sein Buch „Disconnected. Theater Tanz Politik“

Falk, deinem Buch „Disconnected“ liegen Vorlesungen aus dem Jahr 2016 zugrunde. Darin zeichnest du das Bild einer Gesellschaft, die zerfressen ist vom Neoliberalismus. Der Tenor: Es ist fünf vor zwölf. Teilst du diese Einschätzung immer noch? Ja, das hat sich alles sogar noch verschärft. In dem Buch versuche ich zu zeigen, dass sich keine wirkliche Bewegung gegen den Neoliberalismus von einer linken aufgeklärten Seite bilden und durchsetzen konnte. Zwar haben wir durch die Finanzkrise 2008 gesehen, dass das System so nicht funktioniert, doch die Versuche, den Kapitalismus zu reformieren, wurden allesamt torpediert oder aktiv verhindert. Ich denke da zum Beispiel an Occupy. Eine Bewegung, die teils brutal mittels Polizeigewalt aus den Innenstädten vertrieben wurde.

Und das rächt sich jetzt gewaltig? Es rächt sich unglaublich. Jetzt haben wir eine andere Form des Widerstandes gegen das bestehende System – und der kommt von rechts. Nur sieht deren Umsetzung ganz anders aus, das Ziel sind eine geschlossene nationale Ökonomie und vor allem eine geschlossene nationale Gesellschaft. Und es lässt sich absehen, was das dann für uns bedeutet: Wir sind darin nicht mehr vorgesehen.

Mit wir meinst du die LGBTI-Community? Genau. Nur in einer überangepass- ten Form würde man uns dulden, so wie Alice Weidel, die sich unentwegt selbst verleugnet. Dabei scheint die Entwicklung der letzten Jahre das Gegenteil zu beweisen.

Na ja, die Ehe wird ja schon von Annegret Kramp-Karrenbauer wieder infrage gestellt. Ich glaube, diese rechten Kräfte arbeiten gerade intensiv daran, viele Errungenschaften der Gleichstellung wieder zurückzudrehen.

Das ist doch irgendwie paradox. Unser System hat uns schließlich die größten rechtlichen Freiheiten ermöglicht. Und nun wird es zur Gefahr für uns? Es wird jetzt zu einer Gefahr, weil es eine neue Form von Faschismus befördert. Und dieser hat ein ganz bestimmtes Ziel, nämlich dass die Bevölkerung in einer Art schwelendem Dauer-Bürgerkrieg miteinander all ihre Energien bindet. Weiße Rassisten gegen Geflüchtete, Besorgte Eltern gegen Schwule ...

Vielleicht weil solche Feindbilder einfach fassbarer sind als der Finanzmarkt. Total, es ist auch super kompliziert. Ich habe Jahre damit verbracht, mir zu überlegen, wie ich darüber überhaupt schreiben kann? Darüber, was der Markt veranstaltet und wie sehr er auf unser Leben Einfluss hat.

Und du hast darüber geschrieben. Nämlich anhand einer jüngeren Generation, die „disconnected“ ist. So empfinde ich das zumindest. Viele Menschen fühlen sich komplett entfremdet von dem System, in dem sie leben. Oft arbeiten sie unglaublich viel, bekommen wenig dafür und sind frustriert, weil sie nicht mehr sehen, wie sich das ändern lässt.

In deinem Buch veranschaulichst du das durch ein Assessment Center. Diese Assessment Center sind Dauerbefragungen, wo firmenintern die Persönlichkeit von Menschen analysiert und bewertet wird. Dadurch befinden sie sich in einer ewigen Feedback-Schleife, die ihnen ständig vorhält, wie sie sind und wie sie sein müssten. Letztlich wird dabei die Privatsphäre eines Menschen komplett den Anforderungen des Marktes geopfert. Es gibt keinen Rückzugsort mehr, sogar das Beziehungsleben wird ausgewertet. So soll ein Ideal entstehen von dem dauernd Vernetzten, immer ansprechbaren, gut gelaunten Menschen. Das kann innerlich zu einer enormen Leere führen.

Wächst da also eine gestresste Generation heran, die nur die neusten Self-Tracking-Apps benötigt? Na ja, es ändern sich auch Sachen. Und zwar im Umgang mit Menschen. Nimm zum Beispiel die #metoo-Bewegung. Ebenso gibt es ein größeres Bewusstsein für homophobe und rassistische Äußerungen. Aber genau das befördert offenbar auch diesen enormen Backlash. Einige weiße heterosexuelle Männer und Frauen fühlen sich davon extrem bedroht und wiederbeleben indirekt nationalsozialistische Ideologien.

Wogegen du mit aller Macht anschreibst. Ja, ich finde, wir leben in einer Zeit, in der es wichtig ist, Position zu beziehen. Das heißt nicht, dass man sich unentwegt mit den Neuen Rechten in seiner Kunst auseinandersetzen muss. Aber wenn es darauf ankommt, darf man nicht einknicken. Homophobie muss als Homophobie benannt werden, Rassismus als Rassismus. Zu oft werden homophobe Äußerungen im Alltag noch unter den Teppich gekehrt. Ach, das hat er doch nicht so gemeint. Oder: Der ist doch eigentlich ganz nett. Aber das hat damit nichts zu tun. Jemand kann ein ganz netter Typ sein und sich trotzdem rassistisch äußern. Und es geht um diese Äußerung.

Die zu überdenken würde bedeuten, sich von einem Privileg zu verabschieden. Interessant ist das in der Umkehr. Das habe ich auch als künstlerische Technik angewandt. In meinem Stück „Fear“ habe ich an einigen Stellen die gleichen Schmähungen, mit denen Neurechte Schwule bedenken, in satirisch überhöhter Weise gegen sie selbst gewandt, und da war die Hölle los: Das geht nicht! Beleidigung! Sind vor Gericht gezogen. Das war schon interessant, wie krass die Leute reagieren, wenn man die Diskriminierung, der LGBT tagtäglich ausgesetzt sind, einfach nur spiegelt.

Es gab gleich mehrere Verfahren. Insgesamt gab es vier. Drei davon habe ich komplett gewonnen und in einem Verfahren hat die Klägerin in zehn Punkten geklagt und davon in zwei Punkten recht bekommen. Das haben sie und die Rechtsradikalen dann im Internet als großen Sieg gefeiert ...

Die Klägerin darf man ruhig nennen, oder? Ja, das ist die katholische Homohasserin Gabriele Kuby, die Therapien für LGBT fordert und in ihren Hasspredigten behauptet, wir seien schuld am Untergang der westlichen Zivilisation, und ein Überleben Europas sei nur möglich, wenn es uns nicht mehr gäbe. Ich finde es wichtig, das zu benennen, weil das die Hetero-Presse nicht gemacht hat. Die Verfahren strengten Frauen an, die beruflich und als Aktivistinnen gegen die LGBT-Community und die Gleichstellung kämpfen. Das sind Beatrix von Storch, Gabriele Kuby und Hedwig von Beverfoerde. Dabei handelte es sich klar um einen Angriff gegen einen offen schwulen Künstler, der sich in seiner Kunst gegen diese Anti-LGBT-Hasspredigten und Auslöschungsfantasien wehrt. Und ich hab sie ja in meinem Stück „Fear“ ganz klar als das benannt, was sie sind. Sie sind rechtsradikale, homophobe Hetzerinnen.

Die Prozesse brachten dem Stück aber auch viel Aufmerksamkeit. Diese Bewertung lehne ich so ab. Darin schwingt mit, es hätte etwas Gutes, wenn gegen die Kunst geklagt wird und wenn Kunst zensiert wird. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der die Kunst wirklich frei ist und in der auch schwule Künstler frei arbeiten können, ohne dass sie dafür vor Gericht gezerrt werden.

Aber immerhin Recht bekommen.
Stimmt, in Deutschland sind wir noch einigermaßen sicher, auch als Künstler. In anderen europäischen Ländern wie Polen, Ungarn, Tschechien oder auch Russland sieht das aber ganz anders aus.

Und denkst du, es könnte hier auch in diese Richtung gehen? Noch nicht, nein. Allerdings ist die große Frage, ob Teile der CDU irgendwann mit der AFD zusammen kooperieren werden. Ich empfinde zum Beispiel die Äußerung von Kramp-Karrenbauer schon als enorm homophob, wenn sie die gleichgeschlechtliche Ehe plötzlich mit Inzest gleichsetzt. Und deswegen liegt die Gefahr nicht nur bei der AFD, sondern genauso bei der CSU und der CDU, die sich der AFD immer mehr anbiedern.

Falk Richter: „Disconnected“, Alexander Verlag Berlin, 180 Seiten, 16 Euro

Folge uns auf Instagram

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.