Szene

Verdrängt „RuPaul“ die Berliner Tunte?

27. März 2019
RuPaul © VH1 Viacom International Inc

Was bedeutet es für die legendäre Berliner Tuntenkultur, dass der polierte Drag á la „RuPaul's Drag Race“ auch hierzulande immer präsenter wird? Elliot Zehms fragte bei LCavaliero vom SchwuZ nach

Das SchwuZ sieht sich als ein wichtiger Teil der Berliner Tuntenkultur. In letzter Zeit hat die Szeneinstitution auch vermehrt Teilnehmer*innen des extrem beliebten Reality-TV-Formats „RuPaul’s Drag Race“, in dem nach Amerikas nächstem Drag-Superstar gesucht wird, eine Bühne gegeben. So hat Aja (Staffel 9) hier erst kürzlich ihr neues Album vorgestellt und Shangela (Staffel 2) einen Auftritt absolviert. Im April werden Alaska Thunderfuck 5000 (Staffel 5 und Gewinnerin der zweiten Staffel von „RuPaul's Drag Race All Stars") und Latrice Royale (Staffel 4) zu Gast im SchwuZ sein.

Doch gerade unter Berliner Tunten, die sich traditionell eher als aktivistisch und politisch verstehen, wird die kommerziell ausgerichtete Maschinerie der TV-Reality-Shows äußerst kritisch gesehen. Elliot Zehms fragte bei dem künstlerischen Leiter des SchwuZ, LCavaliero, nach, wie beide Welten zusammenpassen

LCavaliero, welchen Bezug hast du selbst zur Dragszene?
Ich bin seit fast fünf Jahren künstlerischer Leiter im SchwuZ, einer Keimzelle der Berliner Tunten- und Dragkultur. In meiner Studienzeit war ich auch Teil der Drag-Truppe „Spicy Tigers on Speed“, einer Horde cis Jungs und mir, einer trans* Person. Unser Motto lautete: „Drag ist für alle da“.

Das heißt...? Egal ob trans* oder cis, du kannst jede Form von Drag auf der Bühne darstellen. Wir performten mal als Kingz, mal als Queenz, mal als Inbetweens, im Tierkostüm oder sonstwie ungestüm. Das kam so gut an, dass wir mit unseren Nummern durch ganz Europa reisten. Für mich bedeutet Drag totale Emanzipation, Selbstliebe und die Auseinandersetzung mit sowohl gesellschaftlichen Themen als auch der eigenen Identität.

Was unterscheidet die Berliner Tunte von dem Drag, den man aus US- amerikanischen Shows wie „RuPaul's Drag Race“ kennt? Das ist schwierig zu trennen, da die Übergänge fließend sind und sich die Drag- und Tuntenszene gegenseitig beeinflussen und befruchten. Nachdem die Nazis das Berliner Institut für Sexualwissenschaften von Magnus Hirschfeld auflösten, der sehr viel für die Transvestitenszene tat, setzte zum Beispiel ein Teil der queeremanzipatorischen Bewegung seine Arbeit in den USA fort. Und hier in Berlin wird die Tuntenkultur mittlerweile zum Beispiel durch viele türkische und arabische Einflüsse bereichert, befindet sich also in ständigem Wandel. Was für mich die Berliner Tunte definiert, ist die lustvolle, politisierte Parodie von Geschlechterverhältnissen. Es ist eine Lebenseinstellung, die oft über die Bühne hinaus geht. Im Gegensatz zu Drags ist die Tunte oft „unpolierter“ und schert sich weniger um ihr Aussehen als darum, ein queeres Statement zu setzen. Drag wird immer mehr als reine Kunstform gesehen. Nichtsdestotrotz stellen beide, Tunten und Drags, die Geschlechternormen in Frage, widersetzen sich in einem kreativen Akt Sexismus, Homo- und Transphobie.

In letzter Zeit erobern Drag-Race-Stars wie Aja und Shangela auch die SchwuZ-Bühne. Wird die Tuntenkultur dadurch verdrängt? Im Gegenteil. Unser Publikum ist sehr divers – von den höchst politisierten Tunten bis zu Heteros feiern alle die Auftritte der RuPaul-Stars. Es ist auch erfolgreichen Serien wie Drag Race mit zu verdanken, dass es so viele neue junge Drags gibt. Wichtig ist bloß, dass neben dem Spaßfaktor solcher Shows die queere Geschichte nicht in Vergessenheit gerät und auch die junge Generation mit ihr konfrontiert wird. Es waren immerhin Tunten, die vor fast 42 Jahren das SchwuZ gründeten, das noch immer durch die Tuntenkultur lebt und gedeiht. Im SchwuZ gibt es beides: höchst professionelle und beeindruckende Dragshows und explizit politisches Programm. Unsere Newcomer*innen-Tuntenshow „Schangelig“ ist zum Beispiel nicht nur lustig, sondern auch äußerst politisch. Ganz in der Tradition der ursprünglichen Tuntenkultur.

Interview: Elliot Zehms

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