Kino

Ein Mörder metzelt sich durch schwule Pornotruppe: „Messer im Herz“

16. Juli 2019
Nicolas Maury in „Messer im Herz“; Fotos: Salzgeber

Jungs in freier Natur, die sich zärtlich an die Wäsche gehen. Diese Bilder auf flackerndem 16-Millimeter-Material ist unterlegt von einer unverkennbaren Musik, die diesen Pornostreifen unmittelbar in den 70er-Jahren verorten.

Dagegengeschnitten eine ganz andere Szene: ein schwuler Cruisingclub, auch mit einem Blick zu erkennen. Ein junger, selbstbewusster Mann, der, anstatt sich mit den Verehrern auf der Tanzfläche zu amüsieren, einem geheimnisvollen Mann mit Fetischmaske in den Darkroom folgt. Und während die Pornodarsteller auf ihren Höhepunkt zuarbeiten, wird ein Messer zum Mordwerkzeug.

Gleich in den ersten Szenen findet sich alles, was Yann Gonzalez‘ neuen Film kennzeichnet. Da ist einerseits die liebevolle Hommage an ein längst vergangenes Zeitalter der Pornokultur, in dem die Premieren noch in „richtigen“ Kinos stattfanden und die Fans dem nächsten Werk des Lieblingsregisseurs oder -darstellers entgegenfieberten.

Und da ist dieser ständige ästhetische Gegensatz: auf der einen Seite beispielsweise der in schwülstigen Farben ausgeleuchtete Nachtclub, kunstvoll kitschig fast wie von Pierre & Gilles in Szene gesetzt, und auf der anderen der blasse Retro-Chic der Pornos. Die immer wieder in die Handlung eingebauten Pornoausschnitte bzw. -dreharbeiten bleiben übrigens wunderlicherweise ziemlich soft, wohingegen die beinahe opernhaft inszenierten Mordszenen ziemlich explizit und eines echten Slasher-Movies würdig sind.


Der 1977 geborene französische Regisseur Gonzalez, der 2013 mit „Begegnungen nach Mitternacht“ bereits einen irrwitzigen, jegliche Erwartungen konterkarierenden Film über eine queere Orgie realisiert hat, irritiert und fordert auch hier seine Zuschauer*innen. Zum einen, weil „Messer im Herz“ mit Anspielungen, Querverweisen und subtilen Codes der queeren Szene alles andere als geizt. So zitiert er gleichermaßen Brian de Palma wie John Carpenter oder italienische Thriller der 70er. Zum anderen entwirft Gonzalez mit dieser kleinen, schrägen Pornotruppe, die die Produzentin Anne (Vanessa Paradis) um sich geschart hat, ein fast utopisch wirkendes Lebens- und Arbeitsmodell.

Und während der geheimnisvolle Mörder nach und nach die Pornodarsteller mit perfiden Methoden – wie beispielsweise einem Dildo mit Klinge – aus dem Leben befördert, lässt sich Anne zu einer pornografischen Aufbereitung der Mordserie inspirieren. Sich selbst lässt die Liebeskranke, die von ihrer langjährigen Partnerin und Cutterin Loïs (Kate Moran) verlassen wurde, kurzerhand von einem auf die Schnelle blondierten Ensemblemitglied darstellen.

Was also ist „Messer im Herz“? Auf keinen Fall ein klassischer Thriller. Dafür fehlt es dann doch an Suspense. Ein Pornospielfilm? Dafür gibt es schlicht zu wenig „richtigen“ Sex. Oder eher eine kluge, überdrehte Parodie? Ein metaphernschweres, surreales und traumbeladenes Rätselspiel? Alles trifft zu. Was uns die blinde Krähe und die brennende Scheune sagen wollen, wird übrigens erst kurz vor Schluss aufgeklärt.

Ein lesbisch-schwul-queeres, melancholisches Beziehungsdrama? Definitiv. Und doch noch vieles mehr, das in der Summe vielleicht konfus und unausgewogen wirken mag – oder aber sich zu einem ungewöhnlichen, jegliche Genregrenzen sprengenden Kunstwerk fügt. Auch einige bewusst trashige Szenen sind mit dabei, wie manch hübsche, kleine Pointe nebenher. Die zitierten fiktiven Pornostreifen „Anale Wut“ und „Von Sperma und frischem Wasser“ jedenfalls würde man gern mal in Gänze sehen.

Axel Schock


Vanessa Paradis


Messer im Herz,
FR 2018, Regie: Yann Gonzalez,
mit Vanessa Paradis, Kate Moran und Nicolas Maury,
ab 18.07. im Kino

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