Nachbericht

Kämpferisch, bewegend, aber auch mit schalem Beigeschmack: Der World Pride in New York

2. Juli 2019
Fotos: Dana Müller

Es ist vollbracht: Die große 50 Jahre Stonewall-Feier in New York City ist vorbei. Zwischen – laut Schätzungen – drei bis sieben Millionen Menschen sollen in die US Metropole gereist sein, um an fünf Demos und unzähligen Partys und Feierlichkeiten teilzunehmen.

Am Freitagnachmittag begann der World Pride mit dem etwas unorganisierten Trans March in Washington Square Park im Stadtteil Greenwich Village. Etwa 1000 Menschen demonstrierten hier für Transrechte, vor allem für jene von Schwarzen trans* Frauen, die immer wieder von starker Polizeigewalt in den USA betroffen sind. Weiter ging es Freitagabend mit dem Drag March, einer kleinen Demo mit überwiegend aufgefummelten schwulen Männern und eindrucksvollen Drag Queens, die eher spaßig ausgerichtet ist und ebenfalls über 1000 Teilnehmer*innen hatte.

Der Höhepunkt aus lesbischer Sicht war dann am Samstag der New York City Dyke March. Mindestens 20.000 Lesben und andere Mitglieder der LGBTTQI-Community marschierten die Fifth Avenue hinunter, um für die Sichtbarkeit von Lesben zu demonstrieren. Der Dyke March verzichtet genau wie in Deutschland auf Kommerzialisierung, Sponsor*innen und jedwede Ablenkungsmaßnahmen vom eigentlichen Thema. Prominente wie JD Samson, Regisseurin Madeleine Olnek und Schauspielerin Lisa Haas (The Foxy Merkins) wurden gesichtet, und viel beachtet und laut umjubelt liefen auch der Dyke March Berlin und der Dyke March Cologne mit. Bei hervorragender Stimmung endete die Demo in einer wilden spontanen Party am Ende im Springbrunnen des Washington Square Parks.



Am Sonntag begann der eigentliche Feiertag sehr früh um 9:30 Uhr mit dem ersten alternativen Queer Liberation March. Über 50.000 Menschen kamen zu dieser neuen, sehr kämpferischen und politischen Demonstration. Im Zentrum der Kritik stand die Über-Kommerzialisierung des CSD, die wir ja auch in Deutschland kennen. So war der große Abschluss der Demo im Central Park - moderiert von der spritzigen Margo Gomez - fernab jeder sonstigen CSD-Komfortzone und bestand aus sehr wütenden Reden von Alt-Aktivisten wie Larry Kramer und Schwarzen trans* Frauen, die Rechte für Sexarbeiterinnen forderten, sowie den Altvorderen der US-Bewegung, Act-up-Aktivisten, den Lesbian Avengers und dem Ur-Schleim der Bewegung, der Gay Liberation Front, die 1970 die CSD-Demos in Erinnerung der Aufstände in der Christopher Street überhaupt erst erfunden haben.

Allen gemeinsam war die Enttäuschung über die Anbiederung der LGBTQI+ Community an große Konzerne und die Mainstream-Gesellschaft. „Momente des Feierns, Momente des Nachdenkens, Momente der Erinnerung, aber auch Beschwerden über die Kommerzialisierung“ fasste die New York Times in der heutigen Ausgabe das Geschehen zusammen.



Gestern Mittag um 12:00 Uhr setzte sich in Manhattan schließlich der große New York City Pride mit 150.000 Marschierenden und über 100 großen Wagen in Bewegung, während Millionen Menschen, die nur hinter Barrikaden stehen dürfen um zuzuschauen, zu jubeln und zu feiern – allerdings ohne Alkohol, weil das auf den Straßen der USA nicht erlaubt ist. Über zehn lange Stunden ging dieser bombastische Zug durch New Yorks Straßen.

Total lesbische Hysterie kam immer dann auf, wenn der The L Word-Wagen auftauchte, auf dem Leisha Hailey, Kate Moennig und Jennifer Beals ein bisschen an das Papamobil erinnernd durch die Menge chauffiert wurden. In der Unübersichtlichkeit der Veranstaltungen war es kaum möglich, die Highlights allesamt mit zu bekommen, doch wir wissen: Grace Jones, Madonna, Lady Gaga, Alicia Keys, Melissa Etheridge ... all sie haben hier und dort, mal spontan, mal für hohe Eintrittsgelder am Pride teilgenommen.



Ein Fazit dieses LGBT-Mega-Spektakels ist kaum möglich. Während Banken, Fluglinien, Großkonzerne, jede Imbissbude und jeder Zeitungskiosk in New York auf den Pride-Zug aufsprang und die Stadt in einem Meer von Regenbogenfahnen versank, bleibt ein schaler Beigeschmack von Ausverkauf und Beliebigkeit zurück. Aber auch viele bewegende Momente, Tränen der Rührung und des Angefasstseins, vor allem in der Christopher Street rund um das Stonewall Inn, bleiben – ebenso wie die Erkenntnis, dass sich in den letzten fünfzig Jahren so viel gar nicht geändert hat. Noch immer gibt es vor allem von Seiten der Polizei gewalttätige Übergriffe – vor allem auf Schwarze trans* Frauen. Unbequem und kritisch zu sein, ist vielen Lesben und Schwulen heute vielleicht sogar fremder als noch vor fünfzig Jahren.

Und der Trend der Community, eher für das kleine private Glück zu kämpfen als für ein großes Ganzes – diese Entpolitisierung im Angesicht eines weltweiten Rechtsrucks lässt einen gerade im Land, das einen Präsident Trump hat, voller Sorgen zurück. Aber schön und bestärkend war es doch auch - deshalb in diesem Sinne: Happy Pride!

Manuela Kay

Der Text erschein zuerst auf der Webseite unseres Schwestermagazins
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