SIEGESSÄULE PRÄSENTIERT

Berlins Dragszene am Deutschen Theater: „ugly duckling“

23. Apr. 2019
© Arno Declair

23.04.19. – Nach „Die Schönheit von Ost-Berlin“, das von der Kritik wie vom Publikum gleichermaßen gefeierte Stück über den schwulen Schriftsteller Ronald M. Schernikau, realisiert Bastian Kraft, Jahrgang 1980, nun erneut eine Herzensangelegenheit: ein Bühnenprojekt über die Berliner Drag- und Travestieszene. Wer seine Regiearbeiten kennt – Kraft inszeniert an vielen großen Häusern und seit 2012 regelmäßig am Deutschen Theater –, den mag das vielleicht etwas irritieren.

Bastian Kraft ist nicht Barrie Kosky, seine Produktionen sind zwar unterhaltsam, aber frei von Revue und Showelementen. „Mich hat diese Kunst mit all ihren Unterformen schon immer sehr fasziniert, erzählt Kraft. „In den letzten zehn Jahren habe ich berufsbedingt immer wieder viel Zeit in Berlin verbracht und da das reiche Spektrum der Dragszene hier kennengelernt.“ Besonders beeindruckt haben ihn dabei Jade Pearl Baker, Urgestein Gérôme Castell und Judy LaDivina. Sie spiegeln für ihn nicht nur eine große Bandbreite der Drag- und Travestiekultur, sondern auch ihrer Ausdrucksmöglichkeiten.

Der Regisseur hat diese drei Protagonistinnen der Szene für sein Stück „ugly duckling“ nicht nur als Darstellerinnen verpflichtet, sondern sie auch zu Bühnenfiguren gemacht: Basierend auf Interviews, die Kraft mit ihnen geführt hat, erzählen sie in „ugly duckling“, was ihnen diese Leidenschaft für Glitter, Glamour und Stöckel beziehungsweise das Spiel mit den Geschlechterrollen bedeutet.

Doch Bastian Kraft beschränkt sich nicht auf diese dokumentarische Ebene, sondern er verbindet sie mit zwei der bekanntesten Märchen von Hans Christian Andersen: „Die kleine Meerjungfrau“ und „Das hässliche Entlein“. Der dänische Dichter, ein Leben lang von Selbstzweifeln und Albträumen geplagt, litt nicht nur unter seiner körperlichen Erscheinung, sondern auch unter seinen unerfüllten homosexuellen Wünschen. In seinen Märchen aber konnte eine Meerjungfrau zu einem „richtigen“ Menschen und ein hässliches Entchen zum wunderschönen Schwan werden.

Das hässliche Entlein („ugly duckling“) ist auch heute noch ein fester Begriff für unscheinbare, wenig attraktive Heranwachsende, die erst in späteren Jahren zur wahren Schönheit und zum Erfolg gelangen werden. „Darin schwingt all das mit, von dem wir erzählen wollen: von Menschen, die sich in jungen Jahren als Außenseiter*innen oder nicht der Mehrheitsgesellschaft zugehörig fühlen und die dann im übertragenen Sinne – ihren Platz bei den Schwänen finden.“

Die Dragperformer*innen Jade Pearl Baker, Gérôme Castell und Judy LaDivina bleiben bei „ugly duckling“ aber keineswegs unter sich, sondern treffen auf drei Darsteller*innen aus dem DT-Ensemble. Und auch mit ihnen hat Bastian Kraft vorbereitend intensive Interviews geführt – beispielsweise über Geschlechterrollen oder ihre Lust am Spiel mit den Geschlechtern.

Caner Sunar etwa hat vor Jahren schon für sich ein Drag-Alter-Ego entwickelt. Helmut Mooshammer wiederum hat (unter Bastian Krafts Regie) ­nicht nur in „Der Besuch der alten Dame“ die Claire Zachanassian im Lady-Gaga-Outfit verkörpert, sondern stöckelte in „Ein Käfig voller Narren“ auch schon als Zaza im klassischen Travestie-Pailettenfummel samt Federboa über die Bühne. Und Regine Zimmermann? Wird sie zum Dragking? Bastian Kraft lacht. „Sie hatte große Lust, selbst eine Dragqueen zu sein, und ich finde das großartig. Mir ist wichtig, dass jeder seine eigene Ausdrucksform findet.“

Axel Schock

SIEGESSÄULE präsentiert
ugly duckling,
25.04. (Premiere), 30.04., 19:30,
Deutsches Theater

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